Spät am Abend, nachdem er schon viele Stunden durch Berlin gelaufen ist, gehetzt, müde und mit stechenden Magenschmerzen, überquert Samir die Spree und der Blick fällt auf den „Molecule Man“ von Jonathan Borofsky. Die drei monumentalen, mit Löchern versetzten Alufiguren, die sich in dynamischer Schrittstellung in der Mitte treffen, lassen Samir erst recht verloren und abgekämpft aussehen.
„Spielen Sie Ihre Rolle. Und spielen Sie sie gut“, warnt ihn sein Vorgesetzter, den er „außerplanmäßig“ in einem leeren Kinosaal trifft. Samir, Taxifahrer von Beruf, arbeitet als verdeckter Ermittler, aber ob er seine Rolle spielt oder gut spielt, ist nicht so klar – vielleicht nicht einmal ihm selbst. „Es ist wichtig, dass Sie zwischen denen und Ihnen sauber trennen“ ist noch so ein guter Rat. Dabei sind Samirs Verbindungen zu seinem früheren Leben längst abgerissen, seine Frau und seinen Sohn sieht er nicht mehr. Vielleicht ist er für den Tod eines Kindes verantwortlich, vielleicht ist sein Vater Palästinenser, vielleicht heißt er gar nicht Samir. Gewissheiten gibt es nicht.
Gewalt, Vernetzung und Pläne
Samir wittert eine drohende Gefahr, sucht Beweise und drängt sich, zu allem bereit, einem Mann auf, von dem es einmal heißt, er habe ein „verzerrtes Weltbild“. Das Szenario wird bewusst vage gehalten, die Rede ist von Gewalt, Vernetzung und Plänen. „Wir warten, bis die Gruppe bereit ist“, heißt es einmal, ein Begriff wie islamistischer Terror fällt jedoch nie. Als ein ominöser Fremder namens Henri auftaucht, ihm ein ramponiertes Handy in die Hand drückt und ihm in einem öffentlichen Bücherschrank ein zerfleddertes Buch mit einer verschlüsselten Nachricht hinterlässt, bekommt der Film etwas von einer Schnitzeljagd. Nicht immer ist transparent, was Genrezitat ist, was eine Behauptung, die die Inszenierung nicht ganz einlöst. Julius Schultheiß, Absolvent der Kunsthochschule in Kassel im Fach Film & Fernsehen, hatte einen „existentialistischen Film“ im Sinn.
„Monolith“, komprimiert auf eine Erzählzeit von 24 Stunden, ist von Nervosität und Stasis getragen, doch nicht immer übersetzen sich diese Energien in ein Spannungsverhältnis. Auch manche Stilmittel – etwa die wiederholten Zeitlupen – wirken ein wenig willkürlich. Übernächtigt, ein Verfolger, der durch fahrig beobachtende Kameraperspektiven gleichwohl selbst wie verfolgt wirkt, treibt es Samir durch die Stadt. Ständig klingelt das Handy und schickt ihn auf irgendeine Spur. Zwischen der angenommenen Rolle und seinem abgebrochenen Leben entgleitet ihm zunehmend die eigene Existenz.
Keine schöne Stadt
Nach seinem Debüt „Lotte“ (2016) hat der gebürtige Marburger Schultheiß erneut mit einem Mikrobudget in den Straßen von Berlin gedreht. „Monolith“, beim Festival Achtung Berlin mit dem Preis für den besten Spielfilm ausgezeichnet, entstand in nur zwölf Tagen, der Stil ist schroff und ruppig, die Schauplätze – Überführungen, Brücken, Parks, Hinterhöfe – laden nicht zum Verweilen ein. Berlin ist in „Monolith“ keine schöne Stadt.
Die Pflichtgebete des Islam geben dem Film – und der Figur – eine scheinbare Ordnung, das Morgengebet Fadschr, das Mittagsgebet Zuhr, Asr, das Nachmittagsgebet. Die Umstände, unter denen Samir betet, werden immer unwirtlicher, einmal bricht ein Anruf das Gebet ab, das nächste Mal nimmt er einen Fußabstreifer als Unterlage, nach Sonnenuntergang im Park kniet er sich auf die Jacke. Weiter als bis zum Abendgebet Maghrib kommt er nicht.