Drama | USA 2019 | 109 Minuten

Regie: Julius Onah

An seiner High School als Vorbild gefeiert, wird ein Schüler kurz vor dem Abschluss auf seine Herkunft aus Eritrea zurückgeworfen, als eine Lehrerin ihn beschuldigt, in einem Aufsatz gewalttätige Ansichten zu vertreten. Als er eigenmächtig versucht, das Problem zu lösen, verstrickt er sich in Widersprüchen und büßt zunehmend das Vertrauen seiner weißen Adoptiveltern ein. Das auf einem Theaterstück beruhende Rassismus-Drama verhandelt in geschliffenen Dialogen und in hervorragender Darstellung die Frage, wie weit das Vertrauen zu einem Menschen geht, wenn er die Kindheit im Umfeld unfassbarer Gewalt erlebt hat, und inwieweit selbst in einem liberalen Milieu die Beurteilung eines Gegenübers von internalisierten ethnischen Vorurteilen beeinflusst ist. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LUCE
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Dream Factory Group/Altona Filmhaus/Endeavor Content/New Tropics
Regie
Julius Onah
Buch
J.C. Lee · Julius Onah
Kamera
Larkin Seiple
Musik
Geoff Barrow · Ben Salisbury
Schnitt
Madeleine Gavin
Darsteller
Kelvin Harrison Jr. (Luce Edgar) · Naomi Watts (Amy Edgar) · Tim Roth (Peter Edgar) · Octavia Spencer (Harriet Wilson) · Norbert Leo Butz (Schuldirektor Dan)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung | Psychothriller
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IMDb

Familiendrama um einen jungen Mann aus Eritrea, der an einer US-High-School in einen Konflikt mit einer Lehrerin und seinen weißen Adoptiveltern gerät.

Aktualisiert am
13.01.2025 - 15:01:57
Diskussion

Man stelle sich vor, der eigene Sohn fiele in der Schule im Unterricht durch Äußerungen auf, die Gewalt als legitimes Mittel darstellen, um sich Ungerechtigkeiten zu widersetzen. Zu allem Übel würden auch noch illegale gefährliche Feuerwerkskörper in seinem Besitz gefunden. Würde man ihm glauben, dass seine Äußerungen nicht seine Überzeugungen sind, sondern objektive Beiträge zu einer Diskussion? Und würde man es ihm abnehmen, dass die Feuerwerkskörper nicht die seinen seien? Wie weit geht das Vertrauen in einen geliebten Menschen, wenn allzu vieles gegen ihn spricht?

Die Verdammten dieser Erde

In eine ähnliche Situation geraten Amy (Naomi Watts) und Peter Edgar (Tim Roth) mit ihrem Sohn Luce (Kelvin Harrison Jr.). Der Kontext ist allerdings verschärft: Denn Luce wurde von ihnen adoptiert, als er mit sieben Jahren aus Eritrea in die USA floh. Seit zehn Jahren leben sie nunmehr als Familie zusammen. Luce ist der Stolz der Eltern und der Schule, wo er bislang mit hervorragenden Leistungen und großem Engagement immer nur positiv aufgefallen ist. Von einem Tag auf den anderen gerät diese Erfolgsgeschichte jedoch ins Wanken, als Luces Geschichtslehrerin Harriet Wilson (Octavia Spencer) in einem Aufsatz über Frantz Fanon festzustellen glaubt, dass er Gewalt als probates Mittel des Widerstands vertritt. Hinzu kommt, dass sie in seinem Spind illegale Feuerwerkskörper findet. Luce wehrt sich. Die Aufgabe des Aufsatzes sei gewesen, die Perspektive des Autors einzunehmen und nichts anderes habe er getan. Die Feuerwerkskörper seien nicht von ihm, sein Spind werde auch von Mitschülern verwendet.

