Drama | Großbritannien 2025 | 388 Minuten (acht Folgen)

Regie: Brady Hood

TEin brillanter Postdoktorant der Mathematik steht kurz davor, eine Formel zur Entschlüsselung von Primzahlsequenzen zu beweisen. Eine Formel, die die Entschlüsselung nahezu aller digitalen Sicherheitssysteme ermöglichen würde und entsprechend bald die NSA und andere Geheimdienste und -gesellschaften auf den Plan ruft. Zwischen Agenten-Thriller und Wissenschaftsethik angesiedelt, vermeidet die Serie von Showrunner Steve Thompson viele der gängigen Genre-Klischees, findet aber in einem allzu verschachtelten Plot aber nicht zum tragischen Kern der Geschichte. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
PRIME TARGET
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2025
Produktionsfirma
New Regency Prod./Scott Free Prod./Jacaranda Prod.
Regie
Brady Hood
Buch
Steve Thompson
Kamera
Dan Atherton
Musik
Arthur Sharpe
Schnitt
Rebecca Lloyd · Beverley Mills
Darsteller
Leo Woodall (Edward Brooks) · Quintessa Swindell (Taylah Sanders) · Stephen Rea (Professor James Alderman) · David Morrissey (Professor Robert Mallinder ) · Sidse Babett Knudsen (Professor Andrea Lavin)
Länge
388 Minuten (acht Folgen)
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Serie
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Thrillerserie um einen Postdoktorant der Mathematik, der in Schwierigkeiten gerät, als seine Arbeit das Interesse von Geheimdiensten und anderen, dubiosen Organisationen erregt.

Diskussion

Die Stare fliegen über Cambridge. Dicht gedrängt zu einem gewaltigen, wabernden Organismus, erheben sie sich in die Luft, scheinbar von Spontanität und Reflex geleitet. Was für andere ein ästhetisches Phänomen ist, sieht Edward (Leo Woodall) als intellektuelle Herausforderung. Ihn interessiert nicht die Schönheit der über Jahrmillionen der Evolution gewachsenen Koordination zwischen den Vögeln. Edward sucht Muster, die Zahlen, die hinter allem stehen. Die DNA von allem. Der Postdoktorand sieht Muster, wo andere Vögel sehen; wo andere die Zahl 204 sehen, sieht er die Quadratur der Zahl, die sich als Summe aus drei aufeinanderfolgenden Würfeln zusammensetzt. Sein Verstand hat Zugriff auf Dinge, die normal getaktete Gehirne nicht zu sehen vermögen. Nicht einmal sein Professor Robert Mallinder (David Morrissey) vermag ihm das Wasser zu reichen. Sicher, auch er kann die Zahl 204 mit sich selbst multiplizieren und in drei Würfel zerlegen, doch er selbst ahnt bereits, dass die Fähigkeiten des Jungen weit über das eigene Potenzial hinausgehen. Edward Brooks ist ein moderner Alan Turing: weit jenseits von hochbegabt, so abstrakt denkend, dass er wieder und wieder Probleme mit dem Zwischenmenschlichen hat. Wie Turing ist er homosexuell; doch anders als bei dem viele Jahrzehnte vor ihm geborenen Mathematiker ist es nicht seine sexuelle Orientierung, die ihn in Schwierigkeiten bringt. Es ist seine Forschung.

Die NSA hört mit

Edward interessiert sich für Primzahlen. Bei Zahlenspielen wie dem Geburtstag der Mitbewohnerin  – die wird 23 – ist das noch die harmlose soziale Unbeholfenheit des Genies. Dort, wo Edward kurz davorsteht, ein Muster für die Sequenzierung aller Primzahlen zu finden, wird die Sache heikel. Alan Turing schaffte es, die Verschlüsselung der Enigma-Maschinen zu knacken; Edwards Arbeit könnte es ermöglichen, jegliche Primzahl-basierte Verschlüsselung, sprich, nahezu jede Form der digitalen Verschlüsselung, zu knacken. Zur Hilfe kommt ihm ein nicht ganz zufälliger Fund in der irakischen Hauptstadt. In Bagdad werden bei einer Explosion antike Inschriften entdeckt, die eben keine Schriftzeichen, sondern Primzahl-Sequenzen zeigen – das geheime Vorwissen, das die Brücke bildet, die Edwards Arbeit fehlte.

