Drama | Argentinien/USA 2022 | 140 Minuten

Regie: Santiago Mitre

In den 1980ern wird der argentinische Staatsanwalt Julio Strassera damit beauftragt, in einem Prozess gegen hochrangige Militärvertreter, die wegen Gräueltaten der Militärdiktatur vor Gericht gestellt werden, die Anklage zu vertreten. Da er unter arrivierten Kollegen keine Unterstützung findet, tut er sich mit dem jungen Kollegen Luis Moreno Ocampo zusammen und rekrutiert mit ihm ein Team weiterer hoch motivierter Mitarbeiter. Ein klassisch aufgebautes Justiz-Drama nach realen Ereignissen, das dem wichtigen historischen Prozess ein Denkmal setzt und dabei nicht nur den Mut Strasseras und seines Teams feiert, sondern auch in Form der Zeugenaussagen den Opfern des Militär-Regimes eindringlich Referenz erweist. Ein glühender Appell für Rechtsstaatlichkeit und die konsequente juristische Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
ARGENTINA, 1985
Produktionsland
Argentinien/USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
La Unión de los Ríos/Kenya Films/Infinity Hill
Regie
Santiago Mitre
Buch
Mariano Llinás · Santiago Mitre
Kamera
Javier Julia
Musik
Pedro Osuna
Schnitt
Andrés P. Estrada
Darsteller
Ricardo Darín (Julio Strassera) · Peter Lanzani (Luis Moreno Ocampo) · Gina Mastronicola (Verónica) · Santiago Armas Estevarena (Javier) · Alejandra Flechner (Silvia)
Länge
140 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Gerichtsfilm | Historienfilm
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Klassisch aufgebautes Justizdrama über den wichtigen historischen Prozess gegen Generäle zur Zeit der argentinischen Militärdiktatur 1976-1983, die Staatsanwälte, die den Drohungen der ehemaligen Machthaber trotzen, und die Opfer des Regimes.

Diskussion

Der Filmtitel gibt Ort und Zeit des Geschehens bereits an. Zwei Jahre zuvor, 1983, war Raúl Alfonsín als erster demokratischer Präsident Argentiniens gewählt worden – nach sieben Jahren Militärdiktatur. Alfonsín entschied, dass die juristische Aufarbeitung dieser Phase der Diktatur eingeleitet werden sollte: Er ermöglichte, dass neun Junta-Generäle, von denen drei Präsidenten waren, der Entführung und Folterung, des Mordes und des Verschwindens von Tausenden von Argentiniern angeklagt werden konnten. Und zwar nicht vor einem Militärgericht (wie es die Generäle arrogant verlangten), sondern vor einem Zivilgericht.

Vor diesem historischen Hintergrund zeigt „Argentina, 1985“ ebenso anspruchsvoll wie lehrreich, was es braucht, um den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit in einer noch jungen Demokratie, über der noch der lange Schatten der Diktatur liegt, Geltung zu verschaffen: Hartnäckigkeit, Gewissenhaftigkeit und Furchtlosigkeit. Mit diesen Qualitäten kommt der Staatsanwalt Julio Strassera ins Spiel. Ricardo Darín spielt ihn als klugen Mann, zurückhaltend, aber willensstark, humorvoll, aber auch besorgt, loyal, vor allem aber idealistisch. Als die Anklage auf seinem Schreibtisch landet, kaschiert er seine Panik mit kühler Professionalität. Er weiß um die Gefahren für sich und seine Familie, die aus dem Prozess erwachsen könnten. Denn die ehemaligen Machthaber haben noch viele Anhänger, nicht zuletzt in Institutionen wie dem Militär, der Polizei und auch der Justiz. Darum glaubt er auch zunächst, dass die neue Regierung ihn zu einer Marionette in einem Schauprozess auserkoren hat. Trotzdem beginnt er gewissenhaft mit der Arbeit.

