Das Kostbarste aller Güter

Animation | Frankreich/Belgien 2024 | 81 Minuten

Regie: Michel Hazanavicius

Animationsfilm über ein Baby, das von seinem Vater auf dem Weg nach Auschwitz aus dem Zug geworfen wird, um es vor dem sicheren Tod zu bewahren. Eine polnische Holzfällerfrau findet das Mädchen und zieht es auf. Nach anfänglichem Widerstand schließt es auch ihr Mann ins Herz. Doch dann erfahren Nachbarn von dem versteckten jüdischen Kind. Eine märchenhaft anmutende Romanverfilmung, die dem schlimmsten menschlichen Tun, dem Holocaust, das bestmöglichste Handeln gegenüberstellt: die bedingungslose Liebe. Ein betont einfach erzählter, warmherziger Film mit humanistischer Botschaft. Mitreißend sind zudem die Schönheit und Intensität der von Hand gemalten Bilder, die die Universalität der Geschichte betonen. Nur bei der musikalischen Untermalung wird teilweise zu dick aufgetragen. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
LA PLUS PRÉCIEUSE DES MARCHANDISES
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Agat Films - Ex Nihilo/Les Compagnons du Cinéma/Prima Linea Prod./Les Films du Fleuve
Regie
Michel Hazanavicius
Buch
Michel Hazanavicius · Jean-Claude Grumberg
Musik
Alexandre Desplat
Schnitt
Laurent Pelé
Länge
81 Minuten
Kinostart
06.03.2025
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Animation | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Animationsfilm über ein jüdisches Findelkind, das während des Zweiten Weltkriegs in der Nähe von Auschwitz von einer Holzfällerfrau im Wald gefunden wird.

Veröffentlicht am
17.02.2025 - 11:01:06
Diskussion

„Die Herzlosen haben ein Herz!“, brüllt der Holzfäller durch den Wald, nachdem er mit seinen Arbeitskollegen etwas viel getrunken hat. Das hatte er erst kurz selbst entdeckt: dass das kleine Mädchen, das seine Frau im Schnee fand, tatsächlich über ein schlagendes Herz verfügt. Der ungebildete, unter bescheidenen Umständen nicht allzu weit von Auschwitz im Wald lebende Holzhacker hatte die Propaganda über die „Herzlosen“, die „Gott getötet“ hätten, wortwörtlich genommen.

Umso verblüffter und aufgewühlter ist er, als er seine mächtige Hand auf die kleine Brust des Babys legt und dessen regelmäßigen Herzschlag spürt. Das verändert alles, wie „Das kostbarste alle Güter“ in einer schönen Sequenz zeigt. In jedem Ding, jedem Lebewesen, das der Holzfäller fortan anfasst, hört und fühlt er den eingängigen Rhythmus eines schlagenden Herzens – im Baumstamm, der Axt, seinem Esslöffel, dem eigenen Nacken. Das ist ein so einfaches wie eindrückliches Bild für eine weltverändernde Erfahrung. Ähnlich schlicht und aufs Wesentliche reduziert ist die Botschaft, die dieser Animationsfilm transportiert: Menschen menschlich zu behandeln.

Ein Geschenk der Götter

Zunächst aber lehnt der Holzfäller jeglichen Kontakt zu dem Baby ab. Er will es schnell wieder loswerden, dem Schnee oder den wilden Tieren überlassen. Seine Frau, die sich schon lange ein Kind wünscht, hatte es neben den Zuggleisen gefunden, die durch den Wald führen. Sein verzweifelter Vater hatte es zuvor aus einem Lüftungsschlitz des Güterzuges geworfen, der seine Familie und all die anderen Juden ins Vernichtungslager deportierte. Aber das weiß die Frau des Holzfällers nicht, die wie fast alle Protagonisten keinen Namen trägt. Sie hält das Mädchen für ein Geschenk der Götter.

Der Holzhacker erkennt am blau-weißen Tallit, in den das Kind gewickelt ist, dessen jüdische Herkunft und befürchtet, denunziert zu werden. Da aber die Frau ihr Schicksal an das des Babys bindet, gibt er schließlich nach und lässt die beiden im Schuppen hausen. Als es Frühling wird, ist die Ablehnung des Mannes verflogen; auch er lässt sich auf die neue Familienkonstellation ein. Doch dann bekommen seine Arbeitskollegen, selbsternannte „Patrioten“, Wind von der Sache.

„Das kostbarste aller Güter“ ist eine Art Märchen. In der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Jean-Claude Grumberg stellt Regisseur Michel Hazanavicius dem schlimmsten menschlichen Tun – dem Holocaust – das bestmögliche Handeln gegenüber, verkörpert vor allem, aber nicht nur in der Figur der Holzfällerfrau. Der Film erzählt aber auch, wie Krieg und Totalitarismus alle erreichen, egal, wie tief im Wald sie leben. Aber auch davon, dass sich Menschen verändern und durch Erfahrung und Wissen öffnen können.

Aufs Wesentliche reduziert

Den vermeintlich märchenhaften Charakter greift der Film am Ende selbst auf, wenn die Erzählstimme über den Realitätsgehalt der Geschichte reflektiert und zu dem Schluss kommt: „Das Einzige, was zu existieren verdient, ist die Liebe, die den Kindern geschenkt wird.“

Das mag kitschig oder auch naiv klingen – ist es aber nicht. Die vermeintliche Naivität ist der Machart des Films eingeschrieben, aber eben ganz bewusst. Hazanavicius reduziert die schlichte und so einfach wie eindrücklich erzählte Geschichte in seinem ersten Animationsfilm, für den er selbst die zeichnerischen Vorlagen entwarf, auch formal aufs Wesentliche. Die Charaktere sind eher schematisch gestaltet, haben keinen facettenreichen Gesichtsausdruck, was auf der anderen Seite die Universalität der Geschichte und die Botschaft betont – und doch funktioniert die Identifikation, wirken die Figuren glaubwürdig.

Trotz seines Anliegens ist „Das kostbarste aller Güter“ kein hölzernes, moralinsaures Lehrstück, sondern im Gegenteil zutiefst anrührend und herzergreifend. Auch weil der Grundton des Films, der Impetus hinter diesem mit seinen 81 Minuten recht kompakten Film, bei allen Härten warmherzig, wahrhaftig und zutiefst humanistisch bleibt. Was sich auch in dem schnörkellosen Erzähltext widerspiegelt, der in der deutschen Synchronisation so angenehm wie eindringlich von Jürgen Prochnow gesprochen wird. Absolut mitreißend sind zudem die Schönheit und Intensität der von Hand gemalten Zeichentrickbilder, die Realismus und Poesie vereinen: eher flächig in den Nahaufnahmen; mal stimmungsvoll, mal bedrohlich, mal traumartig in den Landschaftstotalen. Mit ihrer klaren Linienführung erinnern sie ein wenig an Holzschnittarbeiten aus der Zeit, in der das Geschehen spielt, etwa an Arbeiten der jüdischen Grafiker Lucian Bernhard oder Julius Klinger, der selbst Opfer des Holocaust wurde.

Die Filmmusik trägt zu dick auf

Nur musikalisch trägt der Film zu dick auf. Die von Alexandre Desplat verantwortete Filmmusik widerspricht dem ansonsten so eindrücklich schlichten kleinen großen Film, wenn Frauengesänge und eine Totenglocke erklingen, während sich die Leinwand mit den schwarz-weißen Bildern der Holocaust-Opfer füllt.

 

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