Was Edward nicht weiß: die NSA hört längst interessiert mit. Agent Taylah Sanders (Quintessa Swindell) schaut von ihrem Unterschlupf Sizilien aus täglich in Cambridge, Stanford und Co. rein, um ein Auge auf die führenden Mathematiker der Welt zu haben. Sie ist nicht die einzige. Edwards Forschung ist eine digitale Atombombe. Wichtig genug, dass sich der Postdoktorand bald inmitten eines Komplotts wiederfindet, das Professor Mallinder und diverse NSA-Agenten das Leben kostet. Staatliche Sicherheitsdienste und akademische Geheimzirkel stellen bald gleichermaßen Anspruch auf Edwards Forschung.

Agenten-Thriller und Forschungsreise

„Prime Target“ ist zu gleichen Teilen Agenten-Thriller und Forschungsreise. Thematisch verankert ist die Serie eben dort, wo Sicherheit und Forschung moralisch kollidieren. Die Frage, die sich Alan Turing nicht stellte, als er die Verschlüsselungsmechanismen der Wehrmacht durchdrang, ist für Edwards Forschung entscheidend. Wie verändert seine Forschung die Welt? Oder, und eben daraus strickt Showrunner Steve Thompson seine Erzählung: Wer verändert mit Hilfe seiner Forschung die Welt? Die anfängliche Verteidigungslinie des Mathematikers, er erfinde nichts, sondern enthülle nur Wahrheit, die wie die Naturgesetze schon immer da war und immer gültig sein werde, sieht einige Todesfälle später schon deutlich weniger nach einem moralisch haltbaren Argument aus. Die Diskussion ist spannend, besonders mit der ständigen Erinnerung an die Bedrohungsszenarien, die die Fähigkeit, jede Form der digitalen Verschlüsselung knacken zu können, mit sich bringt.

Die Serie selbst ist indes weniger spannend und allzu sehr in das Hin und Her verstrickt, das zwischen Agententhriller und Genieklischees entsteht. „Prime Target“ ist sichtbar fasziniert vom Potenzial des menschlichen Verstands. So lassen die Seienmacher die hochbegabten Figuren ihren Biorhythmus ändern, um 23 Stunden am Tag zu arbeiten, aus den Tiefen ihres Gedächtnisses seitenlange abstrakte Herleitungen hervorzaubern und in Parallelgesellschaften jenseits der Regierungen der Welt mitentscheiden, wie sich der Globus dreht. Interessanter als der hochbegabte Agent wider Willen ist der Agentinnen-Gegenentwurf der Serie. Quintessa Swindell verkörpert das ultrastylische Hacker-Nerdtum ebenso wie den gnadenlosen Pragmatismus der Geheimdienstarbeit. Ohne die Testosteron-Injektion der Agentenklischees tritt „Prime Target“ allerdings recht häufig auf der Stelle. „Wem kann man die Ergebnisse der Forschung anvertrauen?“, ist eine für die Dramaturgie letztlich weniger dringliche Frage als „Wie kommen wir da lebend raus?“. Die Antwort, die „Prime Target“ gibt, will dann doch nicht ganz ohne Muskelkraft auskommen, will doch lieber Agententhriller als tragische Wissenschaft sein. Edward Brooks geht also nicht tragisch wie Alan Turing oder Robert Oppenheimer in die Geschichte ein, sondern lebt irgendwie weiter, zwischen den Welten, zwischen den Genres.

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