Ferrari
Biopic | USA 2023 | 131 Minuten
Regie: Michael Mann
Filmdaten
- Originaltitel
- FERRARI
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Forward Pass/STX Films
- Regie
- Michael Mann
- Buch
- Troy Kennedy-Martin · Michael Mann
- Kamera
- Erik Messerschmidt
- Musik
- Daniel Pemberton
- Schnitt
- Pietro Scalia
- Darsteller
- Adam Driver (Enzo Ferrari) · Shailene Woodley (Lina Lardi) · Penélope Cruz (Laura Ferrari) · Sarah Gadon (Linda Christian) · Patrick Dempsey (Piero Taruffi)
- Länge
- 131 Minuten
- Kinostart
- -
- Fsk
- ab 16; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Biopic | Drama
- Externe Links
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Biografisches Drama um den legendären italienischen Autohersteller Enzo Ferrari, fokussiert aufs Jahr 1957 als Zeit einer doppelten, beruflichen wie privaten Krise.
Michael Manns Film erzählt eine einzige, vielleicht aber die entscheidende Episode aus dem Leben des legendären „Commendatore“ Enzo Ferrari (1898-1988), des Gründers des gleichnamigen Rennstalls, der diesen bis kurz vor seinem Tod regierte. Der US-amerikanische Meisterregisseur, der mit der visuellen Intensität, Melodramatik und Schauspielführung von Werken wie „Heat“ und „Collateral“ weltberühmt wurde, hat allerdings den legendären Rennfahrer und schnelle rote Autos vor allem im Blick, um sie als Material für ein weiteres seiner universalen, epischen Dramen über existentielle Fragen einzusetzen.
Die Sonne geht auf über der flachen Landschaft Norditaliens in den 1950er-Jahren. Ein Mann (Adam Driver) erwacht neben seiner Frau (Shailene Woodley). Er steht auf, ohne sie zu wecken, kleidet sich an und steigt in seinen Wagen. Er fährt, geübt, aber auch sehr schnell – man spürt förmlich, wie der Tod mitfährt. Das Leben als Vorfahren zum Tode. Die Zuschauer wissen da schon, dass es sich bei dem Mann um Enzo Ferrari handelt; das hat ein Prolog aus Schwarz-weiß-Bildern gezeigt, die mit einem digital verjüngten Hauptdarsteller Enzos Karriere als Rennfahrer der 1920er-Jahre skizzierten.
Das Auto fährt weiter über die Ebene, wirbelt die letzten Morgennebelschwaden auf, erreicht die Stadt: Modena. Er fährt weiter – zu seiner Frau (Penélope Cruz); die Bettnachbarin vom Beginn war, so lernt man, seine Geliebte. Sofort sind Arbeit und Ehe und die Krisen von beidem miteinander verbunden: Ein Mann unter Stress, die Aufgaben drohen ihn zu überwältigen.
Wenn Jesus jetzt leben würde, würde er Autos bauen
Die nächsten beiden Szenen runden diese erste gründliche Skizzierung der Titelfigur ab, noch al fresco: Ein paar Anrufe der Firmen-Spitzel am Bahnhof, ein paar schnelle Blicke des Chefs, um die Situation zu erfassen, ein paar Rückrufe und Aufträge an die Fahrer für die Arbeit an diesem Tag. Dann ein Besuch am Friedhof, mit einem Blumenstrauß. Enzo spricht zu seinem toten Sohn Dino Ferrari (1932-1956), von seinem Alltag und von den Geistern der Vergangenheit.
Kurz darauf erlebt man eine der ersten Glanzleistungen dieses Films: Parallel erzählt werden ein automobiler Rekordversuch – ein Sportwagen fährt Runde um Runde – und ein Gottesdienstbesuch in der Basilika San Pietro von Modena. Mozarts „Ave Verum“ wird gespielt. Die Männer können in der Kirche den Startschuss von der nahegelegenen Strecke hören, sie stoppen die Zeiten des Autos mit ihren (übrigens sowjetischen) Uhren, der Priester feiert das Abendmahl und spricht sein: „Hoc est enim corpus meum“, „Dies ist mein Leib“. Vor allem aber predigt er: Wenn Jesus heute geboren würde, wäre er kein Tischler; er würde natürlich Metall schmelzen und Autos bauen.
Das Abendmahl, die Verschmelzung der Menschen mit dem Göttlichen und mit dem Leib Christi wird hier auf gleich zwei Ebenen assoziiert mit einer Verschmelzung des Autos mit der Bewegung: Das Auto, aber nur das bewegte, wird überhöht zum sakralen Gegenstand, zu etwas Ewigem. Denn was sich bewegt, das lebt. Nur der Stillstand ist der Tod.
