Maboroshi
Anime | Japan 2023 | 111 Minuten
Regie: Mari Okada
Filmdaten
- Originaltitel
- ALICE TO THERESE NO MABOROSHI KÔJÔ
- Produktionsland
- Japan
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Bushiroad/Cygames/Dentsu/Kadokawa/Lawson Group/Legs/Warner Bros. Pict. Japan
- Regie
- Mari Okada
- Buch
- Mari Okada
- Kamera
- Yusuke Tannawa
- Musik
- Masaru Yokoyama
- Schnitt
- Ayumu Takahashi
- Länge
- 111 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Anime | Drama | Fantasy | Liebesfilm
- Externe Links
- IMDb | JustWatch
Anime-Drama um Teenager in einer Stadt, die nach der Explosion einer Fabrik in der Zeit eingefroren zu sein scheint.
Ewiger Winter liegt über der Kleinstadt Mifuse. Viele Erwachsene arbeiten in der Stahlfabrik am Stadtrand, die Jugendlichen besuchen die Schule und lernen – aber irgendwie ist alles sinnlos. Denn seit einer Explosion im Stahlwerk steht in Mifuse die Zeit still. Niemand kommt in den Ort, niemand aus ihm heraus. Niemand altert, niemand verändert sich. Und falls doch jemand einmal eine größere Veränderung anstrebt oder von seinen Gefühlen überwältigt wird, folgt sofort eine Art göttlicher Strafe. Wolkengeister in Wolfsform schnappen sich dann diese Menschen, um die entstandenen Risse am Firmament zu kitten. In Mifuse darf nichts mehr vorangehen und alles muss so bleiben, wie es ist. Für den jugendlichen Masamune ist das der blanke Horror!
Leben in einer Art Glaskuppel
Fast ein wenig zu spät kommt der Anime „Maboroshi“, der 2023 in Japan sogar einen Kinostart hatte und nun von Netflix lizenziert wurde. Die Pandemiejahre sind vorbei, die Erfahrungen der Lockdowns vielleicht auch schon verdrängt. Und doch ruft dieser Animationsfilm eine ganze Menge Gefühle wieder in Erinnerung. Das Leben in einer Art Glaskuppel, das Gefühl der Entfremdung und Isolation, die dumpfe Ungewissheit, die Sehnsucht nach einer Vorstellung von der Zukunft, die Sinnhaftigkeit des Lebens ganz allgemein, wenn nichts passiert. Auch ohne konkrete Pandemiebezüge fühlt sich das Leben in Mifuse genau so an – wenngleich hier hinter der Ursache dafür eine fantastische Geschichte steht.
Gerade in Verbindung mit der jugendlichen Perspektive wirkt dieser Stillstand umso gravierender. „Ich bin kein Kind mehr und ich weiß nicht, ob ich je erwachsen werde“, sagt der 14-jährige Masamune einmal zu Beginn, gefangen in einem Zwischenraum und in einer Lebensphase, die eigentlich geprägt ist von stetigen Veränderungen – und von einem unberechenbaren Auf und Ab der Gefühle. Für Masamune und auch andere Jugendliche aus seinem Freundeskreis wird es zu einer großen Bewährungsprobe, sich einzugestehen, dass sie sich in jemanden verliebt haben. Dieses bittersüße Verliebtsein wiederum birgt noch mehr Gefahren.
Durch ein Mädchen bekommt die enge Welt Risse
Von Anfang an setzt Mari Okada, die nach zahlreichen Arbeiten als Drehbuchautorin 2018 mit ihrem Regiedebüt „Maquia“ auf sich aufmerksam gemacht hat und im japanischen Anime-Bereich eine der wenigen Regisseurinnen ist, auf Atmosphäre. Die Stahlfabrik ist eine eindrucksvolle Kulisse, irgendwie archaisch, dreckig, haptisch, mechanisch und damit eine direkte Verbindung zum spürbaren Leben. In dieser entdeckt Masamune eines Tages ein Mädchen, das kaum reden kann und sehr kindlich wirkt und dort offenbar festgehalten wird. Seine schroff wirkende Klassenkameradin Mutsumi kümmert sich um sie. Und bald wird Masamune klar, dass an diesem Mädchen, das seine Gefühle nicht kontrolliert und viel mehr im Moment lebt als all die anderen Menschen in Mifuse, womöglich die Zeitblase zerbrechen könnte. Denn in der Anwesenheit des Mädchens erhält diese Welt Risse, hinter denen eine andere Wirklichkeit, mit einem anderen Masamune und einer anderen Mutsumi, bruchstückhaft zum Vorschein kommt und das Zeitgefängnis als Illusion enttarnt.
Viel deutlicher als im internationalen, sehr schlicht geratenen Titel „Maboroshi“ – was ungefähr Illusion bedeutet –, stellt der japanische Originaltitel sowohl die Themen als auch die Märchenhaftigkeit in den Mittelpunkt: „Alices und Thereses Illusionsfabrik“ klingt viel spielerischer und öffnet Verweise zu Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“. Insgesamt rücken Genreelemente in den Hintergrund, um stattdessen das Pathos zu betonen. Die Liebe als heilende Kraft wird beschworen, der Liebeskummer als prägender Einschnitt in einer Biografie, der für immer in Erinnerung bleibt. Damit schießt der Anime bisweilen übers Ziel hinaus und wird zu einem großen Melodram. Nebenfiguren wie ein wahnsinniger Fabrikangestellter, der sich als Bindeglied zwischen der göttlichen Welt und den Menschen versteht und den Status quo in Mifuse um jeden Preis aufrechterhalten will, sowie die Hintergrundgeschichte des geheimnisvollen Mädchens tragen ebenso zu – teils unnötiger – Komplexität wie Verwirrung bei. So verliert sich „Maboroshi“ ein bisschen in seinem Fabulierwillen und seinen Erzählansätzen, trotz einzelner toller Szenen, Momente und Dialoge, die spannende Grundfragen aufwerfen.