Haus Kummerveldt
Historienfilm | Deutschland 2023 | 128 (sechs Folgen) Minuten
Regie: Mark Lorei
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Goldstoff/WDR/ZDF/arte/Outside The Club GmbH/Filmwerkstatt Münster
- Regie
- Mark Lorei
- Buch
- Charlotte Krafft · Mark Lorei
- Kamera
- Henning Wirtz
- Schnitt
- Jana Stallein
- Darsteller
- Milena Straube (Luise von Kummerveldt) · Marcel Becker-Neu (Veit von Kummerveldt) · Leonie Rainer (Ida von Kummerveldt) · Wolf Danny Homann (Ernst Büchner) · Cennet Voß (Adalind Knecht)
- Länge
- 128 (sechs Folgen) Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Historienfilm | Serie | Tragikomödie
- Externe Links
- TMDB
Miniserie um eine junge Adlige, die als angehende Schriftstellerin dem Wilhelminischen Patriarchat die Zähne zeigt. Eine formal kreative, klug-unterhaltsame Reminiszenz an große Autorinnen des 18. und 19. Jahrhunderts.
Der erste Heiratsantrag kommt für die junge Adlige Luise von Kummerveldt (Milena Straube) überraschend: Ein älterer Graf hält kurz nach dem Tod ihres Vaters auf dem Familiensitz um ihre Hand an. Luise ist sichtlich überrumpelt und geht benommen zum Fenster, öffnet beide Flügel, holt einmal tief Luft – so weit, so gut. Doch das junge Fräulein Kummerveldt ist nicht vor Freude oder gar Rührung unpässlich, sondern angesichts der gesellschaftlichen Gesamtsituation: Sie heirate grundsätzlich nicht, wird sie später einem anderen Verehrer mitleidig sagen. Vor ihrem inneren Auge laufen Horrorszenarien einer Ehe-Zukunft ab, und sie will der Gesellschaft einfach nur ins Gesicht schreien. Im Voice-over drückt sie es derber aus und ist von ihrer eigenen Lähmung erbost: In „die Fresse des Vaterlandes“ wolle sie hauen, bringe aber nicht mal einen Pieps heraus. Dem Grafen entgegnet sie dann einfach gar nichts und springt kurzerhand aus dem vorbereitend geöffneten Fenster. Zum Glück ist das Schloss von einem Wassergraben umgeben.
Feministischer Aufstand im Wilhelminischen Deutschland
Luises Konflikt wird gleich in der ersten Szene deutlich, ebenso der Ton, mit dem sie sich durch das so strenge wie kleingeistige Patriarchat manövrieren wird, in das sie im Wilhelminischen Deutschland geboren wurde. „Haus Kummerveldt – oder wie die Adelige Luise Hysterie heilte, indem sie so lange schrie, bis ihr Korsett von der Taille in des Vaterlandes Fresse platzte.“ – Autorin Charlotte Krafft und Regisseur und Serienschöpfer Mark Lorei haben der Miniserie einen absichtlich sperrigen wie sarkastischen Untertitel verpasst und stellen sich sowohl mit der Handlung als auch der Inszenierung gegen die Gepflogenheiten klassischer Kostümdramen: Luise rebelliert nicht unterschwellig, sondern macht den feministischen Aufstand zu ihrem Lebensinhalt.
Der verstorbene Vater hatte Luises von der Gesellschaft im besten Falle als freigeistig, vom Bruder Veit als hysterisch und wahnsinnig wahrgenommenen Ambitionen geduldet: Sie will Schriftstellerin werden und steht kurz vor der Fertigstellung ihres ersten Manuskripts, als Veit vom Militär zurückkehrt und den Haushalt übernimmt. „Frauen sollten besser versuchen, ein Gedicht zu sein, und keine Gedichte schreiben,“ grinst er ihr einmal selbstgefällig ins Gesicht. Krafft und Lorei legen Luise weitaus beredtere und doch realistische Zitate ihrer Vorbilder in den Mund, etwa der Schriftstellerin Mary MacLane: „Ich bin ein Genie. Mein Gehirn ist ein Sammelgefäß energischer Vielfalt. Ich habe einen wahrlich erstaunlichen Zustand elenden, krankhaften Unglücks erlangt. All das zusammen ergibt Seltsamkeit. Ich denke also, dass ich ziemlich, ziemlich seltsam bin.“
Eine sprühende Verdichtung von Künstlerinnen-Porträts
Luises Geschichte und ihr inneres Drama sind angelehnt an Schriftstellerinnen wie Else Lasker-Schüler, Hedwig Dohm und Mary Shelley, die im 18. und 19. Jahrhundert als Künstlerinnen qua definitionem Feministinnen sein mussten in einer bürgerlichen Welt, die von Frauen verlangte, eine gute Partie abzugeben, um unter die Haube zu kommen, und ihnen ansonsten abseits von der Mutterschaft kaum Entfaltungsmöglichkeiten bot. In der Bibliothek hängt ein Porträt von Annette von Droste-Hülshoff, bis Veit es durch eines des Kaisers ersetzt. Krafft und Lorei lassen Luise knapp 75 Jahre vor Roland Barthes’ wegweisendem Aufsatz über den Tod des Autors einen ironischen Text mit dem Titel „Tod der Autorin“ verfassen – Tod vor der Geburt sozusagen. „Wie soll ich welterfahren schreiben, wenn mir jede Welterfahrung verwehrt bleibt?“, fragt sie einmal verzweifelt und erklärt zugleich ihre sture Ablehnung einer Heirat, die sie zu einer gelangweilten Hausfrau machen würde.
Das könnte nach trockener Kopfgeburt klingen, ist aber das genaue Gegenteil: Die sechs zwanzigminütigen Folgen von „Haus Kummerveldt“ sprühen in dieser freien Verdichtung von Künstlerinnen-Porträts in Luise regelrecht vor inszenatorischem Witz und aktueller Brisanz. Splitscreens, innere Monologe und rasante Schnitte zu schraddelig-düsterem Indie-Sound von feministischen Bands wie Blond, Laturb und Gurr machen ihren einsamen Kampf gegen gesellschaftliche Windmühlen greifbar. Allein die Song-Titel des klug und famos kuratierten Soundtracks spitzen auf einer Metaebene Luises Schicksal zu: „Keine Termine“, „Sinnkrise“, „Never Be Yours“, „I Chose Violence“. Rückblenden in ihre gemeinsame Kindheit mit Bruder Veit und der verstorbenen Schwester Ida bekommen dadurch eine unheimliche Gegenwärtigkeit und lassen Luises heimliche Wunschträume über den neuen Arzt Dr. Büchner, der ihre Wunden vom Fenstersprung behandelt, zu erotischen Fantasien werden.
Dass der Arzt möglicherweise ihr Hintertürchen in ein selbstbestimmtes Leben sein könnte, verdrängt Luise lange, obwohl die Autorin ihr sogar einen Wink mit dem Zaunpfahl gibt: Er heißt Ernst Büchner – und würde sie mit einer Heirat zu Luise Büchner machen, der gleichnamigen Frauenrechtlerin und Schriftstellerin, Ende des 19. Jahrhunderts eine der Führerinnen der Frauenbewegung in Deutschland.