Wie wirkt man vertrauenswürdig? Die Antwort sieht man praktisch durchgehend in der Geschichte von „The Outfit“, aber gegen Ende bekommt man sie auch in ganzen Sätzen: Es liegt an der Kleidung – am besten versteckt man die kriminelle Intention hinter gut zugeschnittenem Tuch. So neu ist das nicht, das gilt heute genauso, aber der Film spielt in den 1950er-Jahren, zu der Zeit war die Mischung von Maßanzug und Gangster vielleicht noch nicht so populär. Vor allem spielt er in einer Herrenschneiderei, da braucht man, wenn man elegant arbeiten will, Anknüpfungspunkte zwischen Verbrechen und Mode. Daran herrscht hier rein verbal kein Mangel, schon der Titel bedient beide Kategorien.
Aber das ist längst nicht alles. Regisseur Graham Moores Hauptfigur ist der Maßschneider Burling (Mark Rylance) aus London, der jetzt ein Geschäft in Chicago betreibt. An ihm lässt sich die Vertrauenswürdigkeit geradezu mustergültig ablesen, und das liegt nicht nur am Tuch, sondern auch an seinem Verhalten. Er schweigt, er hört zu, er antwortet auf die wenigen Fragen, die ihm von den Wichtigtuern in seinem Laden gestellt werden, mit einer Art von höflicher Unschuld. Niemals würde man ihm misstrauen. Großer Fehler, denn Burling hat bei allen Ereignissen, die sich um ihn herum abspielen, seine eigenen Ziele. Die einzigen, die eine persönliche Agenda bei ihm in Betracht ziehen, sind die Gangster vom Outfit „La Fontaine“, aber da ist das Ende schon zu nah, um Burling noch zu bremsen.
Meister der Täuschung und Taktik
Burling also. Ein Meister der Täuschung. Obwohl er eher ein Meister der Taktik ist. Aber von vorn: In Burlings Maßschneiderei gehen selbstverständlich Herren ein und aus. Das hat sich der Chef einer Chicagoer Gangsterfamilie zunutze gemacht, der einen toten Briefkasten brauchte. Einen unauffälligeren Standort als Burlings Laden konnte es dafür nicht geben, also kamen Gangster Boyle (Simon Russell Beale) und Schneider Burling zu einer Übereinkunft: der eine stellt eine Box zum Nachrichtenaustausch ins Hinterzimmer, der andere hält den Mund und schließt die Augen. Wenn Boyles Leute vorbeikommen, um die Post zu holen, darf er ihnen Anzüge anmessen, die werden gut bezahlt. Das ist die Ausgangssituation für Moores Film, der in dem Moment einsetzt, wo dieses Arrangement nicht mehr reibungslos läuft.
Moore macht aus den Geschäften im Schneiderladen ein Kammerspiel, er begrenzt sie auf den Raum von Rezeption, Anprobezimmer, Werkstatt. Eine Außenperspektive bekommt man zwei oder drei Mal, auch die ist so eng, dass nur die Ladenfront sichtbar wird. Chicago rundherum ist behauptet, charakterisiert wird die Stadt durch den fallenden Schnee, der die Oberlichter bedeckt und das düstere Licht in den Innenräumen noch weiter dimmt. Dort liefert sich Burling mit diversen Gangstern eine Schlacht, von der nur er weiß, dass es eine ist. Die anderen glauben an Zufälle, an Pannen, an den Verrat von anderen, selbst wenn Burling einmal tatsächlich behauptet, er sei ein Verräter. Grund für die Nervosität der Gangster ist die Vermutung, dass es in ihren Reihen einen Spitzel gibt, jemanden, der sie ans FBI oder, schlimmer, an „La Fontaine“ verpfeift.
Ein Tonband sorgt für Aufregung
Dieser Verdacht wird erhärtet durch ein Tonband, das eines Nachts im toten Briefkasten liegt. Es heißt, darauf seien Mitschnitte von Gesprächen des Boyle-Outfits, sobald man es anhört, kann der Verräter erkannt und eliminiert werden. Um dieses Tape herum lässt Moore seine Protagonisten antreten. Da jeder das Tape haben will, kommt jeder bei Burling vorbei: Boyle, sein Sohn Richie (Dylan O’Brien), seine rechte Hand Francis (Johnny Flynn), die Konkurrenz natürlich auch. Der Plot wird strukturiert durch die Klingel an der Ladentür, immer neue Personen tauchen auf, verdächtig machen sie sich alle. Um Frieden zu bewahren, erzählt Burling jedem das, was er hören will, was mit der zunehmenden Anzahl von Personen schwierig wird, oder nach dem ersten Toten, der im Hinterzimmer anfällt.
Das Tape bekommt vorerst keiner der Besucher, die sich durch den Laden drehen wie auf einem Karussell. „Teile und herrsche“ ist Burlings Gedanke, er lockt immer wieder einen Teil der Gangster in die Nacht hinaus, den anderen Teil in die Treulosigkeit hinein. Bei jedem sät er das Misstrauen gegen die Kollegen, jeden packt er bei seinem Ehrgeiz. Stetig schraubt er Lügen und Verdächtigungen in die nächste Runde, man ist überrascht, wie lange das funktioniert. Ein wenig kommt dabei vom persönlichen Hintergrund der Figuren mit ins Gespräch, so erhält man ein grobes Porträt vom Verbrecher- und vom Schneiderleben der Nachkriegszeit in London und Chicago. Man erfährt, dass James Dean und seine Blue Jeans das Schneiderhandwerk ruinierten, man hört, dass Al Capones Outfit nach dessen Tod besser funktionierte als zuvor.
Ein Thriller mit mehreren doppelten Böden
Was Burling bei diesem Tanz ums Tape verfolgt, scheint hauptsächlich Sicherheit zu sein. Keine Gewalt gegen ihn, gegen seine Anzüge, gegen seine junge Rezeptionistin (Zoey Deutch), die er schätzt, obwohl sie ihn nicht mal besonders mag. Natürlich gibt es einen doppelten Boden bei all dem, oder sogar mehrere, die der Film geschickt genug verbirgt, dass man sie zwar erahnt, aber keine klaren Beweise findet. Ein Thriller voll überraschender Wendungen also, dessen Rhetorik so stylisch ist wie seine Kostüme, und am Ende stellt er sich sogar der universellen Frage, die mit Herrenmode nichts zu tun hat: Kann man eine böse Sache wissentlich ignorieren, ohne dadurch selbst Teil des Bösen zu werden?