Animation | Japan 2023 | 95 Minuten

Regie: Yoshiyuki Momose

Ein junges Mädchen erlebt gemeinsam mit seinem imaginären Freund die tollsten Abenteuer. Eines Tages taucht ein mysteriöser Mann auf, der den Fantasie-Jungen sehen kann und ihn bedroht – und der damit womöglich auch dem Mädchen schaden kann. Die Romanadaption lässt flirrend reale und fantastische Welten ineinanderfließen und besticht insbesondere durch die schwelgerische visuelle Darstellung, die sich auf den Charme handgezeichneter Animationsfilme besinnt und CGI-Effekte durchdacht einsetzt. Der Film spricht kindgerecht existenzielle Fragen über das Erinnern und Vergessen sowie den Umgang mit Trauer an, verliert sich allerdings teilweise auch in Begründungen und Nebenhandlungen. - Ab 10.
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Filmdaten

Originaltitel
YANEURA NO RAJÂ
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Studio Ponoc
Regie
Yoshiyuki Momose
Buch
Yoshiaki Nishimura
Kamera
Susumu Fukushi
Musik
Agehasprings · Kenji Tamai
Schnitt
Toshihiko Kojima
Länge
95 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 10.
Genre
Animation | Anime | Fantasy | Jugendfilm | Kinderfilm
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Anime-Verfilmung des gleichnamigen Jugendbuchs von A. F. Harrold: Ein fantasievolles Mädchen hat einen imaginären Freund. Als ein unheimlicher Fremder auftaucht, geraten die beiden in große Gefahr.

Diskussion

Es war eine Hiobsbotschaft, als das Studio Ghibli 2014 die vorübergehende Schließung seiner Produktionsabteilung bekanntgab, galt die Firma doch als verlässlicher Garant für qualitativ hochwertige, erzählerisch überraschende und berauschend inszenierte Animes und war maßgeblich daran beteiligt, diese besondere Form der Animation auch außerhalb Japans populär zu machen. Mittlerweile produziert das Studio Ghibli wieder, muss sich aber nun auch gegen junge Firmen behaupten, die von ehemaligen Ghibli-Mitarbeitern gegründet wurden – wie etwa das Studio Ponoc von Yoshiaki Nishimura, das mit „Der Imaginäre“ nun seinen zweiten Langfilm seit „Mary und die Blume der Hexen“ vorlegt.

Kein Mensch steht im Mittelpunkt der Geschichte, die auf dem gleichnamigen Roman von A.F. Harrold beruht, sondern ein imaginärer Freund. Seit drei Monaten, drei Wochen und drei Tagen gibt es Rudger. Seither weicht er dem Mädchen, das ihn erdacht hat, nicht mehr von der Seite. Mit Amanda reist er in zauberhafte Welten und erlebt große Abenteuer. Kaum besteigen die beiden einen Pappkarton, verwandelt dieser sich schon in einen fliegenden Schlitten und das Kinderzimmer löst sich auf. Alles ist möglich, wenn die beiden spielen. Und niemand außer Amanda kann Rudger sehen – bis eines Tages der ziemlich unheimliche Mr. Bunting auftaucht.

Mr. Bunting kann Rudger nicht nur sehen, sondern auch riechen. Er giert regelrecht nach dem Jungen und will ihn fressen. Eine wahre Horrorgestalt, deren Auftauchen dann auch dazu führt, dass Amanda von einem Auto angefahren und schwer verletzt wird. Auf der Flucht weist ein alter Kater Rudger den Weg in eine magische Welt, in der lauter in Vergessenheit geratene imaginäre Freunde leben. Indem sie sich in die Fantasiespiele fremder Kinder schleichen, können sie sich ihre Existenz bewahren. Als Rudger jedoch hört, dass Amanda gestorben sein soll, wagt er noch einmal die Reise zurück in die reale Welt, um nach seiner Freundin zu sehen – auch auf die Gefahr hin, sich in der Realität in Nichts aufzulösen.

Eine Feier des Augenblicks und gegenwärtigen Glücks

Es sind existenzielle Themen, die „Der Imaginäre“ in eine durch und durch fantastische Geschichte verpackt. Um die Angst vor dem Verschwinden geht es, um das Vergessenwerden, auch um den Tod und um Abschiede. Grausam ist dabei, dass es für die Imaginären nahezu kein Entrinnen vor ihrem Schicksal gibt. So sicher der Tod für die Menschen ist, so sicher ist, dass Kinder ihre imaginären Freunde irgendwann vergessen werden. Das ist eine Prämisse, die durchaus Angst machen kann und die den Film zu einer Feier des Augenblicks und gegenwärtigen Glücks macht.

Die Bildwelten sind großes Kino

Bildgewaltig inszeniert Yoshiyuki Momose die Traumwelten der Kinder mit all ihren verrückten Einfällen, in leuchtenden Farben erstrahlt die Stadt, in die sich die Bibliothek der Imaginären nachts verwandelt. Aus unzähligen Büchern setzt sich dann etwa ein fantastisches Venedig zusammen, ein ungemein lebendiger Ort, der zum Staunen einlädt und in seiner detailfreudigen Gestaltung ganz klar macht, dass das Studio Ponoc nicht für den kleinen Bildschirm, sondern eigentlich für die große Leinwand produziert.

Und doch verliert sich der Film gerade in diesen ausschweifenden Szenen ein wenig und tut sich schwer damit, die Motive der Figuren zu vermitteln. Will Rudger nun Amanda retten – oder doch nur sich selbst? Manchmal bleibt rätselhaft, wer da nun welche Macht hat und in welcher Beziehung die Imaginären zu den realen Menschen stehen. Auch Mr. Bunting, eine im Grunde spannende Mischung aus Monster und tragischem Peter Pan, der sich mit aller Gewalt seine kindliche Vorstellungskraft bewahren will, bleibt so wenig greifbar wie das geisterhafte Mädchen, das ihn begleitet und geradewegs einem J-Horrorfilm entsprungen zu sein scheint. Viele große Fragen schwirren durch den Film, werden aber nur gestreift. All dies schwächt die Wirkung des Films, der mit seinen philosophischen Gedanken über das Erinnern, das Vergessen und das Glück nie die Tiefe von „Alles steht Kopf“ erreicht, der über dieselben Themen in einer Nebenhandlung ungleich berührender erzählt hat.

Verblüffender Detailreichtum

Große Handwerkskunst ist „Der Imaginäre“ nichtsdestotrotz. Der Detailreichtum der handgezeichneten Hintergrundbilder ist verblüffend, die digital erzeugten Schattierungen und Lichteffekte – entstanden in Zusammenarbeit mit dem französischen Studio Les Films du Poisson Rouge, das auch schon für die Shading-Effekte in „Klaus“ von Sergio Pablos verantwortlich zeichnete – betten die Figuren in die Welt ein und charakterisieren sie. Auch das ist ein Erbe des Studio Ghibli: Wie mit sorgfältig animierten Figuren Zeichnungen Leben eingehaucht werden kann, die dann, im besten Falle, in Erinnerung bleiben.

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