Drama | Frankreich/Belgien 2023 | 625 (12 Folgen) Minuten

Regie: Xavier Giannoli

Die auf realen Ereignissen beruhende Finanzkrimi-Serie kreist um Kriminelle, die den 2005 eingeführten Handel mit Emissionsrechten durch die Europäische Union als Steilvorlage für einen Milliardenbetrug nutzen, sowie um einen Ermittler der französischen Zollbehörde, der dem Fall nachgeht. In einer Rahmenhandlung blickt der Ermittler während einer Zeugenbefragung vor Gericht auf den Betrugsskandal zurück, den die Serie als ebenso detaillierte wie unterhaltsame Fallstudie entfaltet. Ein entfesselter Kapitalismus nutzt dabei Lücken und Schwächen im politischen und rechtlichen System, um sich skrupellos zu bereichern. Gute schauspielerische Leistungen, packende Psychogramme der Täter wie auch des Ermittlers und die Kunst, komplexe Finanzmarkt-Themen verständlich und spannend darzustellen, tragen zum Gelingen der Serie bei. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
D'ARGENT ET DE SANG
Produktionsland
Frankreich/Belgien
Produktionsjahr
2023
Produktionsfirma
Curiosa Films
Regie
Xavier Giannoli · Frédéric Planchon
Buch
Jean-Baptiste Delafon · Xavier Giannoli · Antoine Lacomblez
Kamera
Christophe Beaucarne
Musik
Rone
Schnitt
Mike Fromentin · Cyril Nakache ()
Darsteller
Vincent Lindon (Simon Weynachter) · Ramzy Bedia (Alain Fitoussi) · Niels Schneider (Jérôme Attias) · Judith Chemla (Annabelle Attias-Frydman) · David Ayala (Bouli)
Länge
625 (12 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Serie | Thriller

Finanzkrimi-Serie um Kriminelle, die den 2005 eingeführten Handel mit Emissionsrechten durch die Europäische Union als Steilvorlage für einen Milliardenbetrug nutzen, sowie um einen Ermittler, der dem Fall nachgeht

Diskussion

In Frankreich nennt man es den „Betrug des Jahrhunderts“. Aus einer wohlmeinenden Idee um CO2-Zertifikate, die Frankreich und die EU „grüner“ und „sauberer“ machen sollten, wurde ein Milliardenfiasko für den Staat. Es waren zwei tunesisch-stämmige jüdische Gauner aus dem 11. Pariser Bezirk Belleville, die 2008 eine Lücke im System erkannten. Der französische Staat hatte in Unkenntnis und Gier eine Mehrwertsteuer von 19,6 Prozent auf die Emissionszertifikate erhoben, weil sich der Staat ebenfalls ein wenig bereichern wollte.

Der mit krimineller Energie und großem Erfindungsreichtum ausgestatte Gauner Fitoussi (Ramzy Bedia) und sein bester Kumpel Bouli (David Ayala) können ihr Glück kaum fassen. Schon mit dem Verkauf von Handys innerhalb der EU haben sie sich bereichert. Aus Großbritannien importierten sie mit Scheinfirmen Tausende Handys, verkauften sie in Frankreich mit einem Gewinn von 20 Prozent weiter, weil sie die Mehrwertsteuer auf die Telefone aufschlugen, aber nie abführten. Bevor der Staat das Geld einfordern konnte, waren ihre Fake-Firmen längst wieder „pleite“ und unauffindbar. Mit genau derselben Masche wollen Fitoussi und Bouli nun an das ganz große Geld. Dafür brauchen sie allerdings erstmal Millionen, um das Ganze aufzuziehen. Und so kontaktieren sie einen „Golden Boy“ und Spieler, den aus dem Pariser Edelbezirk stammenden, ebenfalls jüdischen Jérôme Attias (Niels Schneider). Der ist mit Annabelle (Judith Chemla), der Tochter des angesehenen Milliardärs Frydman (André Marcon), verheiratet. Attias arbeitet und spekuliert an der Börse. Nebenbei verpulvert er in Casinos Unsummen und lässt sich schnell überreden, für das kriminelle Unterfangen Millionen vorzustrecken.

