Ein plakativer Schnitt in dem Spielfilm „Geliebte Köchin“ von Trần Anh Hùng würde in jedem anderen Kontext wie eine Verdinglichung des Frauenkörpers wirken. Da hantiert ein Kochvirtuose zu später Stunde mit einem Glas glitschig-süß eingelegter Birnen. Er sinniert, lässt eine einzelne Frucht behutsam in seine Hand gleiten, dreht und wendet sie und entscheidet sich dann für ein besonders elegant geschwungenes Exemplar, um es als Dessert appetitlich anzurichten. Nach dem Umschnitt präsentiert die hüllenlose Partnerin auf dem Bett ihre sanft geschwungene Rückenansicht, bereit, den Kochkünstler zu empfangen.
„The Taste of Things“ lautet der internationale Titel des von dem vietnamesisch-französischen Regisseur Trần Anh Hùng inszenierten Films, der sich lose an dem Roman „La vie et la passion de Dodin Bouffant, gourmet“ von Marcel Rouff aus dem Jahr 1924 orientiert. Der Titel „Der Geschmack der Dinge“ käme dem auf etwas Fundamentales zielenden Begehren des visuell wie akustisch hypnotisierenden Festmahls viel näher als der gastro-romantische Seufzer „Geliebte Köchin“. Doch zu groß war offensichtlich die Verwechslungsgefahr mit Filmen wie „Der Geschmack der kleinen Dinge“ (2022) mit Gérard Depardieu oder „Die einfachen Dinge“ (2023) von Éric Besnard. Dort geht es vor allem darum, vor erhabener Kulisse erotisch wie beruflich halbwegs enttäuschten Männern beim Schmausen und Lebenskrisenbesprechen zuzusehen.
Rhythmus der Gesten & Handgriffe
Die Dinge, von denen „Geliebte Köchin“ erzählt, werden allesamt geliebt, wobei sie wie die Liebe unerschöpflich scheinen. Unzufriedenheiten und Konflikte gibt es nicht, einen spannungsvollen Flow umso mehr. Den erzeugt Hùng einzig durch den Rhythmus der Gesten und Handgriffe, der verstehend-lächelnden Blicke und der allmählichen Gar- und Verzehr-Prozesse. Während der ersten Hälfte des Films fragt man sich, was hier eigentlich erzählt werden soll. Das Leben in dem französischen Herrenhaus der Belle Époque ist ein immerwährendes Fest, aber kein ausschweifendes oder riskantes, sondern ein intimes und gemeinschaftliches, ein andauerndes Glück.
So scheint es zumindest; doch bald werfen Ohnmachtsanfälle der Köchin Eugénie (Juliette Binoche) einen Schatten auf diesen warmgolden ausgeleuchteten Mikrokosmos in einem Gutshaus an der Loire Ende des 19. Jahrhunderts. Nachdem ein Arzt keinen Rat weiß, muss sich der Hausherr Dodin (Benoît Magimel) bald die Frage stellen, ob und wie er das gemeinsame Lebenskunstwerk fortführen kann. Manches haben die Figuren nicht in der Hand, aber immer behandeln sie die Dinge und einander mit Liebe und Hingabe. Wo die Verdinglichung nichts Negatives ist, kann ein Regisseur auch von einer Birne auf eine weibliche Rückenansicht schneiden, ohne dass das etwas von „Male Gaze“ hat.
Eugénie weiß selbst, was für ein Geschenk sie ist. Seit zwanzig Jahren steht sie in den Diensten des wohlhabenden Gastronomen Dodin Bouffant (Benoît Magimel), der einmal als „Napoleon der Gastronomie“ bezeichnet wird; ein Titel, über den er nur lächeln kann. Doch schnell wird klar, dass die beiden mehr und anderes verbindet als ein Herr-Knecht-Verhältnis. Gemeinsam erschaffen sie Tag für Tag mehrgängige Menüs für seine Freunde, die über die Jahre auch zu ihren Freunden wurden. Bouffant komponiert die Gerichte und Menü-Folgen, und Eugénie setzt sie kongenial um. Beide schätzen einander und wissen ohne viele Worte, wie die Dinge, welche die Erde hergibt, in größtmöglichen Genuss verwandelt werden können. In eine Kunst, die mit einem Bein auf Erden steht und mit dem anderen im Himmel.
