Der Fall el-Masri

Dokumentarfilm | Deutschland 2021 | 97 Minuten

Regie: Stefan Eberlein

Der Deutschlibanese Khaled el-Masri wurde 2003 als vermeintlicher islamistischer Terrorist in Mazedonien von der CIA entführt, nach Afghanistan verschleppt, gefoltert und eingesperrt. Nach seiner Freilassung kämpfte er jahrelang vergeblich für eine Anerkennung seiner Unschuld und des erlittenen Unrechts bei deutschen und US-amerikanischen Behörden. Der gut recherchierte Dokumentarfilm rekonstruiert präzise el-Masris Schicksal und arbeitet den politischen Skandal heraus, dass sich insbesondere die deutschen Strafbehörden dem Druck der Regierung gebeugt und rechtsstaatliche Grundsätze außer Kraft gesetzt haben. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Leykauf Film/ZDF
Regie
Stefan Eberlein
Buch
Stefan Eberlein
Kamera
Thomas Bresinsky · Stefan Sick · Jordan Bryon · Manuel Fenn
Musik
Gregor Hübner · Felizitas Hübner
Schnitt
Robert Vakily
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Dokumentarische Rekonstruktion der Entführung des Deutsch-Libanesen Khaled el-Masri durch die CIA, die ihn als vermeintlichen Terroristen 2003 nach Afghanistan verschleppte und in ein geheimes Foltergefängnis warf. Alle Versuche el-Masris um Anerkennung des erlittenen Unrechts scheiterten bislang.

Diskussion

Als Khaled el-Masri 1985 aus dem Libanon nach Berlin floh, erschien ihm die Stadt nach den traumatischen Erfahrungen, die er in seiner vom Bürgerkrieg verwüsteten Heimat erlebt hatte, fast wie ein Paradies. Später zog er nach Ulm und wurde deutscher Staatsbürger. Er baute sich eine Existenz auf, heiratete und wurde Vater. 2003 aber geriet er während einer Busreise an der Grenze zu Mazedonien in Gefangenschaft und wurde in ein CIA-Gefängnis nach Afghanistan verschleppt. Monatelang misshandelte man ihn, obwohl er zunächst gar nicht wusste, was man ihm vorwarf. Später erfuhr er, dass er unter Terrorismusverdacht stand.

Doch statt zu schweigen, wie man es ihm bei der Freilassung nahegelegt hatte, ging el-Masri an die Öffentlichkeit. Er beauftragte einen Rechtsanwalt und wandte sich an Souad Mekhennet, eine Redakteurin der New York Times. Sie wurde zum Dreh- und Angelpunkt für weitere Recherchen, in deren Folge das „Rendition-Programm“ der CIA aufflog. Die sogenannte „extraordinary rendition“, die außerordentliche Überführung, bezeichnet die Verschleppung von Terrorverdächtigen über die Grenzen mehrerer Länder hinweg.

Vom Opfer zum Verdächtigten

Khaled el-Masri beteuerte seine Unschuld, die durch zahlreiche Indizien belegbar war. Die US-Administration verwies jedoch auf die Geheimhaltung und ließ keine Klage zu. In Deutschland befasst sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages mit dem Thema. Dann aber drehte sich plötzlich die öffentliche Meinung: Der traumatisierte el-Masri wurde vom Opfer zum Verdächtigen und schließlich sogar zum Straftäter, der in einem Großmarkt Feuer legte und später den Bürgermeister von Neu-Ulm verprügelte – aus Wut und Verzweiflung. Nach seiner Haftentlassung kehrte er Deutschland den Rücken.

Im Jahr 2012 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Staat Mazedonien wegen der Verletzung von Menschenrechten. 2016 gab die CIA zu, dass es keinerlei Verdachtsgründe gegen ihn gab. Doch diese Rehabilitation blieb unbeachtet. Khaled el-Masri erhielt erst 2018 eine formelle Entschuldigung und 60.000 Euro Schmerzensgeld von Mazedonien. Obwohl inzwischen bekannt ist, dass die deutsche Regierung über die Entführung informiert war, gibt es bis heute keine offizielle Stellungnahme zu seinem Fall.

