Wo wir sind, ist oben

Satire | Deutschland 2024 | 380 Minuten (8 Folgen)

Regie: Wolfgang Groos

Unter den vielen Lobbyisten, die in Berlin im Dienst von Verbänden, Agenturen etc. jenseits der Öffentlichkeit auf politische Entscheidungen einwirken, sind ein Mann und eine Frau, die aus dem Ringen um Einfluss einen privaten Wettstreit machen. Dabei geht es um unterschiedlichste Themen, vom High-Tech-Roboter in der Pflege über den Stopp des Braunkohleabbaus in der Lausitz bis zur Weichenstellung für eine nächste Kanzlerschaft. Die achtteilige Dramedy-Serie spießt pointiert und gut recherchiert das Macht- und Strategiespiel spiel hinter den Kulissen des offiziellen Polit-Betriebs auf. Von einem exzellenten Darstellerensemble getragen, liefert die Serie zwar mitunter in ihrer Satire etwas grelle, aber im besten Sinne aufklärerische Unterhaltung. - Ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
ARD Degeto Film/Isarstrassen Film/SKY Studios
Regie
Wolfgang Groos · Matthias Koßmehl
Buch
Christian Jeltsch · Anneke Janssen · Sebastian Bleyl
Kamera
Felix Striegel · Ahmet Tan
Musik
Parov Stelar · Robert Matt
Schnitt
Lukas Meissner · Andreas Nicolai · Daniela Schramm Moura
Darsteller
Nilam Farooq (Valerie Hazard) · Helgi Schmid (Max Lentor) · Ulrike Kriener (Herta „Z“ Zickler) · Jan-Gregor Kremp (Dr. Jan Janussen) · Brix Schaumburg (Sven Grosny)
Länge
380 Minuten (8 Folgen)
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Satire | Serie
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Hinter den Kulissen der Macht in der Berliner Republik: Eine pointierte Serie über Lobbyismus und das Wetteifern zweier Figuren auf dem Parkett konkurrierender Interessen.

Diskussion

„Kennse schon den?! Steht die Merkel in der Toilette vom Bundestag am Urinal und …“ Man wird nie erfahren, was dann geschah, welche krönende Demütigung für die Männerwelt die gewiefte Machtpolitikerin in diesem Moment noch aus dem notorischen Hosenanzug zog. Denn hier bricht der Witzeerzähler, ein mittelalter, mittelschwer alkoholisierter mittlerer Manager des Berliner Politikbetriebs, bedauerlicherweise ab und kippt – tot – kopfüber auf die Tischplatte. Diese kurze Szene aus „Wo wir sind, ist oben“ (Buch: Christian Jeltsch, Regie: Wolfgang Groos) verdichtet bestens Thema und Tonalität der achtteiligen ARD-Serie zum politischen Lobbyismus in der Berliner Republik: Macht und Wahn, Macht und Wein, Gerede und Gerüchte, Hinterzimmer und schlecht verhohlene männliche Geilheit. Und nichts ist einfach nur so da und wahr, sondern alles folgt Kalkül und berechnender Absicht. „Ich würde in Berlin zum Trinker werden, vielleicht auch zum Hurenbock“, lautet ein berüchtigtes Bonmot von einem, der es wissen muss (FDP-Haudegen Wolfgang Kubicki); und man gewinnt den Eindruck, das sollte hier en detail illustriert werden – mit einigem Erfolg.

Das politische Geschäft als universales Millionenspiel

Der politische Lobbyismus, das System der Einflussnahme vielfältiger Interessenverbände auf Regierung und Opposition, wurde entwickelt und zur Perfektion gebracht in den USA der Nachkriegszeit, in den Hallen („lobbies“) und Hinterzimmern der Parteizentralen, Hauptstadtbüros von Unternehmen, NGOs und Stiftungen, die sich auf engem Raum links und rechts der Pennsylvania Avenue in Washington, D.C., drängen. Hier findet nach westlich-kapitalistischem Verstande Politik und Beratung statt, mitunter hart an der Grenze zur Illegalität. Das größere Ganze, das gesellschaftliche höchste Gut droht dabei leicht aus dem Blickfeld zu geraten; umso stärker erscheint das gesamte soziale System als Betätigungsfeld hochgradig kompetitiver (narzisstischer?) Naturen und das politische Geschäft als universales Millionenspiel.

„Wo wir sind, ist oben“ sanktioniert diese Anschauung quasi strukturell, durch formale und motivische Bezugnahme auf mindestens zwei moderne Klassiker der gesellschaftsanalytischen, -kritischen Serienerzählungen: „Bad Banks“ sowie „Mad Men“. Ebenso wie in „Bad Banks“ als Drama der Finanzkrise eine kleine Zelle divers zusammengewürfelter und motivierter, aber menschlich nahbarer Insider der unmenschlich kalten, abstrakten Arithmetik hinter Stahl und Glas gegenübergestellt wurde, begegnen uns hier im Wesentlichen die Protagonisten zweier konkurrierender Consultingfirmen und PR-Agenturen vor den schwer durchschaubaren Hintergründen deutscher und internationaler Politik.

