Rye Lane
Romantische Komödie | Großbritannien 2023 | 88 Minuten
Regie: Raine Allen-Miller
Filmdaten
- Originaltitel
- RYE LANE
- Produktionsland
- Großbritannien
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- DJ Films/Turnover Films
- Regie
- Raine Allen-Miller
- Buch
- Nathan Bryon · Tom Melia
- Kamera
- Olan Collardy
- Musik
- Kwes
- Schnitt
- Victoria Boydell
- Darsteller
- David Jonsson (Dom) · Vivian Oparah (Yas) · Poppy Allen-Quarmby (Cass) · Simon Manyonda (Nathan) · Karene Peter (Gia)
- Länge
- 88 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Romantische Komödie
- Externe Links
- IMDb | TMDB | JustWatch
Eine Boy-meets-Girl-Geschichte aus Londons nicht gentrifiziertem Süden, die erfrischend gegen Genrekonventionen romantischer Komödien gebürstet ist.
Eine Unisex-Toilette in London-Peckham im Süden der britischen Hauptstadt: „Alles okay?“ – „Cool.“ Der Mittzwanziger Dom (David Jonsson) sitzt einsam heulend auf der Kloschüssel und suhlt sich in Selbstmitleid. Gerade hat er sich von seiner Freundin Cass (Poppy Allen-Quarmby) getrennt, weil die ihn heimlich mit seinem besten Kumpel Nathan (Simon Manyonda) betrogen hat. Während draußen eine schräge Kunstvernissage begonnen hat, in der überproportional große Münder, Lippen, Pos und Zähne auf großformatigen Bildern von nicht minder skurrilen Gästen bestaunt werden, bemerkt ihn plötzlich die ebenfalls frisch getrennte Yas (Vivian Oparah) im WC-Trakt.
Weil die coole Freiberuflerin, die als Szenenbildnerin beim Film Karriere machen möchte, Mitleid mit dem smarten jungen Mann empfindet, verwickelt sie ihn in ein kurzes, aufmunterndes Gespräch. Parallel dazu fliegt die extravagante Kamera im grellen Neon-Look (Bildgestaltung: Olan Collardy) von oben über jede der einzelnen Toiletten und stellt das mitunter sehr exaltierte Treiben darunter lustvoll zur Schau.
Pink-hellgrün gestalteter Szenenreigen
Bereits im ersten pink-hellgrün gestalteten Szenenreigen wird die formal-ästhetische Bandbreite dieses kleinen Romantic-Comedy-Wunders „made in Britain“ ausufernd zelebriert, das stets nichts als den Zauber des einzelnen Moments in den Fokus rückt. Genau so wild-freigeistig wie jederzeit überraschend sieht Raine Allen-Millers erster Spielfilm dann auch bis zum Ende aus.
Während zu Beginn also der eine abwechselnd wie ein Schlosshund im Overacting-Modus flennt, um dann ebenso rasch wieder zu verstummen, bemuttert ihn die andere als schwarze Madonna im hippen Tigerlilly-Mantel, zu dem sie eine rosafarbene, überdimensionierte Umhängetasche aus Plüschfransen (Kostümdesign: Cynthia Lawrence-John) lose um die Schulter trägt. Dabei treibt ein vibrierender Electroscore den zunächst noch etwas wirren Plot an. Und allmählich kristallisiert sich eine Geschichte à la „Before Sunrise“ heraus, die den beiden Zufallsbekannten dabei folgt, wie sie sich gemeinsam einen Tag lang durch die Stadt treiben lassen. Zunächst verlassen sie die Toiletten, um gemeinsam an den Bildern der Vernissage vorbeizuschlendern und sich in einen selbstironischen Kunstdiskurs („Die Bilder sind echt intelligent. Oder lyrisch. Oder expressiv.“ – „Im Ernst: Der Mund ist das Stonehenge des Gesichts.“ – „Alles klar, Wes Anderson?“) zu verwickeln, der im englischen Original natürlich noch viel eigensinniger als in der deutschen Übersetzung klingt und teils brüllend komisch ist. Von dort aus starten die beiden zu einem Streifzug durch Peckham und Brixton und helfen einander, die Wunden aus früheren Beziehungen zu lecken. Yas begleitet Dom schließlich zu einer Verabredung mit seiner Ex und gibt sich als seine neue Freundin aus; Dom unterstützt sie dafür dabei, eine ihrer Lieblingsplatten aus der Wohnung ihres Verflossenen zu holen.
Abseits der Boy-meets-Girl-Standards
Gängige Genrekonventionen der romantischen Komödie, wie man sie beispielsweise aus „Notting Hill“ kennt, hätten sie noch nie interessiert, sagt die 33-jährige Newcomerin Raine Allen-Miller über ihren ersten Langfilm, der bei seiner Premiere beim Sundance Film Festival für Furore sorgte und nun bei Disney+, aber leider nicht in den deutschen Kinos, zu sehen ist. Ihr quicklebendig inszenierter Erstlingsfilm „Rye Lane“ ist vor allem auf der Dialogebene so temporeich und grotesk-überdreht (Yas: „Du bist Künstler?“ – Dom: „Oh nein. KFC. Damals. Da arbeite ich nicht mehr.“), dass man die Standards des „Boy Meets Girl“-Genres keine Minute lang vermisst.
Zugleich präsentiert der Film, der voller audiovisueller Kapriolen steckt und mit zwischengeschalteten Performancekunst-Miniaturen punktet, wenn die beiden frisch Verliebten durch unscheinbare Stadtparks oder Straßenmärkte schlendern, ein noch nicht durchgentrifiziertes London südlich des überteuerten Stadtzentrums an der Themse. Hier, im multikulturell geprägten Peckham Rye, ist vieles noch verhältnismäßig bodenständig. Und trotzdem ist es jederzeit auch „very British“, weil sich in den diversen Hinterhauswohnungen, Karaoke-Kneipen oder Gartenpartys, in die das ungleiche Paar hineingerät, reihenweise Freaks und Dandys tummeln, die wahlweise in Fish-Eye-Optik, im Traumsequenz-Look oder im Selfie-Modus der Instagram-Generation kadriert werden, ohne in ermüdende L’art pour l’art abzudriften.
Alleine das teilweise überstrapazierte Product Placement diverser Mode- und Elektronikartikel-Hersteller im letzten Teil stört am Ende den schwungvollen Ton dieses Liebesfilms für die Generation der Zwanzigjährigen. Durch das Zusammenspiel aus schlagkräftigen Punchlines, wie man sie aus der britischen Hip-Hop-Szene kennt, und Romantik-Szenen, die dramaturgisch von reichlich Situationskomik („Wir sind nicht die Avengers.“) wie britischer Spleenigkeit unterbrochen werden, zählt „Rye Lane“ nichtsdestotrotz zu den erfrischendsten romantischen Komödien der vergangenen Jahre.