Sebastian hat Hausarrest und betrachtet einen Schmetterling, der in einem Glas herumflattert. Er hat seiner Mutter versprochen, zu Hause zu bleiben. Als ihn ein Freund anruft, zögert er kurz und rennt dann aus seinem Zimmer. Doch dann kehrt er zurück und lässt das gefangene Insekt frei. Die prägnante Eingangsszene von „Belle & Sebastian – Ein Sommer voller Abenteuer“ vermittelt eine klare Botschaft: Hier geht es um den Respekt vor jedem Lebewesen und eine artgerechte Tierhaltung.
Weil Sebastians alleinerziehende Mutter Cécile dringend nach Prag reisen muss, bringt sie den zehnjährigen Jungen von Paris zu ihrer Mutter Corinne und ihrer Schwester Noémie, die in ihrem Heimatdorf in den südfranzösischen Alpen einen Bauernhof betreiben. Dort soll der draufgängerische Großstadtjunge bei der Arbeit mit der Schafherde helfen. Davon ist Sebastian keineswegs begeistert, doch dann lernt er die weiße Hütehündin Belle kennen, die von ihrem Besitzer Gas schlecht behandelt wird. Das verheimlicht Gas allerdings vor seinem wohlhabenden Vater Yves und der temperamentvollen Noémie, mit der er liiert ist.
Kampf gegen wilde Wölfe
Anfangs ist auch die mürrische Corinne von dem Gast nicht begeistert, hat sie doch kurz vor dem Almauftrieb der Schafe sehr viel zu tun. Außerdem will sie den finanziell angeschlagenen Hof an Yves verkaufen, der mit Kunstschnee hier ein Ski-Ressort errichten will, das auch bei 15 Grad noch nutzbar ist. Corinne taut allerdings auf, als Sebastian rasch dazulernt und Interesse an der Schafzucht entwickelt. Das liegt vor allem an der klugen Pyrenäen-Hündin Belle, mit der er Freundschaft schließt.
Um den Vierbeiner vor weiteren Misshandlungen zu schützen, legt sich der abenteuerlustige Junge sogar mit Gas an. Er lässt Belle frei, die später bei der Berghütte auftaucht, in der sich Corinne und er einquartiert haben. Als Sebastian gerade von Belle gelernt hat, wie man die Schafe in eine schützende Umzäunung treibt, tauchen vier wilde Wölfe auf.
Der Film beruht auf einer beliebten französischen Fernsehserie und der dazugehörigen Kinderbuchreihe von Cécile Aubry aus den 1960er-Jahren. 1981 wurde der Stoff in Japan als mehrteiliger Anime adaptiert. 2013 entstand mit „Belle & Sebastian“ eine erste Verfilmung, gefolgt von „Sebastian und die Feuerretter“ (2015) sowie „Belle & Sebastian – Freunde fürs Leben“ (2017). Während diese drei Verfilmungen die Handlung in die 1940er-Jahre und damit in den Zweiten Weltkrieg verlegten, ist die aktuelle Adaption durch Regisseur Pierre Coré in der Gegenwart angesiedelt.
Das Drehbuch hat Coré zusammen mit Alexandre Coffre geschrieben. Es hält an den zentralen Strukturen wie der tiefen Freundschaft zwischen einem Jungen und einer Hündin fest, verknüpft diese aber mit zeitgemäßen Sujets wie dem wachsenden Umweltbewusstsein, den Spannungen zwischen Landwirtschaft und Tourismus sowie der traditionellen Weidewirtschaft, die in Zeiten der Erderwärmung offenbar neue Wertschätzung erfährt.
Ein gut gehütetes Geheimnis
Das Herzstück der Erzählung bilden Sebastian (Robinson Mensah Rouanet, der aus mehr als 2000 Bewerbern ausgewählt wurde) und Belle, die im Film von insgesamt vier Hündinnen dargestellt wird. Aus ihrer Sicht wird die spannende Story erzählt. Die beiden schließen Freundschaft, helfen einander in der Not und spenden sich Trost. Belle rettet dem Jungen das Leben, und im Gegenzug schenkt Sebastian ihr die Freiheit. Auch wenn Rouanet zu Beginn etwas spröde wirkt, so öffnet er sich doch schnell und hält mit den professionellen Darsteller:innen wie Michèle Laroque als verwitwete Großmutter, Alice David als sprunghafte Noémie oder Syrus Shahidi als garstiger Gas mit.
Trotz der Konzentration auf das Kind-Tier-Thema kommen auch erwachsene Zuschauer nicht zu kurz. Denn das Verhältnis zwischen Corinne und ihren Töchtern wird durch ein gut gehütetes Geheimnis belastet, aus dem heftige Konflikte erwachsen. Zudem sorgen die Vertrauenskrise zwischen Noémie und Gas sowie ein schließlich aufgedeckter Verrat von Yves an Corinne für Zündstoff.
Wie die Vorgängerfilme setzt auch Coré auf imposante Aufnahmen der idyllischen Berglandschaften, auf innige Freundschaftsszenen und ein solides Ensemble, aber auch auf Action und Dramatik. Als sich Sebastian nachts nur mit einem Stock in der Hand einem Wolf entgegenstellt, der die Schafherde überfallen hat, steigt die Spannung für jüngere Zuschauer beträchtlich. Die dramatischen Szenen werden oft von schwelgerischer Musik untermalt, ohne allzu plakativ zu werden.
Nicht alles geht auf
Die Schwäche der geradlinigen Inszenierung liegt in der allzu stereotypen Figurengestaltung. Mit Ausnahme von Sebastian sind fast alle männlichen Figuren negativ konnotiert. Sein Vater ist abwesend, Gas erweist sich als tückischer Tierquäler, dessen Vater als skrupelloser Geschäftsmacher. Selbst zwei Polizisten, die kurz vor Schluss zu Hilfe gerufen werden, zucken nur mit den Schultern: Im dichten Nebel kann der Hubschrauber nicht aufsteigen. Dafür sind die weiblichen Figuren trotz mancher Schwächen und Fehler durchgängig positiv konnotiert. Mit dieser holzschnittartigen Charakterisierung haben es sich die Filmemacher zu leicht gemacht.
Im dramatischen Finale überspannt der Regisseur den Bogen der Glaubwürdigkeit. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, warum der hartherzige Gas der Hündin so unnachgiebig nach dem Leben trachtet. Zum anderen greift Sebastian zu einer riskanten sportlichen Aktion, um Belle vor einem mörderischen Anschlag retten, bringt sich damit aber in Lebensgefahr. Trotz solcher Wermutstropfen bliebt „Belle & Sebastian – Ein Sommer voller Abenteuer“ ein spannender Abenteuerfilm mit hohem Unterhaltungswert für die ganze Familie.