Und so wie es im New Yorker Marketing-Meisterwerk „Mad Men“ einen Primus inter pares gab (Don Draper), dessen Schicksal Motor und Katalysator der horizontalen Fortentwicklungen der Handlung war, ist es nun im Hier und Jetzt zwischen Berlin-Mitte und der Lausitz die Figur des Max Lentor (Helgi Schmid), der um unsere und aller Aufmerksamkeit buhlt. Wie Draper hat er ein privates Geheimnis, wirkt er stark auf die Frauen (nicht immer nur vorteilhaft) und ist Hassobjekt Nummer eins einer ganz persönlichen Nemesis im Büro, in seinem Fall Kaspar Jelinek (Johannes Allmayer), des ewigen Zweiten.

Ein Messias des deutschen Polit-Betriebs

Hier auf dem vergleichsweise kleinen Areal des Machtzentrums der Berliner Republik wird die große Politik gemacht und das dazugehörige politische Marketing betrieben – von einer relativ kleinen Gruppe Privilegierter mit den meisten Zutrittskarten zu den Zirkeln der Mächtigen und einem großen Ensemble von Unterstützerfiguren, die sonst zumeist im Dunkel verbleiben, hier aber auch ihre 15 Minuten Ruhm erhaschen dürfen. Jede große Geschichte zitiert auf irgendeine Weise die allergrößte – so auch hier: Wenn Max Lentor lichtumflutet wie in einer Aureole und stets in leichter Untersicht auf seinem allgegenwärtigen E-Scooter daherschwebt, wenn er (sehr wichtig!) aller Welt gute Geschichten erzählt und dazu erklärend den Zeigefinger hebt, wenn er im gläsernen Lift auffährt zum Oberboss Dr. Janussen (Jan-Gregor Kremp) – dann glaubt man beinahe an eine Jesus-Wiederkehr!

Nur hat der Hoffnungsträger neben einer so gar nicht jungfräulichen (Zieh-)Mutter, Herta „Z“ Zickler (Ulrike Kriener) auch noch eine Schwester namens CeeCee (Valerie Stoll), die ihm mindestens so viele Scherereien macht wie weiland Maria Magdalena dem Messias im Kreise der Jünger … Und als wäre das nicht genug, tritt nach kurzer Zeit auch noch so etwas wie eine satanische Versucherfigur auf den Plan, in Gestalt von – allzu viele Namen sind hier sprechende! – Valerie Hazard (Nilam Farooq).

Freestylekampf mit nur einem Hauch von Flirt

Max und Valerie werden von ihren jeweiligen Häusern nun mit einiger Berechnung aufeinander losgelassen wie zwei Kampfhähne. Sie sollen um lukrative Aufträge und ihre möglichst spektakuläre Erledigung konkurrieren. Gerne nehmen sie diese Herausforderung an, die ihrem Naturell so völlig entspricht: Freestylekampf mit nur einem Hauch von Flirt. Es entspinnt sich in der Folge ein recht furioses Kopf-an-Kopf-Rennen, parallel mit etlichen Schnitten erzählt und von einem Soundtrack mit hoher Beatzahl wie beim Mittelstreckenlauf noch angepeitscht. Häufig begegnen sich die beiden für zu kurze, sarkastische Gespräche am Aufzug nach oben oder unten – ein treffliches, wenn auch nicht allzu originelles Bild.

Die Projekte, denen sie sich widmen sollen, sind dabei auf das Zeitgeistigste zusammengestellt: Drohnen über Dunkeldeutschland, die schnelles Internet bringen sollen, Pflegeroboter als moderne Zauberlehrlinge bei der so wichtigen wie leidigen Care-Arbeit – und: Klimawandel und Energiewende, hier enggeführt auf den Braunkohletagebau in der Lausitz. Versteht sich, dass bei derart kapitalen Menschheitsthemen alle Mittel zum guten Zweck statthaft sind: Es wird intrigiert, getrickst und doppelt und dreifach getäuscht und geblufft, dass es eine wahre Freude ist!

Aufschlussreicher Blick in den Maschinenraum der Macht

Selbst der Öko-Kitsch, von dem die Serie einiges bietet (etwa wenn im Protestcamp eine triefende Ballade im Stile Gerhard Gundermanns auf die Melodie von „Bella ciao“ erklingt), verfällt hier seiner Instrumentalisierung durch die umfassende Mediensimulation, die „Wo wir sind, ist oben“ aufbietet, Verschnitte von Anne Will (Annabelle Mandeng) und Kai Diekmann (Maximilian Grill) inklusive.

„Man muss die Leute zum Weinen bringen …“ ist hier die Maxime der meisten; kein Wunder, dass bei Max und Valerie nicht nur die Beziehung(en), sondern auch die Kommunikation darüber fundamental gestört und unmöglich ist. Obwohl beide Figuren gut und intelligent angelegt und gespielt sind, verstehen sie bis zum Ende wenig von den wahren, den wirklich wichtigen Zusammenhängen. Die Zuschauer jedoch erhalten aus der ungewöhnlichen Perspektive der Serie einen teils amüsanten, teils etwas zu grell ausgeleuchteten Blick in den Maschinenraum der Macht – aufschlussreich.

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