Absturz: Der Fall gegen Boeing
Dokumentarfilm | USA 2022 | 89 Minuten
Regie: Rory Kennedy
Filmdaten
- Originaltitel
- DOWNFALL: THE CASE AGAINST BOEING
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2022
- Produktionsfirma
- Imagine Documentaries/Moxie Films/Moxie
- Regie
- Rory Kennedy
- Buch
- Keven McAlester · Mark Bailey
- Kamera
- Aaron Gully
- Musik
- Gary Lionelli
- Schnitt
- Don Kleszy
- Länge
- 89 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- TMDB
Ein Dokumentarfilm über die Ursachen der Abstürze von zwei Flugzeugen vom Typ Boeing 737 Max mit zahlreichen Todesopfern. Dabei wird facettenreich aufgezeigt, welchen Anteil die Konzernstrategie der Profitmaximierung an der Katastrophe hatte.
Am 29. Oktober 2018 stürzte eine Boeing 737 Max der indonesischen Billigfluglinie Lion Air kurz nach dem Start in Jakarta in der Nähe der Insel Java ins Meer. Alle 189 Insassen kamen ums Leben. Am 10. März verunglückte eine weitere Maschine dieses Typs ebenfalls kurz nach dem Start in Addis Abeba. Bei diesem Flug der Ethiopian Airlines verloren alle 157 Insassen ihr Leben. Gemeinsam war den Fällen, dass beide Maschinen so gut wie neu waren und bei gutem Wetter aus niedriger Höhe abstürzten. Auch die technischen Abläufe der Unglücke wiesen große Ähnlichkeiten auf.
Eine Kette von Unfallursachen
Zunächst sah Boeing die Schuld bei den Piloten. Eine unabhängige Expertenkommission identifizierte nach Auswertung der Flugschreiber schließlich aber eine Kette von Unfallursachen. Vereinfacht gesagt, lieferte der einzige Anstellwinkelsensor fehlerhafte Daten, so dass sich das Programm Maneuvering Characterics Augmentation System (MCAS) aktivierte, das kritische Flugsituationen erkennen und korrigieren soll. Dieses System greift automatisch in die Steuerung des Flugzeugs ein, verstellt die Höhenflosse und drückt die Nase des Flugzeugs nach unten. Die ausgelösten Steuerbefehle überforderten jedoch die Piloten, sodass sie letztlich die Kontrolle über die Maschinen verloren.
Die Katastrophen stürzten Boeing in eine schwere ökonomische Krise. Denn die 737 Max war das meistverkaufte Modell und ein wichtiger Gewinnbringer des Unternehmens. Nach den verheerenden Abstürzen wurde die Baureihe weltweit mit Startverboten belegt, die etwa 20 Monate andauerten. Alle 371 zugelassenen Maschinen des Typs mussten am Boden bleiben. Hunderte fertige Flieger konnten nicht ausgeliefert werden. Im Heimatmarkt USA durfte der Verkaufsschlager erst wieder November 2020 in Betrieb genommen werden, nachdem den Flugzeugbauer Verbesserungen an der Software und bei der Ausbildung der Piloten vorgenommen hatte.
Profitmaximierung vor Qualitätssicherung
Im Film tragen Luftfahrtexperten, Fachjournalisten, frühere leitende Boeing-Mitarbeiter/innen, Behördenvertreter, Piloten wie zum Beispiel Chesley "Sully" Sullenberger, US-Kongressabgeordnete wie Peter DeFazio und Angehörige von Todesopfern mit ihren Aussagen dazu bei, Licht in die Affäre zu bringen.
