Natürlich ist Zoës Vater keine Wurst, da lügt der Filmtitel. „Du bist ein vollwertiger Fleischersatz!“, erinnert das elfjährige Mädchen ihn nachdringlich, als er gerade dabei ist, vor lauter Lampenfieber sein erstes Engagement hinzuschmeißen: eine kurze Rolle in einem Werbespot für vegetarische Würstchen.
Bis dahin ist schon viel passiert. Paul (Johan Heldenbergh) war gerade frisch befördert worden und saß im 17. Stock des Bankgebäudes ganz nahe bei seinem Chef, als sein Taschenrechner mit lautem Knall und etwas Rauch seinen Geist aufgab. Jenes Gerät, mit dem er seit Beginn seiner Karriere seine Kunden immer reicher gemacht hatte. Prompt kündigt er, lässt sogar das Auto stehen und fährt mit dem Zug einmal quer durch Belgien nach Hause.
Ich werde Schauspieler!
Daheim erklärt er dann allen: Ich werde Schauspieler! Und gibt beim Abendessen spontan kleine Monologe zum Besten, die allerdings nur Zoë (Savannah Vandendriessche) und seine Schwiegermutter (Camilia Blereau) goutieren wollen. Seine Frau Véronique (Hilde De Baerdemaeker) ist hingegen entsetzt. Soll sie sich jetzt allein ums Einkommen kümmern? Wer bezahlt das Haus ab?
„Mein Vater, die Wurst“ von Anouk Fortunier knöpft sich die Binnendynamik einer Kleinfamilie vor. Als erste rebellieren die beiden älteren Kinder dagegen, dass sich ihr Vater neu orientiert. Sie sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt und wollen keine Veränderungen. Zoë hingegen, die ihre kreative Ader in komplexen Zeichnungen und Collagen auslebt, wird zur unverzichtbaren Verbündeten ihres Vaters, der auf sich allein gestellt viel zu viel Angst hätte.
Das Drehbuch von Jean-Claude Van Rijckeghem vermeidet es, dem Protagonisten eine klassische Midlife-Crisis anzudichten; Paul ist nicht frustriert wegen seines Familienlebens oder seiner bisherigen Entscheidungen; er möchte nur einfach Schauspieler werden, wie er es sich früher erträumt hat. Und zwar jetzt, sofort.
Was soll da schon schiefgehen?
Dafür nimmt er zeitweilig auch die Verantwortungslosigkeit in Kauf. Zoë, die sich in der Schule nicht wohlfühlt und sich unsichtbar macht, um nicht gemobbt zu werden, ergreift die Gelegenheit beim Schopfe und überredet ihren Vater, sie krankzumelden, damit sie mit ihm seine Rollen üben und ihn zu Schauspielkursen und Vorsprechterminen begleiten kann. Die Mutter ist gerade für einige Wochen beruflich in China – was also soll schon schiefgehen?
Zoë ordnet die ganze Geschichte als Erzählerin aus dem Off ein. Immer wieder sind einige ihrer Kunstwerke als Animationen zu sehen, wodurch sich der Film in den ersten Minuten schon der ganzen Hintergrundgeschichte entledigt. Das befreit „Mein Vater, die Wurst“ auch vom Verdacht, zu ernst genommen zu werden. Dafür wären die Nebenfiguren, etwa Zoës Prepper-Bruder, auch ein wenig zu bewusst skurril gezeichnet oder auch ihre Schwester, die sich stereotyp nur mit ihrem Aussehen befasst; das sind eher Figuren, wie sie für solche Komödien typisch sind.
Fortunier konzentriert sich in Erzählung und Inszenierung ganz auf Zoë und Paul und legt schrittweise offen, wie sehr Vater und Tochter diese Befreiung aus ihrem Alltagstrott in Schule und Bank brauchen, um eine eigene Haltung zu sich und ihrer Umwelt zu finden.
Die ehrlichere Variante
Dass dabei gerade das Schauspiel, die Täuschung und Verwandlung als Katalysator dient, um größere Wahrhaftigkeit zu produzieren, ist natürlich kein Zufall: „Mein Vater, die Wurst“ will an der Oberfläche als Feel-Good-Komödie erscheinen, aber insgeheim doch etwas mehr sein. So ist der Film ein Seiltanz, rechts ein bisschen Drama, links Coming-of-Age-Komödie, fein balancierend zwischen unterschiedlichen Ansprüchen, wobei immer mal wieder ein tastender Schritt auch danebengeht; aber weil Fortunier weder sich noch ihr Unterfangen zu ernst nimmt, kommt es nie zum Absturz in Pathos oder Rührseligkeit.
Dazu passt, dass das unvermeidliche Happy End keines der grandiosen Art ist, bei dem Paul plötzlich in der Hauptrolle auf einer großen Bühne stehen würde; ganz im Gegenteil. Der Film begnügt sich mit realistischen kleinen Erfolgen, mit einem bescheidenen Leben, aber großer Liebe und Gemeinsamkeit in der Familie. Das ist auf jeden Fall die ehrlichere Variante.