Gotham City liegt in Asche. Der Schleier, der die Skyline der Stadt umhüllt, ist nicht Folge einer Naturkatastrophe. Es sind die Menschen, die der Metropole die Luft zum Atmen nehmen. Die Abwesenheit von Moral und Anstand hat die Straßen in Dunkelheit getaucht, die auch der nicht enden wollende Regen nicht zu säubern vermag. Horden ziehen durch die Nacht und machen auch tagsüber die Stadt unsicher. Der Tod ist an der Tagesordnung. Selbst das vom Scheinwerfer des Gotham City Police Department (GCPD) in die Wolken projizierte Logo der Fledermaus ist für die, die Unrecht tun, keine echte Warnung mehr. Batman war einmal die Vergeltung, die Rache… the vengeance! Doch für was? Für die Untaten jener Horden, die durch die U-Bahnen ziehen und zum Spaß töten? Wer ist wirklich dafür verantwortlich, dass Gotham City unter seiner prunkvollen Fassade fault?
Bürgermeister Don Mitchell (Rupert Penry-Jones) ist tot. Ihm wurde gewaltsam das Leben genommen; seinen Kopf umwickelte man mit Tape und hinterließ darauf die Forderung nach einem Ende der Lügen. Rätselhaft ist auch die Nachricht, die Lieutenant James Gordon (Jeffrey Wright) für Batman (Robert Pattinson) findet, der seit zwei Jahren jenseits der Exekutive (und auch angefeindet von ihr) um Gerechtigkeit kämpft. Der Mörder scheint ein groß angelegtes Spiel mit der Stadt zu spielen, und ihre Repräsentanten sind dabei die Bauern, die geopfert werden. Oder sind die die wahren Täter? Der Schriftzug „El rata alada“ prangt schon bald nach dem ersten Mord an dem ebenfalls hingerichteten Polizeichef von Gotham City. „Flugratte“: steht das synonym für „Abschaum der Stadt“? Oder ist es eine wenig dezente Umschreibung für einen Spitzel?
Die rätselhaften Botschaften, die dem nur schemenhaft bekannten Täter den Spitznamen „The Riddler“ einbringen, lassen darauf schließen, dass dieser eine zutiefst korrupte Kaste politischer und gesellschaftlicher Verantwortungsträger ausmerzen will. Und dieser Riddler (Paul Dano) versteht sich als Speerspitze eines Feldzugs.
Wer kämpft auf der richtigen Seite?
Wer ist hier der Gute? Und wer kämpft auf der falschen Seite für Gerechtigkeit? Das ist die ewige Frage, mit der sich die DC Comics um den (gefallenen) Superhelden Batman beschäftigen. Das geschieht mal mit klar verteilten Gut/Böse-Rollen, wie man es von den eher unterhaltsameren Verfilmungen von Tim Burton und Joel Schumacher aus den 1990er-Jahren kennt. Das geschieht aber auf grimmige, ambivalentere und Action-bepackte Weise in Christopher Nolans „Dark Knight Trilogie“, die als bislang wegweisendste Batman-Adaption für die große Leinwand gilt.
Nun ist Matt Reeves 2022 angetreten, die Welt um den Rächer im Fledermaus-Cape noch ein stückweit auswegloser und resignativer zu gestalten. Nicht umsonst koppelt der Regisseur gleich zu Beginn (film-)musikalisch Gotham City mit Schuberts Hilfegesang „Ave Maria“ und den Helden Batman mit dem Nirvana-Grunge-Abgesang auf zwischenmenschliche Geborgenheit „Something in the Way“. Das Heil, das die Gesellschaft in Gotham fast schon flehentlich sucht, wird sie nicht mehr finden. Nicht nur weil ihr vermeintlicher Heilsbringer Batman selbst ein namenloser Außenseiter ist, der von Selbstzweifel zerfressen nach seinem Platz im Hier und Jetzt sucht. Auch und vor allem, weil die Gesellschaft und ihre Repräsentanten längst ein Produkt der Dekadenz sind.
Eine der schillerndsten DC-Figuren
Welches Heil kann da noch gestiftet werden, wenn ein Gefallener das strauchelnde System stützen soll? Und so kommt das Böse in Form des Riddlers in die Welt, der sich anmaßt, mit Morden endlich Gutes zu tun.