Die Regisseurin und Produzentin Rory Kennedy und ihre Drehbuchautoren Mark Bailey und Kevin McAlester haben offenkundig ausführlich recherchiert. Dabei kamen sie zu dem Ergebnis, dass das unbedingte Streben des Vorstands nach der stetigen Steigerung des Börsenwerts zu einer Politik der rücksichtslosen Kosteneinsparungen führte. Dass die Strategie der Profitmaximierung konsequent den Vorrang vor der Qualitätssicherung gab, hatte demnach auf lange Sicht verhängnisvolle Folgen. So verschleierte Boeing den Recherchen zufolge im Fall 737 Max gegenüber der Aufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) den Einbau des Steuerungsprogramms, das notwendig wurde, als der rund 40 Jahre alte Mittelstreckenjet 737 zur Version 737 Max mit größeren, aber sparsameren Triebwerken weiterentwickelt wurde. Damit wollten die Konzernlenker teure Nachschulungen der Piloten im Flugsimulator und erneute zeitaufwändige Zertifizierungsverfahren vermeiden. Die Expertenkommission kritisierte übrigens nicht nur Fehler Boeings, sondern rügte auch die FAA, unter anderem weil sie den Vorschlägen und Auskünften des Herstellers zu blauäugig folgte.
Fatale Folgen einer neuen Unternehmenspolitik
Der Film bettet den Fall 737 Max in einen historischen Exkurs über die längerfristigen unternehmenspolitischen Entwicklungsprozesse ein. So skizziert er den Aufstieg des Unternehmens aus Seattle nach dem Zweiten Weltkrieg zum weltweiten Marktführer im zivilen Luftverkehr. Kenner der Materie verdeutlichen, dass dieser Erfolg vor allem aus der Innovationskraft der Ingenieure und der hohen Fertigungsqualität der Maschinen resultierte. Oberstes Gebot war dabei die Sicherheit, nicht der Betriebsgewinn. Das änderte sich jedoch radikal mit der Übernahme des US-Konkurrenten McDonnell Douglas im Jahr 1997. Unter dem Einfluss der Wall Street-Vordenker avancierte demnach nun die Steigerung des Aktienkurses zum obersten Ziel. Im Film bringt die ehemalige Qualitätsprüferin Cynthia Kitchens die veränderten Prioritäten auf den Punkt: "Produktionssteigerung war wichtiger als Fehlersuche."
Parallel reagierte Boeing zu spät auf den allmählichen Aufstieg des europäischen Wettbewerber Airbus, der 2003 Boeing als Weltmarktführer bei den Flugzeugauslieferungen ablöste. Der Erfolg von Airbus vor allem mit seinem Verkaufsschlager A320 neo erhöhte den Druck auf die Boeing-Lenker, das Unternehmen auf Gewinnkurs zu halten, und sei es auch mit fragwürdigen oder illegalen Mitteln. Am Ende des Films kommt DeFazio zu dem ernüchternden Fazit: "Die Rendite stand über allem."
Straffrei
Um die Rechercheschritte zu veranschaulichen, setzt Kennedy neben TV-Aufnahmen und historischem Bildmaterial vor allem auf viele Talking Heads. Dazwischen werden gelegentlich nachgestellte Szenen aus dem Cockpit der Unglücksmaschinen eingefügt, die anschaulich machen sollen, was dort kurz vor dem Crash passierte. Als Re-Enactment-Einschübe erkennbar sind auch einige Sequenzen, in denen der ehemalige "Wall Street Journal"-Journalist Andy Pasztor zum Telefonhörer greift, um führende Boeing-Mitarbeiter anzurufen. Pasztor, der als Spezialist für Luftfahrtthemen mit seinen Enthüllungsartikeln maßgeblich zur Aufdeckung der Fehlleistungen beitrug, fungiert im Film sozusagen als Leitfigur. Die teils etwas kurzatmige Montage der vielen Statements und Einzelheiten erschwert hin und wieder den Überblick darüber, wer gerade was sagt.
Im Abspann erfährt man: Im Dezember 2019 trat Boeing-Chef Dennis Muilenberg, der sich bei den Hinterbliebenen nicht persönlich entschuldigt hatte, auf Antrag des Vorstands zurück. Er erhielt Aktien und Rentenzuschläge im Wert von 62 Millionen Dollar. Im Januar 2021 klagte das US-Justizministerium das Unternehmen wegen krimineller Verschwörung gegen die Flugaufsichtsbehörde an. Daraufhin stimmt Boeing zu, 2,5 Milliarden Geldstrafe und Entschädigungen zu zahlen. Damit entging der Konzern der Strafverfolgung.