Drama | Israel 2022 | 82 Minuten

Regie: Idan Haguel

Ein hippes, sich als weltoffen empfindendes schwules Pärchen zieht in einen noch nicht gentrifizierten Bezirk von Tel Aviv. Als einer der beiden die Polizei gegen zwei störende Wanderarbeiter zu Hilfe ruft und deren gewaltsames Vorgehen miterlebt, wird er mit schwierigen Fragen über seine eigene Toleranz konfrontiert. Der Film verbindet Elemente aus Thriller, Satire und Drama, um von der liberalen Gesellschaft und ihren Lebenslügen zu erzählen. Mitunter gerät das thematisch zu überfrachtet und wirkt wie ein Versuchsaufbau, doch die überzeugenden Schauspieler erden den Film. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
EZRAH MUDAG
Produktionsland
Israel
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Rabinovich Foundation for the Arts/Israel Film Council/M-Appeal
Regie
Idan Haguel
Buch
Idan Haguel
Kamera
Guy Sahaf
Musik
Zoe Polanski
Schnitt
Shauly Melamed
Darsteller
Ariel Wolf (Raz) · Shlomi Bertonov (Ben) · Lena Fraifeld (Rutti) · Uriah Jablonowsky (Roee) · Ilan Hazan (Therapist)
Länge
82 Minuten
Kinostart
02.02.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Komödie
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Heimkino

Verleih DVD
Salzgeber (16:9, 1.78:1, DD5.1 hebrä.)
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Drama um ein homosexuelles israelisches Männerpaar, das in einem multikulturellen Viertel in seiner weltoffenen Haltung erschüttert wird.

Diskussion

Inmitten der Betonwüste wiegt sich ein schmächtiges Bäumchen im Wind. Man hat dafür ein kleines Stück Erde gefunden, doch schon ein kurzer Blick lässt erkennen, dass die Pflanze eigentlich fehl am Platz ist. Schrecklich verletzlich, einsam und verloren, nur eine raue Böe vom Ende entfernt. Eingegraben hat diese botanische Metapher der junge Architekt Ben (Shlomi Bertonov), der selbst auch ein wenig unglücklich verpflanzt wurde. Gemeinsam mit seinem Partner Raz (Ariel Wolf) ist er in das aufstrebende multikulturelle Viertel Neve Sha’anan gezogen. Es ist einer dieser Orte, von denen alle sagen, dass in fünf Jahren hier alles ganz anders aussähe. Am besten investiert man jetzt gleich! Ein ehemaliges Problemviertel, kurz vor der Gentrifizierung.

Das Paar braucht den günstigen Wohnraum, der im Stadtkern von Tel Aviv wohl zu teuer wäre, um sich zu entfalten. Mithilfe einer Leihmutter wollen sie Eltern werden. Gleichzeitig kann man als Teil des Juste Millieus unter Migranten die eigene Weltoffenheit demonstrieren. Doch im Menschenwald weht ein rauer Wind, und so geraten Ben und sein Bäumchen schon bald in Bedrängnis.

Zweifel im sorgenarmen Leben

Die eigentliche Geschichte von „Concerned Citizen“ kommt in Gang, als zwei Wanderarbeiter sich an den dünnen Stamm lehnen. Etwas hilflos versucht Ben, sie darauf anzusprechen. Dann ruft er kurzerhand die Polizei. Als die Ordnungshüter einen der Migranten niederprügeln, bleibt Ben stummer Zuschauer. Doch die Schuld lässt ihn nicht mehr los; die Bilder der Gewalt spuken in seinem Kopf und stören das sonst so sorgenarme Leben. Plötzlich hält der Zweifel Einzug in die perfekte Welt aus Frühstücks-Smoothies, Markenunterwäsche, Topfpflanzen, Fitnesstraining, Saugrobotern und klassischer Musik.

Dieses mittelständische Leben zwischen Selbstverwirklichung und Distinktionsbedürfnis zeigt Regisseur Idan Haguel als bunte Fassade. Unter dem dünnen Firnis lauern bürgerliche Egoismen, geschützt von der Härte des staatlichen Gewaltmonopols. Alles funktioniert nur, weil andere ausgeschlossen werden. Gerade die Mitte der Gesellschaft mit ihren Abstiegsängsten braucht eine im besten Fall unsichtbare Staatsmacht, die ihren reibungslosen Alltag gewährleistet.

