Leïla liegt im warmen Sommerlicht am Strand und schläft. Ihr Mann Damien und der gemeinsame Sohn Amine sind in der Bucht mit dem Motorboot unterwegs. Friedliche Bilder oder auch die Ruhe vor dem Sturm. Plötzlich stoppt Damien das Boot und springt ins Wasser. Er möchte lieber ans Ufer schwimmen, Amine solle allein zurückfahren; er wisse ja nun, wie das gehe, ruft er ihm noch zu, und schon ist er weg. Unter großer Anspannung, aber tapfer steuert der zehnjährige Junge das Boot ans Land. Erst viel später taucht auch Damien wieder auf. An den Reaktionen von Mutter und Kind ist abzulesen, dass die Verantwortungslosigkeit des Vaters ihnen nicht fremd ist. Der Aufschrei bleibt aus.
Mitten in der Nacht
Der belgische Filmemacher Joachim Lafosse vermisst in „Die Ruhelosen“ eine manisch-depressive Erkrankung im Gefüge einer Beziehung. Damien ist Maler, seine Gemälde zeigen auf abstrakten Farbflächen zerklüftete Räume; Leïla restauriert Möbel. Dass sich die beiden lieben und begehren, ist spürbar. In einer frühen Szene sieht man sie tanzen; sie berühren sich, lassen sich treiben und verschmelzen. Es ist einer der wenigen Momente, in denen das Paar ganz im Rhythmus ist. Wenige Stunden später aber treibt es Damien schon wieder aus dem Bett. Mitten in der Nacht muss er in der Werkstatt laut klappernd den Roller reparieren; kaum ist es draußen hell, rauscht er zum Einkaufen davon. Im Atelier malt er ein Bild nach dem anderen; nur Schlaf findet er keinen.
„Die Ruhelosen“ ist ein Film der permanenten Bewegung, geprägt von Hyperaktivität und Rastlosigkeit. Kaum hat sich Damien hingelegt, springt er auch schon wieder auf, um irgendetwas zu machen. Dabei sind seine Handlungen unberechenbar. Ständig fürchtet man, dass der agile Impuls in etwas Gefährliches kippen könnte. Die Handkamera folgt ihm mit fahrigen Bewegungen, registriert jede seiner kleinsten Regungen. Leïla kann ihm nur hinterhereilen, er läuft ständig davon. Das macht auch aus ihr eine Gehetzte.
Mit desaströsen Folgen fürs Beziehungsleben
Joachim Lafosse, der selbst mit einem bipolaren Vater aufwuchs, begrenzt die Handlung auf den familiären Raum; Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte werden ausgelassen. Als das Wort „bipolar“ zum ersten Mal ausgesprochen wird, ist mehr als eine Stunde vergangen. In den Blick rückt weniger die Krankheit an sich als die Erosionen, die sie in der Beziehung auslösen. Ist das noch Überschwang oder schon das erste Anzeichen eines kommenden Schubs?
Die Sorge um Damien und die ständige Beobachtung seiner Stimmungen frustrieren auch Leïla; in der Fürsorge-Arbeiterin geht die Geliebte und Partnerin allmählich verloren. Zwischen den beiden Polen balanciert auch Amine. Nachdem der Vater einmal völlig manisch in den Schulunterricht hereinplatzt, kämpft er mit der Scham. Damiens Apathie, die auf den Zusammenbruch folgt, macht ihm aber nicht weniger zu schaffen. Auch die ständigen Verhöre der Mutter sind für ihn unerträglich.
Alle Spannung geht vom ihm aus
Die Ruhelosigkeit des Films ist ansteckend. Beim Betrachten entwickelt man selbst einen seismografischen Blick und beginnt Anzeichen zu sehen, drohende Gefahren zu wittern. Dass alle Bewegung in Richtung des Kranken geht, bringt dabei aber nicht nur die Beziehung, sondern auch den Film ins Ungleichgewicht. Auch wenn Leïla im zweiten Teil mehr Raum bekommt, gewinnt sie nie ganz die Konturen und Tiefe wie Damien. Bei ihm ist alles Aufladung, Ereignis, selbst wenn er mit dem Pinsel eine Linie auf die Leinwand setzt.