Drama | Japan 2025 | 412 (sieben Folgen) Minuten

Regie: Hirokazu Kore-eda

Japan in den 1970ern: Vier Schwestern müssen sich der Tatsache stellen, dass ihr Vater ihre Mutter schon länger mit einer anderen Frau betrügt und mit dieser einen Sohn hat. Nun stellt sich für die vier Frauen, die in unterschiedlichen Lebens- und Liebessituationen stecken, die Frage, ob sie den Vater konfrontieren, die Mutter einweihen oder alles unter den Teppich kehren sollen. Das Remake einer gleichnamigen Dramaserie von 1979 fügt sich thematisch perfekt ins Werk von Hirokazu Kore-eda, das seit Jahrzehnten um die japanische Familie und deren zunehmende soziale Desintegration kreist. Die siebenteilige Serie ist eine intime, figurenzentrierte, Skandalisierung und große dramatische Bögen vermeidende Erkundung eines komplexen Familiengefüges in Zeiten eines gesellschaftlichen Wandels in Bezug auf Männer-, Frauen- und Familienbilder. Vor allem die Beziehung der Schwesterm untereinander, gemeinsame Rituale und Erinnerungen fungieren dabei als Wärmezentrum. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ASURA NO GOTOKU
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
BUN-BUKU
Regie
Hirokazu Kore-eda
Buch
Hirokazu Kore-eda
Kamera
Mikiya Takimoto
Musik
Tsukasa Inoue · Hidehiro Kawai · Ryô Kishimoto
Schnitt
Hirokazu Kore-eda
Darsteller
Machiko Ono (Makiko) · Rie Miyazawa (Tsunako) · Yu Aoi (Takiko) · Suzu Hirose (Sakiko) · Masahiro Motoki (Takao Satomi)
Länge
412 (sieben Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Serie
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Eine in den 1970ern angesiedelte Familien-Dramaserie von Hirokazu Kore-eda: Vier Schwestern entdecken, dass ihr alter Vater eine Affäre hat.

Diskussion

Die Fotos, die er selbst aufgenommen hat, haben genug Unheil angerichtet, findet Katsumata (Ryuhei Matsuda). Dabei verdient er als Privatdetektiv sein Geld genau mit solchen Aufnahmen. Diese speziellen zeigen einen alten Mann, Kotaro (Jun Kunimura), beim intimen Zusammensein mit einer Frau, die nicht dessen eigene ist. Der Nachweis ehelicher Untreue hat jedoch das Leben einer ganzen Reihe von Menschen in Unordnung versetzt; inzwischen auch Katsumatas eigenes. Deshalb möchte er reinen Tisch machen und die Bilder verbrennen.

Allerdings ist Katsumata auf die Schnapsidee gekommen, die Fotos ausgerechnet in einem öffentlichen Park in Brand zu setzen, und zwar gemeinsam mit Takiko (Yu Aoi), die die Tochter des Ehebrechers ist und zunächst auch Katsumatas Auftraggeberin war. Inzwischen jedoch haben die beiden sich ineinander verliebt. Eine verfahrene Situation also, und Katsumatas Zündeleien wirken als – was sonst – Brandbeschleuniger. Das Feuer im Park droht außer Kontrolle zu geraten, Katsumata und Takiko landen auf der Polizeistation.

Gegen das Unter-den-Teppich-Kehren

Der Versuch, einen Skandal unter den Teppich zu kehren, beziehungsweise ungeschehen zu machen, macht alles nur noch schlimmer. Wogegen Hirokazu Kore-edas für Netflix umgesetzte Serie „Asura“ mit einiger Vehemenz, aber gleichzeitig vielen Nuancen anfilmt, das ist gerade diese Idee: dass alles schon irgendwie gut und geordnet weitergehen wird, solange alle peinlichen Geheimnisse, aber auch alle verborgenen Sehnsüchte, Begehren und Ängste dort bleiben, wo sie hingehören, nämlich unter dem Teppich.

Oder auch: verborgen zwischen alten Kimonos. Dort bewahrt Kotaros Ehefrau Fuji (Keiko Matsuzaka), stellt sich im Lauf der Serie heraus, erotische Zeichnungen auf, die sie als junge Braut, wie es damals in Japan üblich war, auf ein auch sexuell erfülltes Eheleben vorbereiten sollten. Nur dass ihr Mann dann bei jeder Gelegenheit fremdging, während sie frustriert zuhause auf ihn wartete.

Vier Schwestern ringen darum, wie sie mit der Untreue des Vaters umgehen

„Asura“ ist das Remake eines gleichnamigen Fernsehdramas aus dem Jahr 1979. Die Handlung orientiert sich recht eng an der auf einem Drehbuch der in Japan legendären Fernsehautorin Kuniko Mukoda basierenden Originalserie. Im Zentrum stehen das alte Ehepaar Kotaro und Fuji sowie dessen vier Töchter. Neben der Bibliothekarin Takiko sind das deren jüngere, freigeistige Schwester Sakiko (Suzu Hirose), sowie die etwas ältere Makiko (Machiko Ono), die verheiratet ist und zwei Kinder hat, sowie die verwitwete älteste Schwester Tsunako (Rie Miyazawa).

