Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 73 Minuten

Regie: Meri Koivisto

Auf sympathische Weise porträtiert der essayistische Dokumentarfilm Menschen aus dem abgelegenen finnischen Städtchen Kuhmo, das einmal im Jahr während eines Kammermusikfestivals zum Leben erwacht. Der Fokus liegt dabei auf den Vorbereitungen und dem Drumherum der Konzerte, weniger auf der Musik. Was die Stadt für ein solches Festival prädestiniert und warum die Kammermusik dort emphatischer aufgenommen wird als anderswo, beleuchtet der eigenwillige, oft in imposanten Naturaufnahmen schwelgende Film allerdings nicht. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
shiny birch productions/inselfilm prod.
Regie
Meri Koivisto · Nils Dettmann
Buch
Meri Koivisto · Nils Dettmann
Kamera
Martin Langner · Nils Dettmann
Schnitt
Meri Koivisto · Nils Dettmann
Länge
73 Minuten
Kinostart
05.09.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Essayistischer Dokumentarfilm über das finnische Städtchen Kuhmo, das einmal im Jahr während eines Kammermusikfestivals zum Leben erwacht.

Diskussion

Mitten im Wald spielt ein Mann Akkordeon, ganz für sich allein. Eine Momentaufnahme, die aus einem Film von Aki Kaurismäki stammen könnte, dessen Kino von skurrilen Figuren und weiten nordischen Landschaften geprägt ist. Der Musiker ist nicht der einzige Eigenbrötler in dem essayistischen Dokumentarfilm „Wald:Sinfonie“. Er wird vielmehr von den seit ihrer Kindheit befreundeten Ruheständlern Pertti und Lassi als Leitfiguren getragen, die gemeinsam angeln, grillen, im Eisloch baden und saunieren.

Das verschlafene Tundra-Städtchen Kuhmo, malerisch am finnischen Lammas-See gelegen, ist für solche Aktivitäten wie geschaffen, auch wenn der Ort unter einem rapiden Bevölkerungsschwund und Insolvenzen leidet, wie man aus dem Off-Kommentar erfährt. Viele Geschäfte haben geschlossen. In der Stadt dominieren leere Schaufenster mit verblichenen Aufklebern.

Doch einmal im Jahr erwacht Kuhmo, das 600 Kilometer nördlich von Helsinki liegt, während eines zweiwöchigen Kammermusikfestivals zum Leben. Dann sind doppelt so viele Menschen in der Stadt, die alle in die Kirche zu den Konzerten strömen.

Ab in den kühlen See

Das Kammermusikfestival als Dreh- und Angelpunkt des Films „Wald:Sinfonie“ blickt auf eine langjährige Geschichte zurück. Bereits 1970 wurde es von dem Cellist Seppo Kimanen ins Leben gerufen, der sich auf seiner Suche nach einem geeigneten Ort außerhalb der großen Metropolen mit einem Brief an die Stadt wandte. Seine Idee fiel auf fruchtbaren Boden. Seither kommen jedes Jahr 150 Musiker nach Kuhmo.

Dort ist vieles allerdings ganz anders als bei den prominenten internationalen Musikfestivals in Salzburg, Luzern, Wien oder Berlin. Das beginnt schon damit, dass der Ort weit vom nächsten Flughafen entfernt ist. Die Fahrzeuge, mit denen die Künstler abgeholt werden, fahren im Laufe der zwei Wochen rund 25.000 Kilometer. In Kuhmo schwingen sich dann alle aufs Fahrrad, und nach dem Konzert steigen die Leute nicht in U-Bahn oder Bus, sondern in den kühlen See.

Die Musik aber kommt in dieser „Liebeserklärung an ihre Heimat“, wie die Regisseurin Meri Koivisto ihren Film nennt, zu kurz. Oftmals vernimmt man nur wenige Sekunden lang Schnipsel aus Werken von Bach, Mozart, Zelenka, Brahms, Schostakowitsch oder Bartok. Das ist sehr schade, denn die Chance, Interesse an Kammermusik zu wecken, die heute einen schweren Stand hat, wird durch eine solche Geringschätzung verschenkt.

In erster Linie widmen sich Koivisto und ihr Co-Regisseur Nils Dettmann unspektakulären Details während der Vorbereitungen des Festivals. Da geht es um Instrumententransporte, Anmietungen von Wohnungen für die Künstler, Werbematerialien, Einweisungen von neuen Mitarbeitern und interne administrative Abläufe. Die Kamera richtet sich meistens auf Ereignisse hinter den Kulissen und um das Festival herum. Dabei hätte man durchaus mehr von den Musikern des belgischen Danel Quartetts erfahren wollen, die „Wald:Sinfonie“ bei ihren Proben und Auftritten begleitet. Beispielsweise, warum sie trotz Mückenplage immer wieder nach Kuhmo kommen. Oder was das Besondere dieses Festivals im Vergleich zu anderen in Kronberg im Taunus, in Davos oder Lockenhaus ist? Und warum Schostakowitschs achtes Streichquartett, das mit wenigen Takten im Film wiederkehrend Raum findet, so gut an diesen Ort passt?

Eine eigenwillige Studie

„Wald:Sinfonie“ geht auch kaum der Musikbegeisterung in Finnland nach. Das drollige Pärchen Pertti und Lassi, das keine klassische Musik mag, ist dafür nicht repräsentativ. Denn im internationalen Klassikbetrieb bringt gerade Finnland mit Dirigent:innen wie Susanna Mälkki, Pietari Inkinen und dem Shootingstar Klaus Mäkelä aktuell mehr große Talente als jedes andere Land hervor.

Aber auch für die intime Form der Kammermusik ist Kuhmo nicht der einzige Ort in Finnland. In den 1980er-Jahren initiierten Dozenten der Musikhochschule in Pihtipudas, einem am Nordrand der Finnischen Seenplatte gelegenem Ort, ein Festival, das Amateuren Gelegenheit bot, gemeinsam Meilensteine der Kammermusik zu erarbeiten. Diese spannenden Phänomene lässt der Dokumentarfilm außer Acht. Immerhin bescheren die imposanten Aufnahmen vom See und Natur im Breitwandformat optische Schauwerte. Eine Sinfonie, wie der Titel suggeriert, ist der Film allerdings nicht; eher eine eigenwillige, streckenweise recht zähe sozio-geografische Studie.

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