Rennkampf und Beziehungskrieg
Alles spielt ausschließlich im Jahr 1957: Ferrari, der seinem Rennstall seit den 1920er-Jahren vorsteht und ihn sicher durch Faschismus, Weltkrieg und Nachkriegsbesatzung steuerte, ist in großen finanziellen Schwierigkeiten und braucht dringend einen neuen Rennerfolg im Wettstreit mit der Konkurrenz von Maserati, um Investoren zu überzeugen. Noch wichtiger: Vor nicht langer Zeit starb sein geliebter Sohn und einziger Erbe der Firma an einer unheilbaren Krankheit. Im Zuge dessen hat Enzo sich zunehmend seiner Frau Laura entfremdet. Schon seit zwölf Jahren hat er eine Geliebte und mir ihr einen unehelichen Sohn. Dieser Piero wäre nun der natürliche Erbe. Nur weiß Laura nichts von ihm und der Geliebten – Enzo will sie nicht kränken. Aber natürlich bekommt sie alles irgendwann mit.
Penélope Cruz spielt diese betrogene Laura, die eifersüchtig ist, frustriert, unglücklich, aber auch äußerst kämpferisch. Shailene Woodley spielt die langjährige Geliebte und Mutter des heutigen Firmenchefs, Lina Lardi. Und Adam Driver legt als Enzo Ferrari einen der besten Auftritte seiner Karriere hin.
Selbstverständlich aber ist dieser Film aber vor allem ein großer Auto-Rennfilm in der Tradition von Genre-Klassikern wie John Frankenheimers „Grand Prix“ (mit Yves Montand, James Garner, Toshiro Mifune) und „Le Mans“ (mit Steve McQueen) von John Sturges, die einst beide unter Mitwirkung echter Formel-1-Stars entstanden waren. Die 1960er- und frühen 1970er-Jahre waren die Hochphase dieses Rennsports, und die genannten entstandenen Filme spiegeln diesen Boom – zur gleichen Zeit entstanden auch große Renn-Dokumentarfilme von Starregisseuren wie Roman Polanski („Weekend of a Champion“, 1971) und Hiroshi Teshigahara („Indi car race - Roaring course“; 1967)
Die Poesie der Bewegung braucht das Innehalten
Es gibt im Kino keine Poesie ohne Bewegung, doch um vollauf zu ihrer Wirkung zu kommen, braucht die Bewegung auch ihren Gegenpol, das Innehalten. Keine Anmut ohne Atmen, ohne Zögern für Sekundenbruchteile: entspannte Anspannung, Einatmen vor dem Loslegen, Stille vor dem Schuss. Kaum einer hat das mehr internalisiert als Michael Mann; sein Werk ist Kino des Pulsierens, der geschmeidigen Eleganz. Auch in „Ferrari“ nutzt Michael Mann all jene Mittel, die seine Fans seit jeher begeistern: Tempoverlagerung, treibende Musik zu bewegter Kamera, die ständig in die Subjektive wechselt, etwa die eines fahrenden Autos. Mann filmt die Autorennen im Zentrum des Films mit der gleichen Rasanz und Intensität wie einst die Banküberfälle in „Heat“.
Das wird schon früh deutlich. Da kommt einer von Ferraris Fahrern bei einer Testfahrt zu Tode. Es ist ein spektakulärer Leinwand-Unfall, vorbereitet mit rhythmischen Beats, eingefangen von einer Kamera, die eng an einem rasenden Boliden zu kleben scheint. Mann komponiert die Sequenz aus einer sich beschleunigenden Parallelmontage, die Bilder aus den Blicken der Umstehenden am Rand der Rennpiste, aus der Fahrerperspektive auf die Strecke sowie Nahaufnahmen der Gangschaltung des Wagens, bei der ein Schaltfehler schließlich den Tod bringen wird. Als es passiert ist, kracht es laut, vor allem aber spürt man das Metall, hört das Krachen und Bersten der Bestandteile und sieht den Fahrer wie eine Flipperkugel durch die Luft schleudern.
Der Saturn der Autoindustrie frisst seine eigenen Kinder
In dieser klassischen Epoche des Autosports und des Automobilismus überhaupt, der Zeit der 1950er- und 1960er-Jahre, waren die Rennboliden raketenschnell und zugleich zerbrechlich wie rohe Eier, und fast die Hälfte aller Rennsportler überlebte ihre Karriere nicht. Die Gefahr ist auch hier immer präsent. Der Boulevard-Mob listet fürs Publikum die Namen der Gefallenen auf. Den „Commendatore“ nennen sie den „Saturn der Industrie, der seine Kinder frisst“.