Ein wirklich sinnlicher Film
Wofür muss ausgesuchtes Essen im Kino nicht alles herhalten: als Synonym für Maßlosigkeit und Dekadenz, als identitätsstiftendes Spielfeld von Ehrgeiz und Konkurrenz, als Metapher und Motor sexueller „Fleischeslust“. „Geliebte Köchin“, in dem immer wieder leise gegrunzt, geseufzt und selbstvergessen geschnauft wird, ist sehr sinnlich. Er bejaht das Körperliche, bindet es aber in eine Idee von Liebe und Hingabe ein, in der „oben“ und „unten“, Geist und Bauch, keine Gegensätze sind. Er zeigt ähnlich freundlich, wie es etwa auch in „Babettes Fest“ gelungen ist, was den Menschen wirklich auf allen Ebenen nährt, nur ohne einen religiösen Überbau anstrengen zu müssen.
Er habe jahrelang nach einem Thema gesucht, bei dem es „um das Kochen sowohl als Arbeit als auch als Kunst“ gehe, sagt Trần Anh Hùng. In der traumwandlerischen ersten halben Stunde wird kaum ein Wort gesprochen. Mit wenigen Schnitten, als wäre es eine einzige, ruhig fließende Einstellung, wohnt man dem Entstehen eines Festmahls bei. Keine Spur von Großraumküchen-Stress, keine Musikuntermalung. Stattdessen eine von der heiteren Spannung konzentrierten Tuns durchwirkte Choreografie.
Eine Amsel singt in der Ferne
Fernab jeder „Food Porn“-Hektik mit ihren köchelnden Leistungsträgerinnen, genialischen Tyrannen und geläuterten Achtsamkeitsnovizinnen erinnert nur der Gesang einer Amsel oder eines Buchfinks an die Rückgebundenheit an Tages- und Jahreszeiten. Drinnen wird in gemessener Geschmeidigkeit gerührt und geklärt, geschabt und übergossen, gehackt und verbunden. Jeder Handgriff sitzt. Kurze Anweisungen an die junge Küchenhilfe Violette (Galatéa Bellugi), deren begabte Nichte Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire) oder den mitarbeitenden Hausherrn erfolgen höflich und klar. Im perfekt aufeinander eingespielten Timing werden die unterschiedlichsten Materialien in einen stimmigen Zusammenhang gebracht, um am Ende den Feinschmecker-Freundeskreis und sich selbst zu beglücken.
Darin liegt auch eine nicht allzu verklausulierte Autopoesie des Kinos als kollektiver Kunst. „Als Filmemacher wollen wir immer mindestens einmal im Leben etwas über Kunst machen“, sagt Hùng. Er habe die Küche gewählt, weil sie für ihn echt aussehe: „Wenn man versucht, einen Film über Van Gogh zu drehen, ist das schwierig, weil man einen Schauspieler sieht, der versucht, wie Van Gogh zu malen. Man kann es irgendwie nicht glauben. Aber bei der Küche kann alles echt sein.“
Juliette Binoche und Benoît Magimel geben ihrem Umgang mit den Materialien und miteinander eine jeweils unterschiedlich akzentuierte Selbstverständlichkeit: Binoches Gesten sind präzise und von sachlicher, manchmal ironisch-scherzender Zugewandtheit, Magimel hingegen sieht man immer wieder mit spielerischer Konzentration herumexperimentieren wie ein großes, glückliches Kind. Beide eint die Freude am genauen Betrachten und am richtigen Tun, sei es das Essen oder der geliebte Mensch.
Den Film interessiert nicht, woher das Vermögen kommt, das es diesem Paar erlaubt, sich tagein, tagaus dem Essen zu widmen. Für Gesellschaftskritik ist in diesem Labor kein Platz. Wozu auch? Eugénie stellt einmal gegenüber den Freunden klar, nachdem diese zu ihr in die Küche heruntergekommen sind, um ihr für das formidable Mahl danken, dass sie die Speisen nicht weniger genieße als die Gäste, schon weil sie ja etwa den Steinbutt durch stundenlange „Liebkosung“ in- und auswendig kenne in Textur und Aroma. Und als die Besucher darauf insistieren, dass sie auch bei Tisch willkommen wäre, beharrt sie auf ihrem Platz in der Küche; sie kommuniziere ja schon durch ihre Speisen mit ihnen, „und mehr gibt es nicht zu sagen“.
