Im englischen „Nightmare“ („Albtraum“) und im französischen „cauchemar“ hat sie in der Sprache ihre Spuren hinterlassen: die sagenhafte Figur des Mahr, Nachtmahr oder Nachtalb aus der nordischen Folklore, jenes dunkle Wesen, das des Nachts in die Zimmer der Schlafenden eindringt, drückend auf ihnen lastet und sie mit schrecklichen Träumen plagt. Und auch popkulturell hat der Mahr überlebt, zuerst in der Schauerromantik – man denke an Johann Heinrich Füsslis berühmtes Gemälde von dem kleinen Dämon, der auf der Brust einer pittoresk hingegossenen, weißgekleideten Frauenfigur hockt –, dann im Horrorgenre. Die norwegische Filmemacherin Kjersti Rasmussen bringt das Motiv, das in Variationen nicht nur durch die nordischen Erzähltraditionen geistert, sondern ähnlich wie der Vampir-Mythos international ist, in ihrem mit überschaubarem Budget, aber großer Sorgfalt inszenierten Horrorfilm „Nightmare“ in Zusammenhang mit dem Phänomen der sogenannten „Schlafparalyse“.
Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Albtraum verschwimmen
Dabei handelt es sich um eine Schlafstörung, die laut Schlafforschern rund 40 Prozent aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben erleben: Während der Geist erwacht, bleibt der Körper, wie in der REM-Phase, bewegungsunfähig, was massive Panik auslösen kann, physisch aber eigentlich ungefährlich ist. Nicht so aber bei Kjersti Rasmussen: Für ihre Hauptfigur, eine junge Frau namens Mona (Eili Harboe), die gerade zusammen mit ihrem Liebsten Robby (Herman Tømmeraas) eine Altbau-Wohnung gekauft hat und nun beim Renovieren ist, wird die Nachtruhe in dem neuen Zuhause zur Pforte in einen unheimlichen Limbo zwischen Schlaf und Wachzustand, deren Grenzen zunehmend verwischen. Die bedrohliche Gestalt, die dort auf sie lauert, erfüllt sie nicht nur mit Angst, sondern hat es ganz dezidiert auch auf ihren Körper abgesehen. Genauer: auf ihre Gebärmutter.
Kjersti Rasmussen, Autorin solider Spannungs- und Gruselstoffe wie „The Tunnel“ und „Villmark Asylum“, macht den Mahr, der hier bezeichnenderweise äußerlich erstmal nicht monströs daherkommt, sondern die Gestalt von Monas Partner hat, zur Verkörperung eines Angst-Komplexes, der in letzter Zeit im Horrorkino, nicht zuletzt in dem von Filmemacherinnen, fröhliche Urstände feiert: Es geht um weibliche Ängste rund um Schwangerschaft und Mutterschaft, wie sie zuletzt etwa Michelle Garza Cervera in „Die Knochenfrau“, Marie Alice Wolfzahn in „Mother Superior“ oder Mar Targarona in „Der Fluch des Kuckucks“ aufs Tapet brachten.
Kampf um die Kontrolle über den Schlaf und über den Körper
In „Nightmare“ steht das Motiv der Schwangerschaft fast von Anfang an im Raum. Dass sich das junge Paar die Altbauwohnung überhaupt leisten konnte, liegt daran, dass darin zuvor eine schwangere Frau ums Leben kam, was den Kaufpreis gedrückt hat. Bei der Party, mit der Mona und ihr Partner Robby den Einzug in die neue Wohnung feiern, geht es unter den Freunden bald darum, ob bei den beiden demnächst auch mit dem ersten Baby zu rechnen sei; dann wird die Feier von einem seltsamen, psychisch etwas daneben wirkenden Nachbarn gestört, der sich als junger, mit seinem Baby offensichtlich überforderter Vater entpuppt.
Später im Bett bricht Robby den sich anbahnenden Sex mit Mona ab, als er das Monatsblut in ihrem Slip sieht – und bald darauf begegnet Mona zum ersten Mal in einem Traum dem unheimlichen Doppelgänger ihres Liebsten. Der scheint da noch eine harmlose erotische Fantasie zu sein. Doch von da an verliert Mona nicht nur zunehmend die Fähigkeit, ruhig zu schlafen, sondern auch die Kontrolle über ihren Körper. Schließlich wendet sie sich hilfesuchend an einen Schlafforscher, der sich auch mit den Mythen rund um den Nachtmahr und ähnliche Figuren in anderen Kulturen auseinandergesetzt hat. Mit seiner Hilfe nimmt sie den Kampf gegen das Numinose auf, das mehr und mehr Besitz von ihr zu ergreifen scheint.
Die durchdachte Inszenierung sorgt für atmosphärischen Grusel
Inhaltlich erfindet Rasmussen das Genre nicht neu, arbeitet aber stringent mit ihren Motiven und konzentriert sich darauf, inszenatorisch so viel wie möglich aus dem herauszuholen, was ihr zur Verfügung steht. Und das sind: Zwei sehr gute Hauptdarsteller, die die Paar-Dynamik zwischen Mona und Robby souverän zum zentralen Spannungsmotor des Films machen (wobei der Schwerpunkt auf Eili Harboe liegt, aus deren Perspektive die Handlung aufgerollt ist). Ein suggestives Production-Design und eine kluge Kameraarbeit, die ohne großen Effekt-Firlefanz souverän dafür sorgen, dass das Ineinanderfließen von äußerer Welt und innerer Welt, das Mona mehr und mehr erlebt, und ein wachsendes Gefühl der Beklemmung von den Zuschauerinnen nachgefühlt wird. Und last but not least ein verstörendes Sounddesign, das subtil die Stimmung ins Albtraumhafte kippen lässt, auch wenn auf der Handlungsebene noch nichts Schlimmes passiert.
Der Schrecken speist sich hier stets weniger aus dem, was manifest wird, als aus der stetig größer werdenden Ungewissheit. Zusammen mit der weiblichen Hauptfigur verliert man mehr und mehr den stabilen Boden des Faktischen unter den Füßen und findet ihn bis zum bitteren Ende nicht wirklich wieder.