Zunächst scheint er ziemlich allein dazustehen

Dabei scheint er zunächst ziemlich allein dazustehen. Das zeigt eine Szene, in der er sich mit einem alten Freund berät, welche Kollegen er noch ins Team holen könnte, und den beiden niemand einfallen mag: die integren Anwälte sind entweder tot oder zu alt, die anderen sind entweder, so die beiden Freunde, „Faschisten“ oder gar „Superfaschisten“. Doch dann kommt der junge Jurist Luis Moreno Ocampo (Peter Lanzani) auf ihn zu und bietet seine Hilfe an. Er kommt zwar aus einer High-Society-Familie, die dem diktatorischen Regime nahestand, glaubt aber fest an eine demokratische Zukunft seines Landes und die Notwendigkeit, die Verbrechen der Vergangenheit strafrechtlich zu verfolgen, und was ihm dabei an Erfahrung fehlt, macht er durch Engagement wett. Mit seiner Hilfe versammelt Strassera ein Team weiterer junger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um sich, die ins Land ausschwärmen, um Zeugen ausfindig zu machen, die bereit sind, auszusagen, Hintergründe zu recherchieren und Akten zu studieren. Doch es bleibt ihnen nicht viel Zeit: In fünf Monaten beginnt der Prozess.

Die Bedeutung dieses Prozesses von 1985 ist gar nicht hoch genug einzuschätzen. Nicht nur, dass dies die größte Verhandlung gegen eine verbrecherische Regierung seit den Nürnberger Prozessen war; hier stellte sich ein Land seiner eigenen Vergangenheit und arbeitete sie auf. Hohe Militärs mussten sich für eklatante Menschenrechtsverletzungen und unvorstellbare Verbrechen verantworten, darunter auch Leopoldo Galtieri, der vier Jahre zuvor die katastrophale Invasion der Falkland-Inseln befohlen hatte. Der argentinische Regisseur Santiago Mitre, bekannt durch sein Debüt „The Student“ (2011), „Paulina“ (2015) und „The Summit“ (2017), wird dieser Bedeutung gerecht.

Das Interesse gilt den Opfern

Dabei zeigt er, in einem geschickten Schachzug, nur wenig Interesse für die Generäle, um die es in dem Prozess geht. Sie spielen als Figuren nur eine marginale Rolle; neben den Heldinnen und Helden des Films – Strassera und seinem jungen Team – sind es vielmehr die Opfer, ihr Leid und das, was sie zu berichten haben, was Mitre in den Mittelpunkt stellt. Höhepunkt ist zweifellos die herzzerreißende, minutenlange Zeugenaussage von Adriana Calvo de Laborde, die hochschwanger war, als die Junta sie entführte. Bekleidet und an den Händen gefesselt, brachte sie auf dem Rücksitz eines Wagens in voller Fahrt ihr Kind zu Welt – ohne dass ihr jemand half. Eine beispiellose Grausamkeit, die sich kaum verstehen lässt, hier aber stellvertretend für die Unmenschlichkeit der Junta steht.

Mitre schildert aber auch die Folgen und Belastungen, die der Prozess für das Anwaltsteam hat. Strassera schwebt in ständiger Gefahr: Anonyme Anrufer bedrohen ihn, aber auch seine Frau und seine Kinder. Und ist der neue Freund seiner Tochter vielleicht ein Maulwurf der Gegenseite? Strassera setzt seinen heranwachsenden Sohn auf den vermeintlichen Spion an. Trotz der komischen Absicht zeigen diese Szenen, dass der Horror und die Gewalt, die während der Diktatur herrschten, noch immer die Atmosphäre im Land vergiften. Manchmal weiß sich Strassera auch nicht anders zu helfen, als dem aalglatten Verteidiger der Angeklagten mitten im Gerichtssaal den Stinkefinger zu zeigen oder Grimassen zu schneiden, um seine ganze Verachtung kundzutun.

Die Fakten sprechen für sich

Herzstück des Films ist dabei das achtminütige Plädoyer, das der Staatsanwalt am Ende sitzend verliest – steif, leise, sachlich, emotionslos, unspektakulär. Hier muss kein Staatsanwalt wie in einem Hollywood-Gerichtsfilm wortgewandt, temperamentvoll und fintenreich eine Jury auf seine Seite ziehen. Die Fakten sprechen für sich.

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