Drama | Deutschland 2022 | 136 Minuten

Regie: Til Schweiger

Eine dreiköpfige Patchwork-Familie aus Berlin bezieht in Brandenburg eine baufällige Villa und erlebt das Glück des Landlebens, bis der kleine Junge tödlich verunglückt. Der Vater kommt über den Tod seines Sohnes nicht hinweg, sondern vergräbt sich in Trauer und Destruktion, bis seine Gefährtin resigniert und das Anwesen verkaufen will. Ein sentimentales, gefühlsduseliges Drama, das die Themen Tod, Schuld und Trauer nicht adäquat in Szene zu setzen weiß, sondern sich in Verbalerotik und einer Werbeclip-Ästhetik verliert. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Mr. Brown Ent./ProU Producers United Film/Erfttal Film/Barefoot Films
Regie
Til Schweiger
Buch
Vanessa Walder · Til Schweiger
Kamera
René Richter
Musik
Martin Todsharow
Schnitt
Til Schweiger · Steven Wilhelm · Constantin von Seld
Darsteller
Til Schweiger (Kurt) · Franziska Machens (Lena) · Levi Wolter (Der kleine Kurt) · Jasmin Gerat (Jana) · Heiner Lauterbach (Gauger)
Länge
136 Minuten
Kinostart
15.09.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Drama | Liebesfilm | Literaturverfilmung
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Filmwelt (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Filmwelt (16:9, 2.35:1, dts-HDMA dt.)
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Drama um eine Patchwork-Familie, die auf dem Land in Brandenburg das Glück auf Erden entdeckt, bis der Tod ihres kleinen Jungen alles auf den Prüfstand stellt.

Diskussion

Im Frühjahr 2019 erschien der neue Roman der Kolumnistin Sarah Kuttner, der von einer jungen Frau namens Lena und ihren beiden Kurts handelt, mit denen sie zusammengezogen ist, „einem ganzen Kurt und einem Halbtagskurt“. Denn der Mann an ihrer Seite hat einen kleinen Sohn gleichen Namens, der eine Woche in Berlin bei seiner Mutter, die andere bei ihnen in Brandenburg lebt. Dort haben die Journalistin und der Werbetexter gerade eine alte Villa mit großem Garten gekauft.

Das Buch malt launig-lakonisch das Glück der Großstädter in der Provinz aus, bis der kleine Kurt bei einem Unfall ums Leben kommt und Trauer und Verzweiflung mit einem Schlag das Leben ersticken. Fortan muss die Protagonistin noch mehr um ihre Rolle in der jetzt auch noch amputierten Patchwork-Familie kämpfen, da die Trauer anscheinend in Klassen zerfällt: die der leiblichen Eltern und die der Anverwandten. Lena muss dabei nicht nur mit dem Verlust des kleinen Jungen klarkommen, sondern auch mit ihrer Angst, überdies ihren Gefährten zu verlieren, da der sich in Destruktionen verliert und nicht mehr in ihren gemeinsamen Alltag zurückfinden will.

Wenn ein Kind stirbt

Die jüngere Filmgeschichte kennt viele außergewöhnliche Thematisierungen einer solchen Tragödie, wenn Menschen mit dem Tod kleiner Kinder konfrontiert werden und unter Trauer und Schuldgefühlen zu zerbrechen drohen. In den Händen eines Regisseurs wie Til Schweiger verwandelt sich ein solcher Schicksalsschlag allerdings in eine sentimentale, von Tränensturzfluten, hysterischen Rasereien und quälenden Flashbacks überquellende Gefühlsduselei, die umso schwerer auszuhalten ist, als Thema und inszenatorische Bewältigung so schmerzhaft auseinanderklaffen.

Der lockere Sex-Talk des Drehbuchs, das Schweiger zusammen mit Vanessa Walder geschrieben hat, passt am ehesten noch zum erzählerischen Unvermögen der Inszenierung. Das Paar „bumst“ sich mehr verbal als szenisch durch die neuerworbene Villa oder entschuldigt eine Verspätung doppelsinnig mit „Wir sind im Verkehr steckengeblieben“; allenthalben wird vom „Ficken“, „Pimpern“ und „Blasen“ gequakt, statt prickelnde Erotik, Spannung oder Ekstase zu inszenieren. Wobei es immer nur um die männliche Perspektive geht, auch wenn Lena mal vom Duft seines „Schwanzes“ schwärmen darf.

Das Pendant zur kalauernden Verbalerotik ist eine in Zeitlupe, Streu- und Gegenlicht und pausenlosen Detailaufnahmen schwelgende Erzählweise. In Kombination mit der gefühligen, oft enervierend redundanten Filmmusik werden permanent situative Stimmungen beschworen, flirrende Sonnenuntergänge, vom Wind zerzauste Wellen, Kornfelder, grüne Alleen und Seen, wie sie in Werbespots nicht augenfälliger ausgemalt werden könnten. Manche Darsteller wie Peter Simonischek als Kurts Vater oder auch Franziska Machens als Lena mühen sich nach Kräften, das Innenleben ihrer Figuren aufscheinen zu lassen, doch die Regie gewährt ihnen kaum mehr als Momente. Alles an „Lieber Kurt“ tendiert zur Oberfläche, zur sentimentalen Beschwörung existenzieller Wahrheiten, die allerdings nie über bloße Szenenanweisungen hinauskommen und keinerlei Tiefe oder Glaubwürdigkeit entfalten.

Ein echter Til-Schweiger-Film

Mit Blick auf den Regisseur Til Schweiger, der sich einmal mehr als Hauptdarsteller zum Zentrum seines Films macht, fällt auch die Akzentverschiebung gegenüber der literarischen Vorlage stärker ins Gewicht, die Lenas Sicht zugunsten der von Kurt über weite Strecken verdrängt. „Lieber Kurt“ wird damit auf eine fast unangenehme Weise zu einem Til-Schweiger-Film, zum Vehikel eines erfolgreichen, aber auch recht selbstgefälligen Filmemachers, der seine persönlichen Vorlieben und Aversionen rücksichtslos ins Zentrum rückt. Seit Ewigkeiten wurde in einem Film nicht mehr so exzessiv geraucht wie in „Lieber Kurt“; und auch das aggressive Wegschnalzen einer Zigarettenkippe aus dem Autofenster macht Schweiger wohl so schnell niemand nach.

Alle Ansätze, dem Film mit Blick auf die schwer zu ergründenden Wege der Trauer und des Abschieds von einem geliebten Menschen doch ein ernsthaftes Anliegen zuzuerkennen, schränkt überdies eine irritierende Post-Credit-Sequenz ein, in der Schweiger die erste Begegnung mit Lena inszenatorisch zu einer satirisch gemeinten Replik auf seine Kritiker nützt. Selten lagen Wahrheit und Abgrund näher beieinander.

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