Die berühmten Naturfilmer dieser Erde kommen in die Jahre. Hans Hass, Heinz Sielmann, Jacques Cousteau und Bernhard Grzimek sind längst verstorben und Sir David Attenborough ist im Mai 96 Jahre geworden. Aber ihre kritischen Blicke auf unseren Umgang mit der Welt sind immer noch höchst aktuell, wenn auch allenfalls noch in den Mediatheken der Kultursender oder in den Heimkinoveröffentlichungen präsent. Yann Arthus-Bertrand, der große französische Natur-Mahner, der 2009 mit seinem poetisch-philosophischen Film „Home“ in den Kinos für Furore sorgte, weil er uns unsere wunderschöne Erde aus der Luft, aber auch in einem desolaten Zustand zeigte, ist letztes Jahr 75 Jahre geworden. Für ihn Anlass, auf seine 40-jährige Karriere als Naturbeobachter zurückzuschauen und in einem neuen, vielleicht letzten Werk Resümee zu ziehen.
Fantastische Bilder aus der Vogelperspektive
„Legacy – Das Erbe der Menschheit“ nennt er seinen Dokumentarfilm bedeutungsschwanger. Gleich im Vorspann widmet er den Film seinen Enkeln und im Off-Kommentar, den er in der französischen Originalfassung selbst spricht, wird er sogleich sehr persönlich, fast ein bisschen milde. Er will uns noch einmal – in 100 Minuten eigentlich recht kurz – eine kleine Geschichte unserer Welt erzählen. Von der Energie philosophieren, die alles antreibt. Ein wenig abgedroschen bemüht er die Erdgeschichte in Uhrform, auf der der Mensch erst 20 Sekunden vor 12 in Erscheinung trat.
In gewohnt fantastischen Bildern aus der Vogelperspektive berichtet Arthus-Bertrand vom wunderbaren Planeten und wie die Menschen ihn sich untertan gemacht, zunächst die Tiere, dann die Pflanzen domestiziert haben. Ein wenig wehmütig verbindet er damit auch immer wieder Stationen seiner eigenen Karriere, die davon geprägt ist, die Beziehungen zwischen Menschen und Schöpfung aufzuzeigen. Nein, es sind nicht nur die Fußabdrücke der Verwüstung, die der Mensch hinterlassen hat. Und immerhin ist die Natur auch ziemlich robust und widerstandsfähig, wenn es gilt, trotz des Menschen ihre Schönheit zu bewahren.
Der Ton wird härter
Man möchte den Film als mildes Alterswerk abtun, das vor allem durch seine Visualität besticht. Doch wenn es ums Ausbeuten der Energie in der konzentrierten Form fossiler Brennstoffe geht, wenige tausendstel Sekunden vor Mitternacht auf der Erdgeschichten-Uhr, wird Arthus-Bertrands Ton härter und die immer präsente, elegische Filmmusik von Armand Amar fordernder und bedrohlicher. Die industrielle Revolution ist der Sündenfall, mit der der Mensch beginnt, maßlos zu werden. Das, was ihn einst zur überlegenen Spezies auf der Welt machte, nämlich Intelligenz und die Fähigkeit der Kooperation, pervertiert und droht die Schöpfung zunichtezumachen. Gerade eine Dreiviertelstunde Erzählzeit ist in „Legacy – Das Erbe der Menschheit“ vergangen, da zieht Arthus-Bertrand die Schlinge zu, mit der er die Zuschauer zunächst an der langen Leine gehalten hat. Die schöne Geschichte vom menschlichen Erfolg beginnt aus dem Ruder zu laufen.
„Ich kann nicht mehr so weiterreden, als wäre nichts geschehen“, klagt der Erzähler nach 53 Minuten an. Er müsse „den Mut zur Wahrheit haben“! Damit beginnt der Regisseur mit der Abrechnung. Sicher, er hat auch schon in früheren Filmen angemahnt, dass die Menschen nichts lieber mögen als Lippenbekenntnisse, nur um dann zur Tagesordnung überzugehen. Aus diesem Grund hatte Yann Arthus-Bertrand seinen 2009 veröffentlichten Film „Home“ vier Jahre später als „Home - Die Geschichte einer Reise“ verbittert upgedatet. Nun zieht er einen Schlussstrich.
Die Schwarm-Unvernunft der Menschen
„Jede Sekunde werden wir fünf Menschen mehr auf der Erde.“ Kann allein diese Zahl das Problem umreißen? Eigentlich ja, aber Arthus-Bertrand drückt sich ein wenig vor der letzten Konsequenz. Er beschreibt, während man die vollen Strände in Asien und Südamerika, die zu Hochhauskomplexen mutierenden Schweinefarmen in China, die nicht enden wollenden Rinderställe in Nord- und Südamerika und das schmelzende Eis der Polkappen aus der Luft sieht, dass schuld an der Misere nun einmal die Schwarm-Unvernunft der Menschen ist. Sie produziert neue Energie aus nachhaltigem Wind, nicht um fossile Energien überflüssig zu machen, sondern um noch mehr von allem zu verbrauchen, wider besseres Wissen. Mit dem Verschwinden der Biodiversität verschwindet auch der Mensch. So einfach ist es. Doch Arthus-Bertrand ist zwar ein Mahner, aber kein Unmensch. Daher konstatiert er zwar, dass wir bereits 70 Prozent des Lebens auf der Erde vernichtet haben und dass nur der reiche Bruchteil der sogenannten hochtechnisierten Welt dafür verantwortlich zeichnet, doch er konstatiert mitnichten, was daraus folgen wird. Vielmehr erscheint der 75-jährige Yann Arthus-Bertrand in den letzten Minuten noch einmal persönlich im Bild und redet uns mit direktem Blick ins Gewissen. Soll es das nun gewesen sein? Ist das das Erbe der Menschheit? Es ist bewegend, wie inständig er doch hofft, dass wir – um unserer Enkel willen – noch zu Besinnung kommen. Ein frommer Wunsch, denn sein Film beweist das Gegenteil.