Biopic | Österreich/Frankreich/Luxemburg/Deutschland 2022 | 114 Minuten

Regie: Marie Kreutzer

Der 40. Geburtstag ist für die österreichisch-ungarische Kaiserin Elisabeth 1877 eine Zäsur. Die für ihre Jugend und Schönheit bekannte Monarchin verspürt einen wachsenden inneren Widerstand gegen ihr mit enormer Selbstdisziplin gepflegtes öffentliches Image und beginnt schließlich, eine „Doppelgängerin“ aufzubauen. Der atmosphärisch-moderne Kostümfilm entwirft in fiktiver Überspitzung das Porträt einer freigeistigen Frau, die eine neue Verortung im Leben sucht. Glänzend inszeniert und besetzt und in der Kombination aus historischem Setting, ausdrucksstarken Bildern und einer intensiven Musik sehr überzeugend, lotet der Film die Zumutungen des permanenten Rollenspiels auch verspielt, insbesondere aber mit tiefempfundenem Mitgefühl aus. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Österreich/Frankreich/Luxemburg/Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Arte France Cinéma/Eurimages/Film AG Prod./Kazak Prod./Komplizen Film/Samsa Film
Regie
Marie Kreutzer
Buch
Marie Kreutzer
Kamera
Judith Kaufmann
Musik
Camille
Schnitt
Ulrike Kofler
Darsteller
Vicky Krieps (Kaiserin Elisabeth) · Florian Teichtmeister (Kaiser Franz Josef) · Aaron Friesz (Rudolf) · Colin Morgan (Bay Middleton) · Manuel Rubey (Ludwig II.)
Länge
114 Minuten
Kinostart
07.07.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Biopic | Drama | Historienfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Alamode (16:9, 2.35:1, DD5.1 dt.)
Verleih Blu-ray
Alamode (16:9, 2.35:1, dts-HDMA dt.)
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Emanzipationsdrama um die österreichische Kaiserin Sisi, die nach ihrem 40. Geburtstag gegen das von ihr selbst mitinszenierte Bild der jugendlichen Schönheit rebelliert und eine Doppelgängerin erfindet.

Diskussion

Eine coole Girl-Gang auf der Flucht läuft in weiten Röcken und in Zeitlupe die Treppen hoch, direkt auf die Kamera zu. Gerade hat Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn eine Ohnmacht vorgetäuscht, um einem lästigen repräsentativen Auftritt zu entgehen. Jetzt „flieht“ sie zusammen mit ihren engsten Verbündeten, den Gesellschafterinnen Marie und Ida und ihrer persönlichen Friseurin Fanny. Dazu ist zarter Frauengesang zu hören und eine reduzierte Instrumentalspur; „Go away“ singt die leicht brüchig klingende Stimme.

Das ist ein eindringlicher Auftakt für eine Geschichte, die vom Versuch einer (weiblichen) Befreiung erzählt. Dass die nur in Teilen gelang und die freiheitsliebende „Sisi“ Zeit ihres Lebens unter den Fesseln des Hofprotokolls litt, ist historisch verbürgt. Der von Marie Kreutzer geschriebene und inszenierte Film „Corsage“ „schenkt“ der Hauptfigur jedoch den großen Sprung in die ersehnte Freiheit.

Sisi und ihre Hofdame Marie

In ihren späteren Jahren befreite sich die reale Sisi zunehmend von den ihr lästigen Pflichten der höfischen Etikette und war oft auf Reisen und fern der verhassten Wiener Hofburg. „Corsage“ erzählt - in fiktionaler Überspitzung - von dieser Fluchtbewegung, die auch eine Flucht vor dem eigenen, übermächtigen Bild der wunderschönen, ewig jungen Kaiserin mit der Wespentaille ist. Der Film spinnt Überliefertes wie etwa den Umstand, dass sich Sisi gelegentlich wohl von einer ihrer Vertrauten „vertreten“ ließ, weiter und lässt die im Korsett ihrer Zeit und ihrer Stellung eingesperrte Kaiserin sich zunehmend Freiheiten nehmen, während sie mit ihrer Hofdame Marie eine perfekte „Doppelgängerin“ aufbaut.

Sinnbild für die Last der aufs dekorative Repräsentieren festgelegten Rolle sind ihre berühmten, bis zu den Knöcheln reichenden Haare. Die reale Sisi bezeichnete sich als „Sklavin“ ihrer Haare, deren tägliche Pflege mehrere Stunden dauerte. Die fiktive Sisi schneidet sie irgendwann einfach ab. Und fühlt sich plötzlich „schwerelos“. Zugleich beginnt sie wieder zu essen, beendet das Hungerregiment, das sie sich ihrer ranken Erscheinung wegen auferlegt hatte. Diät muss nun Marie halten, die sich fortan statt der Kaiserin ganz sprichwörtlich ins Korsett einschnüren lässt.

