Dokumentarfilm | Schweiz/Deutschland 2023 | 107 Minuten

Regie: Christian Johannes Koch

Dokumentarfilm über fünf sehr unterschiedliche und teilweise außergewöhnliche Bergleute wie eine Trans-Frau oder einen schon vor langem aus Sri Lanka geflohenen Mann, die sich nach Ende des Steinkohlebergbaus in einem veränderten Leben zurechtfinden müssen und neue Perspektiven entwickeln sollen. Der Film gewährt faszinierend intime Einblicke in den durch die Zechenschließungen aufgewühlten Alltag einfacher Menschen, deren Authentizität durch nicht näher erläuterte inszenatorische Momente jedoch unklar bleibt. Der Unmittelbarkeit und filmischen Schönheit einer vergangenen Welt tut dies aber keinen Abbruch. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
WIR WAREN KUMPEL
Produktionsland
Schweiz/Deutschland
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Catpics/Elemag Pic.
Regie
Christian Johannes Koch · Jonas Matauschek
Buch
Christian Johannes Koch · Jonas Matauschek
Kamera
Sebastian Klatt
Musik
Alexandre J. Maurer
Schnitt
Natali Barrey · Annette Brütsch · Jonas Matauschek
Länge
107 Minuten
Kinostart
29.02.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Doku über fünf sehr unterschiedliche Bergleute, die mit dem Ende des Steinkohlebergbaus in Ostwestfalen klarkommen müssen.

Diskussion

Noch eine letzte Seilfahrt hinunter in den Schacht. Ein letztes Mal setzen sich „Locke“ und „Langer“, wie sich Wolfgang und Marco nennen, die Grubenhelme auf. Einmal noch geht es im Förderkorb in die Tiefe. Hinterher reiben sie sich unter der Dusche gegenseitig den schwarzen Kohlenstaub von der Haut. Die beiden sind „Kumpel“ im doppelten Wortsinn. Seit vielen Jahren treffen sie sich vor der Schicht auf einem Parkplatz, um dann gemeinsam zur Zeche zu fahren. Als sie nun das letzte Mal das Bergwerk verlassen, rät Langer seinem Freund fast beiläufig: „Nicht umdrehen!“

Für Thomas, der als ewiger Junggeselle in einer kleinen Wohnung bei seiner Mutter lebt, bildete die geflieste Kaue im Bergwerk, in der er Kleidung und Schutzausrüstung an Besuchergruppen verteilte, zugleich das Zentrum seines sozialen Lebens. „Du schaffst das auch ohne Zeche“, machen die Kollegen ihm Mut. Ein letztes Mal noch sucht er Bergwerksschuhe in der passenden Größe heraus, weist den Besuchenden eine Kabine zu. Ein letztes „Glück auf!“.

Vor und nach dem Ende

Etwa 45 Minuten läuft der Dokumentarfilm von Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek schon, ehe der Titel „Wir waren Kumpel“ eingeblendet wird und mit seiner Vergangenheitsform eine Zäsur markiert. In der zweiten Hälfte richten die beiden Filmemacher den Blick nach vorn und begleiten die fünf Protagonist:innen in ihrem neuen Alltag. Neben Thomas, Locke und Langer sind das noch Martina und Kiri.

Martina fuhr einst als Bergmann unter Tage, ehe sie sich entschloss, so nicht weiterleben zu wollen und zur einzigen Frau im deutschen Steinkohlebergbau wurde. „Keine Ahnung“, sagt sie, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie den Schritt, als Frau zu leben, schon früher gewagt hätte. Vielleicht besser, freier, bestimmt aber in einem anderen Beruf. Mittlerweile ist der Bergbau jedoch ein Teil von ihr geworden; ihre neue Arbeitsstelle findet sie in einem Salzbergwerk. In ihrer Freizeit absolviert sie eine Stimmtherapie bei einem Logopäden, um weiblicher zu klingen.

Kiri floh als Jugendlicher vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka und fand im Bergbau in Deutschland eine neue Heimat. In zwanzig Jahren habe er nur drei Mal nach Sri Lanka telefoniert: „Das sagt schon alles.“ Mit der Schließung der Zeche aber bricht das soziale Netzwerk des zweifachen Vaters zusammen. Als er dann auch noch einen Herzinfarkt erleidet, steht er plötzlich vor den Scherben seiner Existenz; seine Jugend in Sri Lanka, die er all die Jahre verdrängt hat, „kommt wieder hoch“. Mit einem Mal fühlt er sich fremd in Deutschland, stellt seine Identität in Frage und überlegt sich, ob er seinen Kindern seine alte Heimat in Sri Lanka zeigen soll, weil er doch von dort kommt. Oder ob das für sie vielleicht gar keine Rolle spielt.