Enzo Ferrari selbst verzieht dabei kaum eine Miene. Das Einzige, was er tut, ist, sich zu dem Fahrer Alfonso de Portago umzudrehen, der ihn kurz zuvor noch vergeblich auf eine Position in seinem Rennstall angesprochen hatte, und die eben entstandene Personallücke sogleich zu schließen: „Kommen Sie am Montag in mein Büro.“
Der Regisseur zeigt Enzo Ferrari zwar durchaus auch als sensibel und weich, als väterlich sorgende Figur, und zugleich doch auch als autoritären Firmenchef, der für den Erfolg jedes Opfer bringt. Ein Shogun der heroischen Epoche des Rennsports, in der die Fahrer wie seine glamourösen Samurai sind, die entsprechend für das Ganze zu sterben haben und tatsächlich auch sterben wie die Fliegen.
Das belegt – eine weitere Glanzleistung – die Szene, in der Enzo nach einem verlorenen Rennen eine Rede an seine Fahrer hält: Ihnen fehle es an Hingabe. Die Konkurrenz habe Männer mit ungezügeltem Siegeswillen. Eiskalte Männer „mit einer grausamen Leere in ihren Mägen. Ihre Loyalität gilt nicht der Truppe, sondern nur ihrer Gier zu gewinnen.“ Seine Fahrer seien dagegen zu zögerlich und feinsinnig. Gentlemensportler.
„Bremsen Sie später!“
Und dann macht Ferrari klar: „Unsere Leidenschaft ist todbringend. Eine schreckliche Freude. Aber wenn Sie in einem meiner Autos starten – und niemand nötigt Sie, sich da hineinzusetzen –, dann, um zu gewinnen. Bremsen sie später!“
Es geht auch dem Regisseur darum, zu zeigen, ob und wann jemand sein Leben riskiert. Es geht, wie eigentlich immer in Manns Filmen, in denen oft Hauptfiguren das Ende nicht überleben, darum, das Sterben zu lernen.
Die besten Momente des Films, die am deutlichsten auf dieses Thema hinführen, sind aber die ruhigen, ernsten wie der, in dem die Fahrer nachts im Hotel für den nächsten Renntag Ruhe tanken und vorm Zubettgehen sicherheitshalber noch ihre Abschiedsbriefe schreiben: „Im Falle meines Todes zu öffnen...“ Michael Mann schneidet diese Szenen von fünf Fahrern parallel zueinander. Einen von ihnen wird es tatsächlich am nächsten Tag erwischen, und wer sich im Rennsport auskennt, weiß, dass vier der acht Fahrer, die man hier näher kennenlernt, ihre Karriere nicht überlebten.
Flirrende Kinetik und Gravitas
Trotzdem ist „Ferrari“ kein Macho-Schinken um männliche Todesverachtung – wie immer bei Michael Mann sind die Frauen den Männern ebenbürtig, auch in Härte und Realismus. Laura will ihren Mann zwingen, eine Entscheidung zwischen ihr und seiner neuen Kleinfamilie zu treffen, die auch eine zwischen den beiden Söhnen wäre, zwischen dem toten und dem lebenden. In dieser Hinsicht allerdings bleibt Enzo, der in Firmensachen so entschieden ist, ein großer Zauderer, mag keine Wahl treffen, sondern versucht, beiden Bindungen gegenüber loyal zu bleiben, auch wenn er damit letztlich keiner Frau gerecht wird.
Daneben findet man auch hier eine große Kino-Italienhymne voller Sinnlichkeit, mit der sich Mann als Italophiler outet: Höhepunkte sind ein großes Mittagessen mit Pasta, Rotwein und Musik, ein gemeinsamer Opernbesuch, bei dem jeder seine eigenen Gedanken zur Musik entwickelt, und dann im letzten Drittel die „Mille Miglia“, das legendäre Zweitagerennen durch Nordostitalien, das die Pracht des Landes auf die Leinwand wirft.
Flirrende Kinetik und existentielle Gravitas finden in „Ferrari“ bestens zusammen, im Rahmen einer italienischen Nachkriegsgeschichte, die auch eine Aufstiegsgeschichte aus den Trümmern des Kriegs ist und an deren Ende neue Trümmer entstehen werden, wenn der Film schließlich im tragischen Unfall von Portago gipfelt, der das „Mille Miglia“-Rennen von 1957 überschattete. Am Ende nimmt Enzo dann die Hand seines Sohnes Piero und geht mit ihm auf dem Friedhof von Modena zum Mausoleum, in dem sein toter Sohn Dino begraben liegt und wo er schon am Anfang des Films Blumen niederlegte. Ein Augenblick des Innehaltens und der Kontemplation. Vor der nächsten Bewegung.