Vincent Lindon als Moralist und Unbestechlicher

Gegenspieler der Gauner, die so gerne einen auf Gangster machen, ist in der Serie „Of Money and Blood“ ein rechtschaffener Ermittler: Simon Weynachter, Leiter einer Sonderkommission zur Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität. Es ist eine Paraderolle für Vincent Lindon. Er verkörpert Weynachter schmerzlich intensiv als einen Getriebenen: Er ist ein Moralist, ein Unbestechlicher, voller Spannung und Widersprüche, mit einer fast krankhaften Wut auf kriminelle Schmarotzer, aber auch auf den Turbokapitalismus und den Staat, auf eine Gesellschaft, die Finanzverbrechen viel zu leicht macht, eher gelinde bestraft und durch ultraliberale Gesetze, Bankengeheimnis und überbordende Bürokratie nur unzulänglich und viel zu langsam verfolgt.

Dabei bleibt Weynachter auch eine gebrochene Figur. Er hat eine erwachsene, drogenabhängige Tochter, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat, die nur anruft, wenn sie Geld braucht. Dieser Schwachpunkt macht den sonst so toughen Weynachter verletzlich. Hinzu kommt, dass er im Verlaufe seiner Ermittlungen innerhalb der jüdischen Gemeinde auch seine eigenen Wurzeln entdeckt.

Optisch brillant umgesetzt

Regisseur Xavier Giannoli hat die zwölf temporeichen Folgen wie einen Thriller inszeniert. Die Ermittler und Zollbeamte um Weynachter wissen sehr schnell, was gespielt wird, dass der französische Staat Hunderte von Millionen verliert, aber sie bleiben machtlos, weil sie die Kriminellen mit ihren Scheinfirmen nicht stoppen können, wenn es ihnen nicht gelingt, sie auf frischer Tat zu ertappen oder die Geldbewegungen nachzuverfolgen und zu beweisen. Eine Ministerin und die staatliche Behörde, die den Handel mit Emissionszertifikaten sofort stoppen müssten, wollen schon wegen des „Gesichtsverlusts für Frankreich“ zunächst abwarten, frei nach dem Motto: Wer keine Fehler zugibt, macht keine Fehler.

Der Höhepunkt des Betrugs findet dann 2008 in einem abgelegenen Vorort von Tel Aviv statt. Auf Dutzenden Computern und mit Hunderten eingeschalteter Handys lassen sich über einen Trader, der in Sofia sitzt, in Sekunden Millionen verdienen. Das wird auch optisch brillant umgesetzt vom renommierten belgischen Kameramann Christophe Beaucarne, der bisher ebenso Arthouse-Filme wie Großproduktionen à la „Die Zeitritter“ oder Giannolis letzten Film „Verlorene Illusionen“ drehte. Xavier Giannoli überzeugte mit dieser Balzac-Verfilmung in Frankreich vor drei Jahren noch zu Corona-Zeiten nicht nur die Kritiker, sondern auch über 1,2 Millionen Zuschauer. Als Regisseur und Drehbuchautor interessiert er sich immer wieder für gesellschaftliche Schieflagen und Systemfehler. In „Of Money and Blood“ entlarvt er nun die selbsterklärten „Robin Hoods aus Belleville“ ebenso wie den verwöhnten Geschäftsmann.

Ohne moralische Skrupel

Dabei kann sich Giannoli auf Schauspieler verlassen, die ihre Rolle mit körperlicher Energie und verführerischem Charme ausfüllen. Der erfolgreiche Comedian Ramzy Bedia legt Fitoussi als notorischen, aber auch höchst unterhaltsamen Lügner, dabei eiskalt und unmoralisch an. Niels Schneider, der die Rolle des während der Dreharbeiten tödlich verunglückten Gaspard Ulliel übernahm, hat bisher nie eine so abstoßende und doch schillernd-faszinierende Figur gespielt. Beide verkörpern Betrüger, die in ihrer Gier und Oberflächlichkeit keinerlei moralische Skrupel kennen. Im Dokumentarfilm „Die Könige des Betrugs“ von Guillaume Nicloux, der auf Netflix läuft, sieht man übrigens die realen Personen, die Pate standen für die Charaktere in „Of Money and Blood“. Fitoussi ist an den Kleinkriminellen Marco Mouly, Attias an Arnaud Mimran angelehnt. Beide schmeißen größenwahnsinnige Partys und umgeben sich bevorzugt mit Stars wie Gad Elmaleh, Patrick Bruel oder dem amerikanischen Rapper Puff Daddy. An solche dokumentarischen Bilder knüpft Xavier Giannoli in seiner fiktionalisierten Serie an.