Thomas scheint nach dem Ende des Bergbaus kaum noch aus der Wohnung zu kommen. Unter den liebevoll prüfenden Blicken seiner Mutter feudelt er Regale ab oder bereitet das Essen zu, das sie nebeneinander in ihren Sesseln genüsslich verzehren. Wenn es ihm drinnen zu eng wird, zieht er sich zum Rauchen auf den Balkon zurück oder ruft einen Kumpel an, meistens vergeblich. Als er einen Kochkurs besucht, wagt er einen ersten vorsichtigen Schritt in ein neues Leben.

Mit an die französische Atlantikküste

Dem „Langen“ scheint der Übergang hingegen leichtzufallen. Im Gegensatz zu Locke, der sich zum Leidwesen seiner pubertierenden Tochter keine Arbeit sucht, hat er als Schulbusfahrer schnell eine neue und erfüllende Tätigkeit gefunden. Die Vorstellung, dass die Kinder ihn brauchen, gibt ihm Halt. Eher widerwillig lässt er sich von Locke zu einem Ferientrip mit dem Wohnmobil an den französischen Atlantik überreden. Als die Straße zwischen einem Kohlenmeiler und Windrädern hindurchführt, scherzt er über den symbolischen Anblick: rechts die Vergangenheit und links die Zukunft.

Vielleicht sind es Momente wie dieser, an die Koch und Matauschek denken, wenn sie in ihrem „Regie-Statement“ erklären, dass sie mit den Protagonist:innen in „einen Reflexionsprozess treten“ wollten, „der erst durch das Ende ihres Arbeitsverhältnisses im Steinkohlebergbau möglich“ wurde. Ebenso engagiert wie ambitioniert dozieren sie in diesem essayartigen Statement von „Mythen“ einer Männerwelt oder der „Emanzipation von Rollenbildern“, wobei sie in einen akademisch-belehrenden Duktus verfallen, von dem im Film glücklicherweise kaum etwas zu spüren ist.

Stattdessen verschwinden die Filmemacher scheinbar vollkommen hinter der Kamera. Kommentarlos lassen sie ihre Figuren für sich selbst sprechen, begleiten sie wie die „Fliege an der Wand“ im Badezimmer, am Familientisch, im Wohnmobil. Die Auswahl der Protagonist:innen dürfte dabei alles andere als repräsentativ für Steinkohlebergleute sein. Aber gerade das macht den Reiz des Films aus, der nie den Eindruck erweckt, exemplarisch sein zu wollen, sondern sich damit begnügt, die einzigartigen Lebensgeschichten der fünf so unterschiedlichen Charaktere zu beleuchten. Dabei entsteht eine außergewöhnliche, intime Nähe, die zugleich den Rahmen des Dokumentarischen sprengt. Wie die allgegenwärtige Kamera und die anwesende Crew das Verhalten der Mitwirkenden vor der Kamera beeinflussen, wird innerhalb des Films nie thematisiert. Im Presseheft allerdings heißt es dazu: „Durch den fortlaufenden Austausch über den unscharfen Begriff des ‚Dokumentarischen‘ mussten wir unsere Arbeitsweise und Haltung gegenüber Termini wie ‚Wahrheit‘ und ‚Wirklichkeit‘ immer wieder abgleichen.“

Im Dunkeln verglimmen

Da dieser Abgleich im Film keinen Widerhall findet und unklar bleibt, wo die Beobachtung endet und die Inszenierung beginnt, ist auch der vermittelten Authentizität mit Vorsicht zu begegnen. Ihre dramaturgische Sogkraft bremst das nur teilweise aus, und der Schönheit der offenkundig inszenierten Impressionen tut dies ohnehin keinen Abbruch, wenn die Rücklichter eines sich entfernenden Lasters einen immer kleiner werdenden Bildausschnitt beleuchten, ehe sie ganz im Dunkel des noch einmal weiß aufflackernden Salzbergwerks verglimmen.

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