Hin und wieder bleibt die Tür offen
Eugénie ist keine „starke Frau“ im klischeehaften Sinn. Sie ist als Arbeitende perfekt eingebunden und leistet in aller komplizenhaften Verlässlichkeit durchaus Widerstand. Wenn sie hin und wieder abends ihre Tür offen lässt für Dodin, tut sie dies aus freien Stücken, wie sie betont. Er will sie schon seit Jahren heiraten, doch sie lehnt lachend ab: Wäre es dann nicht viel schwerer für sie, die Tür zu ihrem Schlafgemach geschlossen zu halten? „Wir sind schon glücklich“, sagt sie, und sein Blick stimmt ihr zu.
Vielleicht brauchte es, um die französische Esskultur mit solch meditativer, sich selbst genügender Eleganz zu würdigen, einen Blick von außen. Hùng, der mit zwölf Jahren von Vietnam nach Frankreich kam und damals über die maßvoll-freundliche Konversation bei Tisch staunte, klebt nicht an dramatischen Storys und psychologischen Verwicklungen, sondern interessiert sich mehr für die Sinnlichkeit von Materialitäten und die Atmosphären von Räumen. Das hatte er schon in „Der Duft der grünen Papaya“ (1993) bewiesen.
Bei Dodins Darstellung orientierte er sich auch an Jean-Anthèlme Brillat-Savarin, einem der Begründer der Gastrosophie. Dessen bahnbrechendes Werk „Physiologie des Geschmacks“ (1826) erschien zwar auch auf Deutsch, doch vermochte es auch dieses Buch nicht ganz, die letztlich leibfeindliche Beargwöhnung des Kochens als „niedere“ Kunst und des Essens als dekadentes Vergnügen oder erbärmlich kreatürliche Notwendigkeit zu beseitigen.
Die vom Kameramann Jonathan Ricquebourg fein komponierten, aber nie überladen wirkenden Stillleben lehren, wie es anders gehen könnte. Sie kommen mit wenigem, kostbarem Licht aus und feiern in langsam und diskret sich steigernden Fahrten und Nahaufnahmen die nahezu riechbare Materialität eines Holztisches, eines Leinentuchs und eines Kristallglases, ohne jemals mit schnörkeliger Hochglanz-Ästhetik aufzutrumpfen. Wenn mit leisem Knistern eine Vol-au-vent, eine große Blätterteig-Pastete, aufgeschnitten oder mit lustvollem Blubbern der Weißwein in den riesigen Kupferkessel geschüttet wird, spielt sich mindestens genauso viel auf akustischer wie auf visueller Ebene ab. Für Hùng ist der Ton der Geschmack des Bildes: „Das Bild hat seine Bedeutung, aber wenn man den Ton gut bearbeitet, hat man seinen Geschmack.“
Alles ist hier eins
„Geliebte Köchin“ geht für Frankreich ins Rennen um eine „Oscar“-Nominierung als Bester internationaler Film. Vielleicht entgeht der Jury ja nicht, wie politisch der scheinbar unpolitische Film ist. Denn der Perspektivwechsel, den „Geliebte Köchin“ so höflich wie verführerisch anbietet, hat untergründig ebenso viel mit den jüngsten Bauernprotesten wie mit der institutionellen Geringschätzung des Kinos als Kunst zu tun. Unser Verhältnis zu den Dingen hat in den letzten Jahrzehnten Schaden genommen; der „Verbraucher“ wurde gegen den „Erzeuger“ in Stellung gebracht und die Ware dazwischen zerrieben, anstatt alle als miteinander verbundene Teile einer nährenden Herrlichkeit zu sehen. Von der Erde des Ackers im ersten Bild bis zu den am liebsten vom Essen handelnden Konversationen eines Freundeskreises ist hier alles eins. In diesem utopischen Labor ist immer genug für alle da, und trotzdem wird nicht geprasst, sondern alles geliebt und gewürdigt, mit einem leisen Seufzer.