Es liegt im Trend, die sadistische Kontrollsucht der Bio-Grünkohl-Smoothie-Fraktion offenlegen zu wollen. Zahllose Künstler entwerfen ihre Version von „American Psycho“ für den Prenzlauer Berg und seine weltweiten Entsprechungen. Haguel hat sich also ein dankbares Ziel ausgesucht; seine Invektiven sind zum Glück aber vergleichsweise treffsicher. Er beweist genügend Empathie, und so ist seine Kritik nicht einfach als wutblindes Geschimpfe abzutun.

Man merkt „Concerend Citizen“ eine wirkliche Sorge um die Wohlstandsverzweifelten und ihre leeren Existenzen an. Shlomi Bertonov lässt seine Figur Ben stets so schauen, als hätte er einen Geist gesehen. Seine Depression wird dadurch, dass sie keine klare Ursache hat, nur noch unerträglicher. Seine Schuldgefühle nähren eine paranoide Angst, die eigentlich schon lange ein Begleiter war. In seinem Hinterkopf lauert das nagende Gefühl, dieses Leben nicht verdient zu haben.

Kratzen an der Grenze zur Farce

Seine Freunde und sogar sein Therapeut bieten ihm keine neuen Perspektiven und fordern ihn nicht heraus, sondern schmeicheln lediglich seinem Ego. Als Ben in einer Sitzung von der Polizeigewalt berichtet, stellt der Therapeut die Szene mit seinem Kissen nach und prügelt darauf ein. Auch in anderen Szenen kratzt der Film an der Grenze zur Farce und kippt mutwillig ins cartoonhaft Überzeichnete. Das erinnert von fern an die artverwandten Filmen von Ruben Östlund.

Alle, die Ben kritisieren würden, sind ohnehin schon seine Feinde. So lebt es sich unbeschwert. Mut zeigt er immer zum falschen Zeitpunkt. Seine Zivilcourage ist nie mehr als das Echo früherer Feigheit. Was ihn treibt, ist selten eine klare Position, sondern ein Unbehagen mit sich selbst. Schuld ist zwar eine politische Kategorie, aber sie richtet sich nach innen, obwohl äußere Veränderung notwendig wäre.

Als Architekt ordnet er eigentlich die Welt und schafft soziale Realität. Man sieht ihn jedoch nie Gebäude entwerfen, sondern vor allem digitale Menschen zwischen schon bestehenden 3D-Modellen platzieren. Im Computerprogramm ist das Kind für das schwule Paar nur zwei kurze Klicks entfernt. Eine Kontrolle über das Virtuelle, wo die Kontrolle der physischen Wirklichkeit längst nicht mehr vorstellbar ist.

Haguel zeigt eine gefallene Welt, in der kaum eine Sehnsucht noch unschuldig ist. Selbst der Wunsch nach einem Kind ist von Grund auf korrumpiert. Die Leihmütter werden auf einer Website wie aus einem Katalog ausgesucht, die Hälfte der Seite nimmt der Schriftzug „Genetik“ ein. Bei aller Schönheit des neuen Lebens ist es auch ausbeuterisch, wie Körper vermietet und Menschen zu Lifestyle-Produkten werden.

Ganz konkrete Paranoia

Gentrifizierung, Migration, Leihmutterschaft, Depression: „Concerned Citizen“ öffnet viele Schleusentore für den Diskurs. Erträglich wird das, weil die abstrakten Ideen sich in Ben in eine ganz konkrete, in der Form darstellbare Paranoia verwandeln. Die Kamera klebt oft an seinem Rücken, als wäre sein Verfolgungswahn absolut berechtigt. Natürlich ließe sich die Geschichte auch als Metapher für das Land Israel verstehen: Der Nahe Osten als Problemviertel, das Bäumchen zwischen Betonflächen der stets gefährdete demokratische Staat, die Polizei als Militär. Dann aber wäre die Metapher unterkomplex; interessanter als die makropolitische Dimension ist die mikropolitische Ebene.

Am klügsten ist „Concerned Citizen“ dort, wo er von der Illusion erzählt, private Schwäche wäre auch gesellschaftliche Schwäche. „Concerned Citizen“ ist ein Film über besorgte Bürger aus aller Welt, die sich für ein schwaches, schutzbedürftiges Bäumlein halten, aber eigentlich der Wind sind.

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