Nobody's Hero
Drama | Frankreich 2022 | 100 Minuten
Regie: Alain Guiraudie
Filmdaten
- Originaltitel
- VIENS JE T'EMMÈNE
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- CG Cinéma/Arte France Cinéma/Auvergne-Rhône-Alpes Cinéma/Umédia
- Regie
- Alain Guiraudie
- Buch
- Alain Guiraudie · Laurent Lunetta
- Kamera
- Hélène Louvart
- Musik
- Xavier Boussiron
- Schnitt
- Jean-Christophe Hym
- Darsteller
- Jean-Charles Clichet (Médéric) · Noémie Lvovsky (Isadora) · Ilies Kadri (Selim) · Michel Masiero (Coq) · Doria Tillier (Florence)
- Länge
- 100 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Eine Komödie über Menschen aus Clermont-Ferrand, die auch angesichts eines islamistischen Terroranschlags eher gefühls- als vernunftgeleitet handeln.
Wie jeden Morgen joggt Médéric (Jean-Charles Clichet) durch die noch leeren Straßen der unscheinbaren Stadt Clermont-Ferrand. Diesmal stört jedoch etwas Außergewöhnliches seine Routine: der Anblick der älteren Prostituierten Isadora (Noémie Lvovsky). Schüchtern, aber bestimmt versucht Médéric sie zu einem Date zu überreden, natürlich ohne Bezahlung; zwischen den beiden gäbe es schließlich eine besondere Verbindung. Isadora wimmelt den Jogger zunächst ab, verabredet sich später aber trotzdem mit ihm in einem Stundenhotel.
Diese ungewöhnliche Begegnung ist in „Nobody’s Hero“ von Alain Guiraudie nur der Auftakt für eine Kette abenteuerlicher Ereignisse, die das Leben des eher gefühls- als vernunftgeleiteten Protagonisten aus den Fugen geraten lassen. Beim Sex werden Médéric und Isadora dann nicht nur von deren eifersüchtigem Ehemann (Renaud Rutten) überrascht, sondern auch von einem islamistischen Terroranschlag, der die Stadt in Schrecken versetzt. Einer der Täter soll dabei geflüchtet sein.
Liebe und Angst als bestimmende Kräfte
Liebe und Angst werden zu den bestimmenden Kräften des Films. Einerseits versucht Médéric wie besessen, sich immer wieder heimlich mit Isadora zu treffen, andererseits muss er sich auch mit dem jungen arabischstämmigen Obdachlosen Selim (Ilies Kadri) auseinandersetzen, der vor seinem Haus herumlungert. Médéric ist hin- und hergerissen zwischen seiner Hilfsbereitschaft und der Paranoia, es könnte sich hier um den gesuchten Terroristen handeln. Sein Kompromiss: Er lässt den Jungen im Treppenhaus schlafen, schwärzt ihn aber bei der Polizei an.
Irgendwann hat der Ausnahmezustand auch die Wohnung des Protagonisten erreicht. Médéric lässt den Obdachlosen bei sich schlafen, nicht jedoch ohne heimlich seinen Rucksack und seine E-Mails zu durchwühlen. Thriller und Komödie bleiben dabei eng miteinander verzahnt. Erst baut Alain Guiraudie Spannung auf, indem er Médéric bei seiner detektivischen Suche nach Selims wahren Beweggründen folgt, dann löst er sie in Komik auf, indem er ihn bei seinen Ermittlungen kläglich scheitern lässt.
An der Schwelle zum Absurden
Die nicht selten auf gesellschaftlichen Unterschieden basierenden Spannungen übersetzt „Nobody's Hero“ in komisch peinliche Situationen, die sich stets an der Schwelle zum Absurden bewegen. Misstrauen und falsche Verdächtigungen prägen das Miteinander; davor ist auch Médéric nicht gefeit. Als er Isadora heimlich in ihr bürgerliches Wohnviertel folgt, hält ihn ein übereifriger Nachbar für einen Perversen. Existenzielle Erregung lässt Guiraudie gerne auf alltägliche Banalitäten prallen. So wird ein aufgeregtes Gespräch im Treppenhaus, bei dem Médéric sich mit seinen Nachbarn berät, wie man mit Selim umgehen soll, mehrmals durch das automatisch erlöschende Licht sabotiert.
Guiraudie nimmt seine Figuren aber glücklicherweise zu ernst, um sie zu Karikaturen besorgter Bürger werden zu lassen. Er thematisiert gesellschaftliche und politische Reibungen, löst sie aber weder in Didaktik noch in satirischer Schwarz-weiß-Malerei auf. Vielmehr bleibt er, auch mit einem zunehmend wachsenden Figurenensemble, beim Menschen selbst, seiner Unzulänglichkeit und seiner unerfüllten Liebe.
Der große Knall am Rande
„Nobody’s Hero“ mischt ein Pulverfass zusammen, weigert sich jedoch, es am Schluss hochgehen zu lassen. Die Spannungen zwischen einer Gang arabischer Jugendlicher, die Selim verfolgt, und einer Bürgerwehr, die sich in Médérics Haus formiert, führen zwar gewissermaßen zu einem großen Knall, aber der bleibt bezeichnenderweise ein Nebenschauplatz. Dass Guiraudie das Knäuel aus Panik und Leidenschaft nie ganz entwirren will, lässt den Film gegen Ende gleichermaßen richtungslos wie schlüssig wirken. Denn Guiraudie gibt sich lieber der ungebändigten emotionalen Energie seiner Figuren hin, statt sie einem größeren Erzählbogen unterzuordnen.