Vielleicht ist es eine Schwäche des Films, dass wir keine Zeile aus Luces Aufsatz zu lesen bekommen. Als Harriet Amy in die Schule bestellt, um darüber zu sprechen, beschreibt sie Frantz Fanon als pan-afrikanischen Revolutionär, der argumentiert habe, dass Gewalt eine notwendige "cleansing force" sei, um die kolonisierten Menschen von den Kolonisatoren zu befreien. In der deutschen Übersetzung von Fanons in französischer Sprache (er wurde auf Martinique geboren) verfasstem Buch "Die Verdammten dieser Erde" steht an dieser Stelle, dass die "Gewalt entgiftend" wirke. Man könnte es vermutlich auch aggressiver übersetzen. Amy fragt entsetzt, ob Fanons Werk Unterrichtsstoff sei. Harriet verneint dies.

"Habt den Mut Fanon zu lesen", hat Jean-Paul Sartre 1961 in seinem Vorwort zu Fanons als Manifest bezeichnetem Werk geschrieben, das als Schlüsselwerk der postkolonialen Theorie gilt. Luce hat also nicht nur den Arbeitsauftrag erfüllt, er hat zudem den Mut bewiesen, eine zwar streitbare, aber mit seiner Herkunft stark verknüpfte historische Persönlichkeit für seinen Aufsatz auszuwählen. Doch seine erfolgreiche Integration in die Gesellschaft, die Amy nachdrücklich der Lehrerin gegenüber betont, sah offenbar vor, dass seine Herkunft komplett aus seiner Erinnerung zu eliminieren sei. Dem sich nun anbahnenden Konflikt zwischen den Eltern, Luce und der Lehrerin wird eine weitere Portion Komplexität dadurch verabreicht, dass Harriet Wilson ihrerseits schwarz ist und mit hoher Wahrscheinlichkeit afrikanische Vorfahren hat, die als Sklaven nach Amerika gebracht wurden.

Die Stereotypen entgiften

Der Konflikt schwelt indessen schon länger, denn Harriet hat Luces Schulfreund DeShaun (Brian Vaughn Bradley Jr.) aus dem Laufteam geworfen, nachdem sie Marijuana in seinem Spind gefunden hatte. Luce missfällt grundsätzlich, wie Harriet mit Stereotypisierung verfahre, worin er „Tokenismus“ zu erkennen glaubt – also sich für Minderheiten lediglich „symbolisch“ einzusetzen, um den Eindruck von Chancengleichheit zu erzeugen. Doch auch seine Perspektive wird in Frage gestellt, da deutlich wird, wie stark Harriets eigene Identität (ihre Schwester leidet unter einer nicht näher benannten psychischen Erkrankung) vom Schwarzsein geprägt ist. Die Eskalation könnte vielleicht noch aufgehalten werden. Doch unaufhörlich verstricken sich alle Beteiligten nur noch mehr in misslingende Kommunikationsvorgänge und der Rassismus zeigt seine hässliche Fratze. Eine friedliche „Entgiftung" erscheint zunehmend aussichtslos.

Julius Onah, der mit „Captain America: Brave New World“ im Februar seinen ersten Blockbuster in die Kinos bringen wird, erzählt mit „Luce“ eine sehr aktuelle Geschichte um latenten Rassismus in Zeiten zunehmender Unsicher- und Ungewissheiten. Basierend auf einem Theaterstück, wird der aufflammende Konflikt sehr dicht und spannend entwickelt. Die Dialoge sowie die Reden, die Luce an der Schule hält, sind von geschliffener Qualität und werden von der exquisiten Schauspieler:innen-Riege kongenial umgesetzt. Auch visuell weiß der Film zu überzeugen, weil es immer wieder gelingt, durch die Inszenierung der Figuren zueinander und zur Kamera – ihre Distanzen zueinander und wie sie sich im Raum bewegen – und die dabei unterstützend wirkende Montage die zunehmende Stimmung gegenseitiger Verdächtigungen plausibel zu machen.

2019 konkurrierte „Luce“ beim Sundance Film Filmfestival um den Hauptpreis. In den Kinos war er nur kurz zu sehen, hierzulande gar nicht. Jetzt kann man diese Perle des amerikanischen Independentkinos wenigstens streamen.

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