Der Riddler ist eine der schillerndsten Figuren des DC-Universums. In den Fernseh-Verfilmungen wurde er eher als unterhaltsamer Schurke abgetan, der mittels selbstgefälliger Rätseln Batman herausfordert. Durch die Verkörperung von Jim Carrey in „Batman Forever“ (1995) wurde er gar zur aberwitzigen Ulkfigur. Matt Reeves und sein Co-Drehbuchautor Peter Craig haben der Gestalt in „The Batman“ jetzt eine radikale Umdeutung verpasst und den Wahnsinn des Riddlers in punkto Ideologie und Aktionismus noch über den des Jokers als dem bisherigen Hauptgegenspieler Batmans gestellt. Paul Dano gibt dem Riddler ein (im Film erst spät zu sehendes) Gesicht, aber auch die Seele eines im Vorhof der Hölle spielenden Kindes.
Bevor es besser wird, muss es erst schlimmer werden. Mit dem undurchschaubaren Gesellschaftsentwurf mutet „The Batman“ zunächst eine emotionale Breitseite zu, von der man sich auch dann nur schwer erholt, wenn die Handlung sich längst in eingängigeren Gefilden bewegt und sogar von einer sich anbahnenden Liebesgeschichte zwischen Batman und Catwoman erzählt. Das erdende Element im Morast von Gotham ist Selina Kyle (Zoë Kravitz). Sie arbeitet als Bedienung in einer angesagten Lounge, wo sich Politik und organisiertes Verbrechen trifft, um die Stadt unter sich aufzuteilen. Batman sieht in ihr einen möglichen Schlüssel zur Unterwelt um den Clubbesitzer Oswald "Penguin" Cobblepot (Colin Farrell) und Carmine Falcone (John Turturro), den unumschränkten Paten der Stadt. Dabei deckt Batman nicht nur Kyles Doppelleben als Meisterdiebin Catwoman auf, sondern kommt auch ihren höchst persönlichen Rachemotiven gegenüber ihrem Arbeitgeber auf die Spur, den sie für das Verschwinden ihrer besten Freundin verantwortlich macht. Beide Facetten der Selina Kyle spielen im Kampf gegen den Mob von Gotham City, aber auch gegen den Riddler noch eine Rolle, dessen rätselhafte Wahnsinnstaten zunehmend die Existenz der ganzen Stadt infrage stellen.
Der beste „Batman“ der Kinogeschichte
In den Passagen mit Batman und Catwoman wird „The Batman“, der sich sonst betont nihilistisch gibt, zwischenzeitlich ganz Hollywood. Die Musik von Michael Giacchino, die sonst suggestiv martialisch bis grotesk disharmonisch tönt, findet romantische Anklänge, die fast schon an John Barrys „James Bond“-Liebesthemen erinnern. Das Drehbuch lässt sich an diesen Stellen pointierte Onliner einfallen, die sich gut in Werbe-Trailern von Superheldenfilmen machen. Aber das sind nur Sekunden, die fast schon angenehm kathartisch wirken, angesichts der Hoffnungslosigkeit, in der die Welt am Abgrund balanciert. Dem Hang zu zügellosen Action-Eskapaden folgt die Inszenierung nur sehr verhalten; es wird zwar gekämpft, doch auf die atemlose Verfolgungsjagt mit Motorrad und Batmobil muss man gefühlt Stunden warten.
„The Batman“ wirkt formal fast schon expressionistisch. Einen ähnlichen Umgang mit der Dekonstruktion des Bildes durch nicht enden wollenden Regen kennt man eigentlich nur aus „Blade Runner“, einen derart eindrücklichen Umgang mit Licht und Schatten vielleicht aus „Road to Perdition“ von Sam Mendes, eine so tableauhafte Kadrierung des Blickfeldes erinnert an die Comicverfilmung „From Hell“. Die konsequente Fokussierung auf die Handelnden mittels geringer Tiefenschärfe hat man in dieser Radikalität in einem Genrefilm aus Hollywood noch nie gesehen. Vor allem seine herausragende, hypnotische Form macht „The Batman“ zu einem echten Solitär. Da ist es fast schon müßig zu bemerken, dass Robert Pattinson als anämischer, von den Narben des physischen wie psychischen Kampfes gezeichneter Gefallener den besten Batman von allen gibt.