Die Geschichte vom Unschuldigen, der vom Geheimdienst verschleppt wird, hört sich zunächst wie eine Räuberpistole an. Doch dieser Thriller ist so real wie Khaled el-Masri. Er ist alles andere als ein strahlender Held, der sich erfolgreich gegen die Mächte der Dunkelheit behauptet und am Ende als verdienter Sieger auf der Bühne steht; el-Masri ist vielmehr ein Mann, der beinahe zerbrochen wurde, nicht nur durch die traumatisierende Entführung, sondern auch an dem, was danach geschah. Sein Vertrauen in Recht und Gesetz ist zerbrochen. Man kann es ihm nicht verübeln, ebenso wenig seinen Unterstützern.

Der Untersuchungsausschuss und Otto Schily

Zu denen gehört der Ulmer Rechtsanwalt Manfred Gnjidic. Als junger Jurist hörte er el-Masris Geschichte und glaubte ihm zunächst nicht. Doch Gnjidics Vertrauen in den Rechtsstaat wird schwer erschüttert, als ihm klar wird, dass die deutschen Behörden kein Interesse daran haben, die Angelegenheit zu verfolgen. Überall, wo er anfragt, stößt er auf Schweigen. Ein Untersuchungsausschuss wird eingesetzt, der den damaligen Bundesinnenminister Otto Schily von jeder Verantwortung freispricht, obwohl der spätestens nach el-Masris Freilassung von der Verschleppung erfuhr.

Der Film von Stefan Eberlein ist das beeindruckend aufbereitete Protokoll eines politischen Skandals, sehr genau und sehr umfassend recherchiert, informativ und journalistisch eine erstklassige Arbeit. Aber der Film ist mehr als das: Er ist Anklage und Appell – und ein Dokument der Unfähigkeit und des Versagens. Schuldig in diesem Sinn ist der deutsche Staat mit seinen Organen. Eberlein weist nach, dass Amtsträger über viele Jahre gelogen haben oder fortgesetzt schweigen, was bislang komplett folgenlos blieb. Die Entschuldigung Mazedoniens und die Schmerzensgeldzahlung an el-Masri wirken wie ein nachträgliches Bauernopfer. Der Kleinste muss Buße tun, die Großen kommen ungeschoren davon, wobei sich die Rolle Deutschlands im Verhältnis zu den USA keinesfalls als die eines gleichberechtigten Partners darstellt. Im Gegenteil.

Schon als die Affäre el Masri bekannt wurde, wollte Eberlein einen Film über ihn drehen, den er dann aufgrund der Strafhaft von El-Masri nicht realisiert werden konnte. Als er von el-Masris Rehabilitation erfuhr, was in der Öffentlichkeit vollkommen unbeachtet blieb, nahm er die Spur wieder auf und stöberte El-Masri auf. So konnte Eberlein auf eigenes Material aus den 2000er-Jahren zurückgreifen, das er mit aktuellen Interviews und Bildern ergänzte.

Auch el-Masris Frau kommt zu Wort

Auch el-Masris Familie kommt zu Wort, vor allem seine Ehefrau, die viele Monate nicht wusste, wo ihr Mann geblieben war, und die ebenso wie er im Nachhinein der Verfolgung ausgesetzt war. Der Kommentar wird von Eberlein selbst gesprochen, was eine anrührende, sehr menschliche Ebene in den Film bringt, obwohl der immer ruhig und sachlich bleibt.

Die Fakten sprechen für sich und für Khaled el-Masri. Seine Berichte von der Zeit in dem berüchtigten Foltergefängnis „Salt Pit“ in Afghanistan sind klar und offen. Mit viel Sensibilität gelingt es Eberlein, el-Masri die Schrecken so schildern zu lassen, dass seine Würde gewahrt bleibt. Wenn er unter Tränen dann doch nicht weitersprechen kann, geht es um die Folgen der Entführung, die objektiv betrachtet eine Unrechtstat war, eine kriminelle Handlung, die durch nichts legitimiert werden kann. Khaled el-Masri wurde von dem Land im Stich gelassen, das ihm einst Schutz gewährte. Dieser Thriller hat kein Happy End.

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