Erstaunlicherweise problematisiert der Film die Tatsache nicht, dass für die Emanzipation der einen eine andere Frau „den Kopf hinhalten“ muss. Das ist ein blinder Fleck, der an die Debatte darüber gemahnt, dass auch die weibliche Emanzipation im 21. Jahrhundert allzu oft mit der Ausbeutung weniger privilegierter Frauen „erkauft“ wird, die das Putzen und Kinderhüten übernehmen. Abgesehen von dieser Leerstelle bietet „Corsage“ eine ebenso kluge wie moderne und filmisch ausdrucksstarke Interpretation vom Leben und vom Gemütszustand der berühmten Kaiserin.

Ein knappes Jahr

Die Handlung setzt im Dezember 1877 ein, kurz vor Sisis 40. Geburtstag, der für die von ihrer Jugend und Schönheit besessene Frau eine Zäsur darstellt. In ganz Europa ist die Monarchin für ihre Anmut bekannt; zahlreiche Gemälde und Darstellungen künden davon. Sisi tut viel dafür, dass dies so bleibt; sie turnt an Ringen, unterwirft sich strengen Diäten, verbringt täglich viele Stunden mit dem Ankleiden und Sich-Herausputzen. Zugleich ist sie zu klug, wissbegierig und freigeistig, um sich mit dieser rein äußerlichen Rolle zufriedenzugeben. Zudem spürt sie den Zahn der Zeit an sich nagen und kann dem Druck der öffentlichen Erwartung immer weniger standhalten.

Die Inszenierung konzentriert sich auf den Zeitraum eines knappen Jahres; der Film endet im Oktober 1878. In zahlreichen Begegnungen, auf Reisen und in der Auseinandersetzung mit dem Gatten Franz Joseph zeichnet „Corsage“ das Bild einer Frau, die eine neue Verortung im Leben sucht. Sisi ist eine rastlose, impulsive, launische, einsame, divenhafte, aber auch neugierige, offene, unkonventionelle, reflektierte, liberale und ihrer jüngsten Tochter Valeria gegenüber sogar liebevolle Person, die sich aus gesellschaftlichen Ritualen nichts machte und doch lange Zeit alles dafür tat, die Erwartungen der Gesellschaft an sie zu erfüllen.

Überflüssig zu erwähnen, dass sich dabei ein völlig anderes Bild ergibt als das, das Ernst Marischka in den 1950er-Jahren mit seinen eskapistischen „Sissi“-Filmen mit der jungen Romy Schneider in der Hauptrolle entwarf, die lange Zeit die öffentliche Wahrnehmung der Kaiserin prägten. Vicky Krieps ist eine phänomenale Besetzung für diese vielschichtige Figur; sie hält Sisis widersprüchliche Eigenschaften in einer stimmigen darstellerischen Leistung zusammen. Auch Florian Teichtmeister als ihr zunehmend fremder werdender Ehemann gelingt als Franz Joseph ein nuancierter Spagat zwischen Staatsräson und persönlicher Verletztheit, gönnerhaftem Chauvinismus und Überforderung angesichts seiner fordernden Frau. Einen kleinen Auftritt als Sisis Seelenverwandter König Ludwig II. von Bayern hat Manuel Rubey. Katharina Lorenz gibt die ihrer Herrin treu ergebene und trotzdem gar nicht eindimensionale Gesellschafterin Marie.

Um den Preis des eigenen Verschwindens

Marie Kreutzer erzählt stilsicher von einer Gesellschaft, die uns fern ist – und gleichzeitig sehr nah. Der österreichischen Regisseurin gelingt ein moderner, das Aktuelle wie das Generelle seiner Erzählung herausarbeitender Zugriff, der sich in Kombination mit dem historischen Setting zu einem wunderbar heutigen Kostümfilm fügt. Schön ist zudem der feine, auch die Meta-Ebene streifende Humor, etwa in Sätzen wie „Nun, dieser Dialog wird auch nicht besser, wenn wir ihn wiederholen!“ Unbedingt zu erwähnen ist auch die prägnant eingesetzte, zarte und zugleich sehr intensive Musik von Camille, die von Sisis Seelenzuständen kündet, aber auch die ausdrucksstarke Kamera von Judith Kaufmann. „Corsage“ ist ein atmosphärisch moderner Kostümfilm – mit einer im emanzipatorischen Sinne freilich desaströsen Botschaft. Denn Sisis Befreiungsschlag besteht darin, sich zwar erfolgreich dem übermächtigen (Selbst-)Bild sowie den Blicken der Gesellschaft zu entziehen, allerdings um den Preis des eigenen Verschwindens in der Unsichtbarkeit.

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