The Shadowless Tower
Drama | China 2023 | 144 Minuten
Regie: Zhang Lu
Filmdaten
- Originaltitel
- BA TA ZHI GUANG
- Produktionsland
- China
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Lu Films/Emei Film Investment/Great Luck Films/La Fonte/KO Media
- Regie
- Zhang Lu
- Buch
- Zhang Lu
- Kamera
- Piao Songri
- Musik
- Xiao He
- Schnitt
- Liu Xinzhu
- Darsteller
- Xin Baiqing (Gu Wentong) · Huang Yao (Ouyang Wenhui) · Tian Zhuangzhuang (Gu Yunlai) · Nan Ji (Nan Ji) · Wang Hongwei (Li Jun)
- Länge
- 144 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
Präzise beobachtetes Drama um einen Chinesen mittleren Alters, der über der Nachricht vom Wohnort seines verschollenen Vaters mit seiner Vergangenheit konfrontiert wird und in eine Krise driftet.
Eine große Metapher steht im Bild. Der Stupa des Tempels der Weißen Pagode in Peking, einer von fünf großen buddhistischen Tempeln der chinesischen Hauptstadt, gibt „The Shadowless Tower“ von Zhang Lu nicht nur seinen Namen; er ist auch in den Bildern des Films eine ständige Präsenz. Die allerdings keinen sichtbaren Schatten wirft. Größe und Bauart des Turms lassen seinen Schatten erst in großer Entfernung sichtbar werden.
Gu Wentong (Xin Baiqing) ist derjenige, der den eigenen Schatten nicht mehr zu sehen vermag. Früher schrieb er Gedichte, heute schreibt er über Essen. Er war verheiratet, lebt heute aber allein in einer Junggesellenwohnung. Nach der Scheidung wohnt seine Tochter, die von allen nur „Smiley“ genannt wird, bei seiner Schwester und deren Ehemann, was eine im modernen China nicht ungewöhnliche Situation ist. Gu Wentong ist in der Mitte seines Lebens angekommen, in einem trügerischen Midlife-Gleichgewicht. Der Blick zurück fällt nur auf ein halbes Leben, der Blick in die Zukunft sieht keine großen Veränderungen. Eine Affäre mit der Fotografin Ouyang Wenhui (Huang Yao) scheint eine solche nochmals anzudeuten, verläuft aber allmählich im Sand. Stattdessen dringt die Vergangenheit in sein Leben zurück, das kaum merklich in Richtung einer Krise driftet.
Die Rückkehr des verschollenen Vaters
Ein gemeinsamer Besuch auf dem Friedhof bringt seinen Vater zurück in sein Leben. Auf dem Grab der Mutter hat dieser Blumen hinterlassen. Nicht die Erinnerung, die darüber in Gu Wentongs Leben zurückkommt, ist das entscheidende, sondern die Revision dieser Erinnerung. Der nach dem Vorwurf sexueller Belästigung von der Familie verstoßene und seit Gu Wentongs Kindheit verschollene Vater ist den Erzählungen des Schwagers nach unschuldig und lebt in einer kleinen Küstenstadt. Seit Jahren unternimmt er mit dem Fahrrad lange Exkursionen nach Peking, legt Blumen am Grab der Ehefrau nieder und wirft einen fernen Blick auf seine Kinder.
Die Spuren des Vaters am Grab der Mutter erscheint zunächst kaum als großer Umbruch. „The Shadowless Tower“ ist ein Film der leichten Verschiebungen. Der nächste Schritt des Food-Bloggers ist nicht die Konfrontation mit dem Vater, keine Reise in die Vergangenheit, sondern ein für die Gangart des Films emblematischer grüblerischer Spaziergang. Dabei stößt der Protagonist mit einem rückwärts laufenden Mann zusammen. Der lächelnde Jogger empfiehlt den Rückwärtsgang gegen jede Form der Melancholie. Eines von zahlreichen Motiven, die der Film in kleinen, zyklischen Wanderungen wieder und wieder ansteuert.
Die Bilder von Piao Songri suchen das, was Menschen zu kleinen Gesten veranlasst, jene oft ironischen Momente, die ein kurzes Innehalten erzwingen, zwischen den dramaturgischen Kreisbewegungen, welche die Montage von Liu Xinzhu in einen unaufhaltsam fließenden Rhythmus einfasst.
Das alte Peking und sein dissonantes Echo
Eine Szene in der Mitte des Films zeigt ein Klassentreffen. Die alten Freunde kauern betrunken über dem Esstisch. Nur einer von ihnen hat Peking verlassen. Er lebt heute in Paris und ist übers Handy dabei. Gu Wentong singt ihm ein Lied aus der Heimat, eine Hymne auf das alte Peking, das von der Zeit längst überholt wurde. Das dissonante Echo dazu zeigt der Film an anderer Stelle: für die Länge einer Zigarette erscheint Peking, hier repräsentiert von einer Hochhausfront unmenschlichen Ausmaßes, als ein über der einfachen Existenz hängender Moloch aus der fernen Zukunft.
„The Shadowless Tower“ ist um unzählige solcher kleinen Echos, Ellipsen und Doppeldeutigkeiten gebaut. Vom neuen Ehemann seiner Ex-Frau erfährt Gu Wentong auf Nachfrage, dass das koreanische Wort für Liebe phonetisch identisch sei mit dem uigurischen Wort für Narr. Es steckt etwas Altmeisterlich-Apodiktisches, in diesen Zyklen, mit denen Regisseur Zhang Lu das Leben einkreist. Sanft, melancholisch und humorvoll kommt das zusammen, was sich Gu Wentong nicht als ein einziger gewaltiger Schicksalsschlag offenbart, sondern ihn umfasst wie ein Schatten, der nie sichtbar wird, auch wenn sein Körper schon immer zu sehen war.