In Gang kommt die Handlung durch die bereits erwähnte detektivische Ermittlung, beziehungsweise deren Ergebnis: Takiko hat zu Beginn der Serie mithilfe des Detektivs Beweise für die Untreue des Vaters zusammengetragen. Diese präsentiert sie nun ihren Schwestern. Gemeinsam fragen sie sich: Was sollen wir tun? Sollen wir unseren Vater konfrontieren? Die Mutter einweihen? Oder eben doch, dafür plädiert insbesondere Makiko, alles unter den Teppich kehren? Ist die Geschichte nicht überhaupt eine Privatangelegenheit, die nur die beiden Eheleute etwas angeht? Eine zusätzliche Komplikation: Die Geliebte des Vaters hat ein Kind, einen sechsjährigen Jungen. Haben die vier Schwestern womöglich noch einen Bruder?

Jedenfalls wird schnell klar: Nicht der Skandal selbst steht in „Asura“ im Zentrum, sondern was aus ihm folgt, was er mit den Menschen, die ihn betreffen, macht. Ähnliches gilt für die anderen Handlungsstränge der aus sieben circa einstündigen Folgen bestehenden Serie, die sich vor allem um das Liebesleben der Schwestern drehen. Da ist zwar auch jede Menge los: Makikos Mann Takao (Masahiro Motoki) geht ebenfalls fremd; Sakiko wiederum ist mit dem Boxer Hide (Kisetsu Fujiwara) zusammen, der keinen allzu soliden Eindruck macht; Takiko hat im Kreis der Familie einen Ruf als graue Maus und schreckt vor intimen Beziehungen zurück – bis sie sich dem Detektiv Katsumata annähert; Tsunako schließlich hat, obwohl ihr Mann gestorben ist, von allen vier das womöglich erfüllteste Intimleben, dank einer Affäre mit einem älteren Mann, die sie allerdings vor der gesamten Familie geheim hält.

Das Patriarchat ist nach außen hin noch intakt

Aber all das ist bloß der Ausgangspunkt. Soap-opera-mäßige Verwicklungen interessieren Koreeda, interessierten schon das Original aus den 1970er-Jahren nicht die Bohne. Im Zentrum stehen die Versuche der Schwestern, mit ihrem eigenen Leben und auch mit dem ihrer Eltern klarzukommen. Verschärft wird der Generationenkonflikt durch das historische Setting: „Asura“ 2025 ist nicht in unserer Gegenwart, sondern in der der Originalserie, im Jahr 1979, angesiedelt. Die Frauen tragen oftmals noch traditionell japanische Kleidung, und auch das japanische Patriarchat ist nach außen hin intakt. Nach der Ehe ist der Mann wie selbstverständlich Alleinverdiener und Herr im Haus, die Frau arbeitet ihm zu, trägt ihm die Hausschuhe hinterher.

So zumindest das Leben, das die Elterngeneration den vier Schwestern vorlebt. Die sich ihrerseits mal mehr (Sakiko) mal weniger (Makiko) deutlich von diesen Vorgaben zu lösen versuchen. Im Kino schauen sie amerikanische Filme – „Saturday Night Fever“, „Rocky II“ – und finden dort andere Lebensentwürfe. Die Versprechungen der Moderne kollidieren freilich nicht nur mit den Zwängen der Tradition, sie sind auch in sich selbst widersprüchlich; allzu schnell kann – in der Serie muss das insbesondere Takiko feststellen – der Wunsch nach Unabhängigkeit in soziale und emotionale Isolation umschlagen. Immer wieder findet Kore-eda Bilder, die von dieser Isolation und der Sehnsucht nach ihrer Überwindung künden. Gleich mehrmals zum Beispiel sind Liebende durch Glasscheiben voneinander getrennt. In einer besonders schönen Szene hauchen sich Takiko und Katsumata gegenseitig Liebesbotschaften auf Fensterglas.

Die Schwesternbeziehung gibt Halt und Wärme

Romantische Zweierbeziehungen sind jedoch gerade nicht das, worauf hier alles zuläuft. So sehr sie sich auch gegenseitig auf die Nerven zu gehen verstehen (Sakiko insbesondere ist eine Meisterin in der Kunst, Takiko auf die Palme zu bringen), sind die Schwestern doch fast stets dann am glücklichsten oder jedenfalls unbeschwertesten, wenn sie zu viert beisammen sind, einander beistehen, Pläne schmieden, lästern. Sowie auch: gemeinsam kochen und essen. Die familiären Rituale und gemeinsamen Erinnerungen geben Halt und verleihen der Serie auch insgesamt eine einnehmende Wärme.

All dies fügt sich thematisch perfekt in Koreedas Werk, das seit Jahrzehnten um die japanische Familie und deren zunehmende soziale Desintegration kreist. Dennoch ist „Asura“ keineswegs nur ein etwas länger geratener Koreeda-Film. Der Vorlage bleibt der Regisseur auch insofern treu, als er den Versuch unterlässt, sie in „Cinematic Television“ zu übersetzen. Stattdessen belässt er es bei dem, was „Asura“ schon im Jahr 1979 war: intimes, figurenzentriertes Erzählfernsehen. Nicht auf große dramatische Bögen und auch nicht auf Naturalismus um jeden Preis zielt die Serie; sondern darauf, uns mit vier Frauen, und durchaus auch mit dem keineswegs eindimensional als Haustyrann geschilderten Vater, vertraut zu machen. Als wären wir selbst ein paar Stunden lang Mitglieder einer japanischen Familie der späten 1970er-Jahre.

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