Life Is Not a Competition, But I'm Winning
Dokumentarfilm | Deutschland 2023 | 79 Minuten
Regie: Julia Fuhr Mann
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Schuldenberg Films/University of Television and Film/ZDF/3sat
- Regie
- Julia Fuhr Mann
- Buch
- Julia Fuhr Mann
- Kamera
- Caroline Spreitzenbart
- Schnitt
- Merit Giesen · Lena Hatebur · Melanie Jilg
- Länge
- 79 Minuten
- Kinostart
- 14.12.2023
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Doku über die Geschlechterverhältnisse in der Leichtathletik und die kontroverse Debatte um Transgender-Athlet:innen, die nach dem starren Regelwerk von Wettkämpfen oft ausgeschlossen werden.
Bei den Olympischen Spielen 1928 wurden erstmals Frauen in einigen Disziplinen der Leichtathletik zugelassen, darunter auch über 800 Meter. Während Lina Radke aus Deutschland ihrem Weltrekord entgegenläuft, wird sie am Rand der Bahn von einer Gruppe queerer Athlet:innen aus der Jetztzeit angefeuert. Das Kollektiv hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Leichtathletikgeschichte, die eine Geschichte der Abwertung weiblicher Erfolge und des Ausschlusses nicht-normativer Körper ist, um- und fortzuschreiben.
Die historische Realität sah anders aus. Kurz nach dem Lauf war von Radkes außergewöhnlicher Leistung nicht mehr die Rede. Stattdessen richtete sich die Aufmerksamkeit von Presse und Öffentlichkeit auf den Sturz einer Athletin; „Frauenkörper wie befürchtet zu schwach für die Distanz von 800 m“ war in einem Bericht zu lesen. Als Konsequenz wurde die Disziplin aus dem olympischen Programm gestrichen – und das für 32 Jahre.
Zwischen Doku und Agitprop
Die Filmemacherin Julia Fuhr Mann begibt sich in „Life Is Not a Competition, But I’m Winning“ an der Seite ihres zeitreisenden Kollektivs (und Korrektivs) in die Geschichte und Gegenwart der Laufdisziplinen. „Genre-bending documentary“ nennt die Regisseurin die Form ihres Films, der sich in seiner fluiden Verbindung von Dokumentation, Stilisierung, performativen Elementen, Collage und Agitprop auch über sein Thema hinaus als queer versteht. Als Einflüsse nennt Julia Fuhr Mann unter anderem die Arbeiten von Barbara Hammer und Lizzie Borden.
„Life Is Not a Competition, But I’m Winning“ entstand mit einer Crew aus Frauen und queeren Menschen. Er beginnt als eine Art Science-Fiction-Film, bei dem aus dem Off eine computergenerierte Stimme das „verehrte“ Publikum adressiert. Zentraler Schauplatz sind die mit männlichen Heldengeschichten verbundenen Tempel der Leichtathletik, die im Film menschenleeren Olympia-Stadien in Athen, München und Berlin. Das Kollektiv nimmt sich wie eine Delegation von einem utopischen Planeten den Raum, testet in der Sprecherkabine Mikrofone, poliert Siegerpodeste für Athlet:innen, die an die Ränder der Geschichte gedrängt wurden, und schaut und lauscht von den Zuschauerrängen aus zurück in die Zeit, beginnend bei den Olympischen Spielen 1936, die zur Bühne eines faschistischen Körperideals wurden, bis hin zu der Geschichte der Leichtathletin und Olympiasiegerin Stella Walsh. Die außergewöhnlichen Leistungen der polnisch-US-amerikanischen Läuferin erregten von Beginn an Skepsis; ihr unorthodoxer Laufstil wurde zum begehrten Studienobjekt. Als Walsh nach ihrem Tod im Zuge einer Obduktion als intersexuell eingestuft wurde, verschwand sie weitgehend aus den Geschichtsbüchern.
Die Siegerehrung fehlt bis heute
Wann immer weibliche Athletinnen mit außergewöhnlichen Körpern außergewöhnliche Leistungen vollbrachten, wurden sie angezweifelt, begutachtet, untersucht und sanktioniert. Die Entwicklungsgeschichte diskriminierender Praktiken reicht von Weiblichkeitszertifikaten und Genitaluntersuchungen über Chromosomentests bis hin zu der heute gültigen Testosteron-Regel. Als die Werte der Afrikameisterin Annet Negasa die Grenzmarke überschritten, wurde sie 2012 ohne ihre Zustimmung einer hormonverändernden Operation unterzogen, ihre Laufbahn als erfolgreiche Athletin war damit beendet. Auch die Trans-Marathonläuferin Amanda Reiter teilt im Film ihre Erfahrungen. Bei der bayerischen Meisterschaft im Marathon sah sie sich aufgrund eines vermeintlichen „Meldefehlers“ auf den zweiten Platz verwiesen. Nach ihrer Reklamation erfolgte eine entschuldigungslose Korrektur; die Siegerehrung wurde bis heute nicht nachgeholt.
Der Film vermeidet Empörungsrhetorik und legt die Betonung auch nicht auf das zugefügte Leid. Stattdessen begegnet er der systemischen Unterdrückung abweichender, uneindeutiger Körper mit selbstermächtigenden (und stylischen) Auftritten und „Gesten kollektiver Unterstützung“ – etwa, wenn das queere Gespann Figuren wie Stella Walsh im Chor adressiert und ihre Bewegungen kollektiv nachempfindet. Die symbolpolitischen Performances sind nicht ohne Pathos, spielen aber auch ganz bewusst mit der Überhöhung. Fuhr Manns Perspektive auf Ausschlüsse und Diskriminierungen versteht sich intersektional; ein Exkurs in die Segregationsgeschichte der USA wirkt allerdings eilig und fast ein wenig angeklebt.
Auf bemaltem Holz
Am Ende stehen auch die Gemäuer der olympischen Sportstätten nicht mehr ganz so solide da. Der mit Sandstein verkleidete Beton im Berliner Olympiastadion bröselt, und in der angeblich vollständig aus weißem Marmor gebauten Arena in Athen sitzen Teile des Publikums unwissentlich auf bemaltem Holz. Angesichts von Bruchstellen und gefakter Oberflächen scheint auch der Umsturz vermeintlich stabiler Geschlechterkategorien nicht mehr utopisch.