In den 1960er-Jahren entflieht ein junger Mann der strengen Welt seiner Eltern und des bäuerlichen Hofes auf eine Alm in den Bergen, weil seine Beziehung zu einer geschiedenen Frau im Tal nicht toleriert wird.
In den Diskotheken des Zillertals sind 1967 „The Monkees“ und Roy Black zu hören, aber der „Summer of Love“ ist für Elias (Jakob Mader), der in der älteren Moid (Verena Alternberger) eine Seelenverwandte getroffen zu haben meint, reine Privatsache. Moid ist gerade im Begriff, ihren ungeliebten Nachnamen loszuwerden. Elias hadert mit seinem Status als „Jungbauer“, der – ganz so, wie es die Tradition will – , den väterlichen Hof übernehmen soll.
Etwas überraschend bringt es Elias der Geliebten gegenüber auf den Punkt: Er fühle sich wie ein Fremder auf der Welt. Moids Antwort fällt weniger pathetisch aus: Vielleicht seien sie alle Fremde hier, im Zillertal. Doch Elias liebt die existenzielle Pose. Er suche nach Wegen, sich „mit der Welt“ wieder anzufreunden.
Der „Bub“ und die „Hure“
Wie richtig Moid mit ihrer Vermutung liegt, zeigt der Fortgang der Szene, wenn Elias’ Eltern die Liebesgeschichte kurzerhand beenden, weil eine Beziehung mit einer Geschiedenen eine Mesalliance sei. Die Mutter (Gerti Drassl) agiert dabei hart an der Grenze zur Hysterie, wenn sie ihren „Bub“ gegen die „Hure“ zu schützen schwört. Elias fügt sich um den Preis einer Psychose. Der Einweisung in die Psychiatrie entkommt er nur, weil ihn seine Familie ein halbes Jahr auf eine Alm schickt: In die Einsamkeit der Berge soll er wieder „zu Verstand“ kommen.
Regisseur Adrian Goiginger verwandelt in „Märzengrund“ das gleichnamige Theaterstück von Felix Mitterer in ein ebenso physisches wie abstraktes Kinostück. Es ist ein Heimatfilm, in dem Dialekt gesprochen und händische Arbeit vorgeführt wird. „Märzengrund“ ist aber auch eine böse Familiengeschichte und damit in gewisser Weise eine dunkle Variante von Goigingers fulminantem Debütfilm „Die beste aller Welten“, in dem es um die Kindheit mit einer drogensüchtigen Mutter ging.
Als Genrefilm bietet „Märzengrund“, abgesehen von einer komplexen Verschränkung von unterschiedlichen Zeitebenen, wenig Überraschungen. Ein Jungbauer soll Bauer werden; er setzt sich dagegen mit seinen Möglichkeiten zur Wehr, indem er sich für die Einsamkeit des Eremiten entscheidet. Aber letztlich ist es sein Körper, der ihn wieder ins Tal und in die Fänge der Familie zurücktreibt.
Der Junge liest viel
„Märzengrund“ beginnt mit Bildern der offenbar überstürzt verlassenen Alm. Ziegen dringen in die Hütte ein, in der eine Wand voller Zeichnungen hängt. Dann landet ein Rettungshubschrauber auf einem Krankenhausdach im Tal. Der alte Elias (Johannes Krisch) muss operiert werden, will aber am liebsten gleich wieder „auffi“. Dann springt die Handlung zurück in die 1960er-Jahre: Man sieht den jungen Mann, wie er sich auf der Alm eine Hütte baut. Ein weiteres Mal springt der Film zurück, um die Vorgeschichte zu skizzieren, die dazu führte, dass Elias mit der Welt hadert und die Einsamkeit sucht. Es gilt als ausgemacht, dass Elias irgendwann den Hof übernimmt. Doch der Klassenbeste liest gerne und viel, was der Vater nicht gerne sieht. Elias arbeitet auf dem Hof zuverlässig und fleißig mit, doch der Vater bemängelt, dass er die Arbeit nicht „sieht“, was einen Bauern vom Knecht unterscheidet. Die Bücher, die er liest, werden ihm heimlich von der Mutter zugesteckt. Schwester Rosi (Carmen Gratl), eine Vertraute von Elias, soll Lehrerin werden.
So eindrucksvoll, erhaben und verlockend die alpine Bergwelt auch fotografiert ist – ein Vergleich mit dem eigentümlichen Stil von Terrence Malick liegt nahe -, so skizzenhaft, teilweise widersprüchlich und rätselhaft bleibt die Zeichnung des Protagonisten. Weil hier nicht viel geredet wird, braucht es ab und an Gesprächspartner wie den Freund, der allerdings auch eher wortkarg ist, oder dramaturgische Verdichtungen, die dann zu wenig mehr als klischeehaften Sentenzen taugen: „Ich habe meinen Platz in der Gesellschaft gefunden. Fernab von ihr“.
Ein christlich unterfütterter Zwang
Sich mit der Welt erneut anzufreunden, könnte sich dadurch ausdrücken, dass man versucht, nicht in den glucksenden Gebirgsbach zu „brunzen“ oder einen gefangenen Fisch wieder auszusetzen. Unplausibel ist auch das unvermittelte Ausdrucksvermögen, mit dem Elias seine Fremdheit in der Welt gegenüber Moid konstatiert. Die Liebesgeschichte, nur wenig mehr als eine zufällige Disco-Bekanntschaft, ist viel zu knapp ausgeführt, um die daher rührende lebenslange Trauer zu begründen. Es mit Thoreau zu halten, war 1976/68 ja nicht alternativlos.
Als sich der alte Elias 40 Jahre später aus gesundheitlichen Gründen im Tal wiederfindet, ringt ihm seine von einem Schlaganfall gezeichnete Mutter das Versprechen ab, nicht vor ihr zu sterben. Ein weiteres Mal gibt Elias klein bei und fügt sich. So enthüllt sich der traditionelle Familienverband ein letztes Mal als christlich unterfütterter Unterdrückungszusammenhang, dem nicht zu entkommen ist.
Als Elias im Finale dann tatsächlich einmal seine Gedanken aus dem Off preisgibt, klingt seine mit Elementen alpiner Folklore orchestrierte „Befreiung von der Welt“ tatsächlich wie ein Ludwig-Hirsch-Chanson. Der Weg in die Freiheit der Selbstauslöschung ist für ihn nur über das Grab der Mutter zu haben.