Das Bewusstsein für den Wert des Geldes scheint den Figuren völlig abhandengekommen zu sein – es wird verschleudert, verschenkt, weggeworfen, verbrannt, großspurig ausgegeben. In einer Schlüsselszene zählt Weynachter minutenlang und penibel die Markenklamotten, teuren Handtaschen, Autos, Uhren auf, die in der Wohnung von Fitoussi beschlagnahmt wurden. Damit verdeutlicht er die ganze Obszönität der Bereicherung. Und die wird schließlich für die Kriminellen zum Bumerang: Das Protzen zieht andere, härtere Gangster, Mafiosi und Schwerkrimelle an. Und so kommt es in den letzten Episoden zunehmend zu Morden und Attentatsversuchen – das „Blood“ im Titel hat durchaus seine Berechtigung.

Tikun Olam – Die Reparatur der Welt

Dass es in der Serie dezidiert um jüdische Betrüger geht, könnte gerade in Zeiten, in denen der Antisemitismus auf dem Vormarsch ist, befürchten lassen, dass damit auch Klischees und Feindbilder von jüdischer Geldgier und vom „Finanzjudentum“ befeuert werden. Dafür geht Giannoli indes zu differenziert an sein Thema heran. Was schon damit anfängt, dass er sich um präzise Milieu- und Charakterzeichnungen bemüht, statt Stereotype abzurufen, und mit Weynachter eine starke positive Gegenfigur, die ebenfalls jüdischer Abstammung ist, ins Zentrum stellt. Zudem thematisiert er das Judentum und seine Werte als wichtige moralische wie auch metaphysische Instanz: Die letzte Folge seiner grandiosen Serie hat er „Tikkoun Olam“ betitelt. Damit spielt er auf einen Gedanken im Judentum an, dass Gott die Welt nicht vollendet, sondern eine Leerstelle hinterlassen hat, und es nun in der Verantwortung der Männer und Frauen liegt, sie zu füllen. Giannoli selbst spricht von Weynachter als einem laizistischen Beamten, der versucht, die Welt zu reparieren. Interessant sind dabei vor allem Szenen, wenn Weynachter mit einem Rabbi in Paris diskutiert und die Serie damit eine gewisse religiöse Resonanz entfaltet.

Auch Weynachter stammt aus einer jüdischen Familie, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg assimiliert hat, die eigene Herkunft verleugnete. Diese jüdische Identität wird im Laufe seiner Ermittlungen immer wichtiger. In der Episode „Shame on you“ bekommt eine israelische Ermittlerin und Freundin von Weynachter einen Wutanfall, als Fitoussi plötzlich zu seiner Verteidigung seine jüdische Identität erwähnt. Sie brüllt ihn an, er sei eine Schande für alle Juden, ein Verbrecher wie jeder andere, und sie habe genug davon, wenn kriminelle Juden nach Israel fliehen, dort eine neue Identität bekommen und weiter Verbrechen begehen. Es ist eine sehr prägnante Szene, in der Giannoli gekonnt antijüdische Klischees konterkariert, die schnell entstehen, wenn Kriminelle einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehören und von Demagogen oder Rassisten instrumentalisiert und mit der gesamten Community gleichsetzt werden.

Und so ist „Of Money and Blood” eine in jeder Hinsicht komplexe, packende und auch hochinteressante Serie, die Unterhaltung mit Anspruch, Kapitalismuskritik mit moralischen Grundsätzen verbindet. Es ist auch ein Beweis dafür, dass viele der derzeit aktuellen, originellsten Serien aus Europa kommen und viel mehr mit uns zu tun haben als unpolitische, konfektionierte Serienware aus den USA.

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