„Seitdem du vom Blitz getroffen wurdest, bist du nicht mehr derselbe.“ Solche Sätze fallen in diesem Film, der sich um eine absonderliche Bewegung dreht: nicht, wie es für die meisten Menschen und erst recht für fast alle anderen Lebewesen selbstverständlich ist, von Blitzen und katastrofischen Windstärken weg, sondern ganz im Gegenteil zu ihnen hin, mitten hinein ins Auge des Sturms.
Wie kommt man auf diese nicht zuletzt vom Standpunkt der Evolutionsbiologie einigermaßen sonderbare Idee? Die Menschen, um die es in „Twisters“ von Lee Isaac Chung geht, werden von durchaus unterschiedlichen Motivationen angetrieben. Da wären zum einen Javi (Anthony Ramos) und seine Truppe: Unterwegs in weißen SUVs, die auch einer Elektroinstallationsfirma gehören könnten, versuchen sie, mithilfe komplexer Datentechnologie neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entstehung und Dynamik von Tornados zu gewinnen. Gleichzeitig freilich vermitteln sie Wirbelsturmopfer, die soeben ihr gesamtes Hab und Gut verloren haben, an einen möglicherweise nicht ganz integren Immobilienspekulanten.
Der kapitalistisch unterfütterten Wissenschaft hart auf den Fersen und ihr manchmal voraus ist Tyler Owens (Glen Powell) samt Anhang, ein selbsterklärter „Tornado Wrangler“, der aus reinem Spaß am Abenteuer den Stürmen hinterherreist, einen erfolgreichen Youtube-Channel für Gleichgesinnte betreibt und im Herzen des Sturms schon mal ein Feuerwerk abfeuert, nur weil’s schick ausschaut. Tyler steht, anders ausgedrückt, für einen gleichzeitig ästhetischen und hedonistischen Bezug zum Tornado.
Unwetterfront von biblischen Ausmaßen
Schließlich Kate Cooper (Daisy Edgar-Jones): Für die weibliche Hauptfigur ist die Begegnung mit dem Sturm vor allem Traumabewältigung. Einst war sie ebenfalls eine Wirbelsturm-Enthusiastin – bis ein besonders fieses Exemplar ihr ihren Freund buchstäblich vom Leib wegpustete. Jetzt arbeitet sie, schick frisiert, als Meteorologin in der Großstadt, wo die Naturkräfte gezähmt scheinen; wird aber bald wieder in die freie Wildbahn gelockt, nach Oklahoma genauer gesagt, wo sich eine Unwetterfront von geradezu biblischen Ausmaßen ankündigt. Zunächst schließt sie sich Javi an, doch schon bei der ersten Begegnung mit dem Sturmcowboy Tyler ist zu ahnen: Er wird es sein, dessen Nähe sie suchen wird, wenn die richtig großen Winde wehen.
Dieser Tornado Wrangler ist aber auch eine Wucht: Glen Powell verleiht dem stets frohgemuten Draufgänger einen natürlichen Charme, wie man ihn im Hollywoodkino der Gegenwart nur noch selten zu sehen bekommt. Gleich der erste Auftritt gleicht einer Huldigung am Königshof: Powell muss nur einen Finger an den Cowboyhut legen, und sein Gegenüber, gleich ob weiblich oder männlich, schmilzt dahin. Powell ist einer, der mit allem flirtet, das nicht bei drei auf den Bäumen ist, ganz besonders mit der Kamera. Man kann nur hoffen, dass das gegenwärtige Mainstreamkino etwas mit dieser – zuletzt auch in Richard Linklaters „A Killer Romance“ absolut umwerfenden – Neuentdeckung anzufangen weiß. Man vergleiche Powell nur einmal mit Chris Pratt und Ryan Reynolds, zwei anderen Leading-Man-Hoffnungsträgern der letzten Jahre: Powell bewegt sich wie ein Fisch im Wasser in jenem Filmstar-Glamour, den die beiden anderen durch Wurstigkeit (Pratt) beziehungsweise Dauerironie (Reynolds) immer schon desavouieren.
Ein schweres Erbe
Nicht einfach für Daisy Edgar-Jones, neben dieser Lichtgestalt zu bestehen. Sie gibt sich redlich Mühe, insbesondere in den sentimentaleren Passagen. Zusätzlich niedergedrückt wird sie freilich von einem schweren Erbe: „Twisters“ wird zwar formal als Sequel zu Jan de Bonts 1990er-Jahre-Blockbuster „Twister“ geführt, funktioniert aber in der Tat eher wie dessen Remake. Dramaturgie und Figurenkonstellation stimmen weitgehend überein, ganze Szenen – darunter eine selbstreflexive Sequenz, die in einem Kino spielt – und selbst einzelne Bildideen sind dem Vorgänger übernommen. Die Daisy-Edgar-Jones-Rolle hatte in „Twister“ Helen Hunt übernommen, und mit deutlich mehr Leben, auch mit mehr Widerborstigkeit im Umgang mit männlichen Helden und Möchtegernhelden, ausgefüllt.
Liegt es daran, dass die gesteigerte Aufmerksamkeit für den in „Twisters“ freilich nur sehr nebenbei thematisierten Klimawandel dem Stoff seine Unschuld genommen hat? Jedenfalls tut der Vergleich mit dem Vorgänger der neuen Version – für sich genommen eine der besseren Hollywood-Großproduktionen der letzten Jahre – nicht gut. Die bunte, expressive Bildlichkeit der 1990er-Jahre macht einem fahlgrauen, verregneten Farbspektrum Platz, der comichaft überzeichnete Tonfall (fliegende Kühe!) des Vorgängers wird in einer dem Sujet kaum angemessenen, vergleichsweise naturalistischen Filmsprache geerdet. Insbesondere fällt auf, dass die visuelle Perspektive in den Actionszenen eng an den handelnden Figuren klebt; weitere Einstellungen, die die Totalität der Zerstörung in den Blick nehmen, fehlen weitgehend. Irritierenderweise schauen selbst die Computereffekte des älteren Films von heute aus betrachtet zwar nicht realistischer, aber im Sinne einer künstlerischen Inszenierung des Erhabenen spektakulärer aus.
Technokratischer und pessimistischer
Insgesamt hat sich der erfrischend hemdsärmelig drauflos polternde Tornado-Blockbuster der 1990er-Jahre in eine gleichzeitig technokratischere und pessimistischere Version seiner selbst verwandelt. Die im Vorgänger noch einigermaßen glasklare Alternative zwischen böser Profitgier und guter Gonzo-Wissenschaft ist einer komplexen Gemengelage ambivalenter Interessen gewichen. Um im Auge des Sturms zu bestehen, braucht es, legt „Twisters“ nahe, genau die richtige Mischung aus Abenteuerlust, wissenschaftlicher Präzision, Showmanship, Unternehmergeist und Altruismus. Wahrlich kein leichtes Unterfangen. Die Tornados haben, so scheint es, gegen uns Menschen auch in Zukunft gute Karten.