2016 hörte die französische Schriftstellerin Flore Vasseur von ihrem siebenjährigen Sohn eine verblüffende Frage: „Was bedeutet, dass unser Planet sterben wird?“ Als sie keine befriedigende Antwort zur Hand hatte, entspann sich zwischen beiden eine rege Diskussion. Am Ende fragte der Sohn: „Und was tust du, damit der Planet nicht stirbt?“ Mit seiner Unterstützung entschied sich Vasseur, ihren ersten Film über das Thema Umweltverschmutzung zu drehen.
Doch bei diesem Sujet blieb es nicht. Im Zuge der Recherchen weitete sich ihr Blick auf andere Themenfelder: Klimakrise, Migration, Nachhaltigkeit, Sexismus, Menschenrechte, Ungerechtigkeit. Zur Leitfigur kürte Vasseur die junge Indonesierin Melati Wijsen, die seit ihrem 12. Lebensjahr zusammen mit ihrer Schwester Isabel gegen den Plastikmüll auf Bali kämpft. Die Geschwister gründeten die Initiative „Bye Bye Plastic Bags“ und mobilisierten Tausende Kinder und Touristen. Nach einer sechsjährigen Kampagne setzten sie ein Dekret in Bali durch, das den Verkauf und die Verteilung von Tüten, Verpackungen und Strohhalmen aus Plastik auf der Insel verbietet.
Mit der Welt in Erfahrung treten
Die inzwischen 18-jährige Melati weiß, dass sie mit ihrem Engagement nicht allein ist, und tritt eine Reise in die Welt an. Sie will Gleichgesinnte treffen, Erfahrungen austauschen, von ihnen lernen. Fündig wird sie auf der griechischen Insel Lesbos, wo die 22-jährige Britin Mary Finn sich seit vier Jahren an Rettungsaktionen von Flüchtlingen beteiligt, die in Seenot geraten sind, aber auch die europäische Flüchtlingspolitik scharf geißelt.
Dann besucht Melati im Libanon den 18-jährigen Mohamad Al Jounde, der mit seiner Familie vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen ist. In einem Camp an der Grenze baute der 12-Jährige eine Schule mit auf, die heute von 200 syrischen Kindern besucht wird. Im Libanon sind Flüchtlingskinder nicht zu öffentlichen Schulen zugelassen; Privatschulen dürften sie besuchen, doch das können sich die meisten nicht leisten.
Nächste Reisestation von Melati ist Malawi. Dort lebt die 22-jährige Memory Banda, die dafür sorgte, dass in ihrem Dorf die Tradition der institutionalisierten Vergewaltigung blutjunger Mädchen in sogenannten Initiationslagern gestoppt wurde. Memory war auch maßgeblich daran beteiligt, eine Verfassungsänderung zu erreichen, die das Mindestalter für eine Heirat von 15 auf 18 Jahre erhöhte.
Rene Silva war elf Jahre alt, als er in seiner Favela in Rio de Janeiro eine eigene Zeitung gründete, um den vielen Falschdarstellungen in der Presse entgegenzutreten. Mit seinem Team will der heute 25-Jährige berichten, was wirklich in den Favelas passiert, und nutzt dazu längst auch Soziale Medien.
Furchtlos und hartnäckig
Der 19-jährige Xiuhtezcatl Martinez kämpfte schon als junger Schüler in seiner Heimatstadt im US-Bundesstaat Colorado gegen Pestizide und Gas-Fracking. Später verklagt der indigene Musiker zusammen mit anderen jungen Menschen den Bundesstaat und die US-Regierung wegen Untätigkeit gegen die globale Erwärmung.
In Uganda bringt die 25-jährige Winnie Tushabe geflüchteten Afrikanern die Grundlagen der Permakultur bei, mit der sie auch auf pestizid-belastetem Ödland überleben können. Sie kümmert sich zudem um fast 900 Familien und hat mehr als 50 Arbeitsplätze für junge Menschen und Frauen geschaffen. Sie ist fest überzeugt: „Die Bäuerinnen werden Afrika retten.“
Gemeinsam ist allen Protagonist:innen, dass sie schon in frühen Jahren Missstände in ihrem Umfeld erkannt haben, es aber nicht dabei beließen, sondern sich aufrafften und etwas dagegen unternahmen. Sie sind nicht nur furchtlos und einfallsreich, sondern bleiben auch bei Gegenwind hartnäckig. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie rasch Mitstreiter und Unterstützer fanden.
Hier schlägt der engagierte Dokumentarfilm, der unübersehbar jungen Menschen Mut zusprechen will, einen Bogen zu der schwedischen Schülerin Greta Thunberg, die mit ihrer „Fridays for Future“-Bewegung Millionen von Jugendlichen inspirierte. Bilder von „Fridays for Future“-Massendemonstrationen sind auch in „Bigger Than Us“ zu sehen, der an andere Dokumentarfilme über junge Klima- und Umweltschutzaktivisten wie „Youth Unstoppable“ und „Ich bin Greta“ abschließt.
Es geht um etwas Größeres
Melati und ihre Gesinnungsgenossinnen begnügen sich allerdings nicht mit Gesten und Taten des Widerstands, sondern sie folgen einer tiefen Sehnsucht nach Gemeinschaft. Der unter anderem von Marion Cotillard co-produzierte Film arbeitet anschaulich heraus, dass die jungen Aktivisten sich durchaus bewusst sind, nur ein kleines Rädchen im Getriebe zu sein; gleichzeitig aber vertrauen sie fest darauf, im Kollektiv etwas bewegen können. Ebenso klar ist ihnen aber auch, dass die Herausforderungen immens sind: Es geht um etwas Größeres als sie selbst, wie ja auch der Titel signalisiert.
Die Abschnitte mit den Kurzporträts der jungen Menschen sind zu knapp gehalten, um ihre jeweiligen Lebensgeschichten und Karrieren ausreichend zu vertiefen. Gerade über Memorys Kampf gegen den Sexismus oder auch über Renes Engagement für die Meinungsfreiheit hätte man gern mehr erfahren. Zudem bleiben Rückschläge, Enttäuschungen und Misserfolge, die es bei einem jahrelangen Engagement mit Sicherheit auch gab, ebenso außen vor wie die Standpunkte ihrer Familien.
Man erfährt viel über die Welt
Flore Vasseur nutzt die Episoden allerdings auch, um erhellende Hintergrundinformationen einfließen zu lassen. So erfährt man, dass in Malawi 42 Prozent der Mädchen vor ihrem 18. Lebensjahr zwangsverheiratet werden; nach Angaben von UNICEF trifft dieses Schicksal auf jedes fünfte Mädchen zu. Oder dass bis 2050 voraussichtlich 95 Prozent des Nordens der indonesischen Hauptstadt Jakarta vom Meer überflutet sein wird.
Dramaturgisch etwas unbeholfen wirken die kurzen Begegnungen von Melati und Mary an der griechischen Küste, die nach fast jeder Reisestation eingeschoben werden, aber keine neuen Erkenntnisse bringen. Dafür gehört Mary Finn die stärkste Sequenz des Films. Auf Lesbos zeigt sie Melati eine Halde mit weggeworfenen Schwimmwesten. Sie reißt eine davon auf und nimmt eine dünne Plastikfolie heraus, die zwar auf dem Meer schwimmt, aber keinen Menschen tragen könnte. Solche mörderischen Fake-Westen seien überall an der türkischen Küste zu kaufen, klagt Mary. Ein perverses Beispiel, wie skrupellose Geschäftemacher aus der Not der Ärmsten Kapital schlagen.