Dokumentarfilm | USA 2021 | 101 Minuten

Regie: Kristine Stolakis

Homosexualität sei eine Krankheit, die auf traumatische Kindheitserlebnisse zurückgehe und dementsprechend heilbar sei. Das glauben die Anhänger der sogenannten Konversionstherapie, die, vielfach unter Berufung auf die Bibel, eine „Heilung“ in Aussicht stellt. Ehemals führende Köpfe einschlägiger „Pray the Gay Away“-Organisationen blicken in dem Dokumentarfilm kritisch auf ihr früheres Tun zurück. Archivbilder aus Talkshows, von Kongressen und Versammlungen ergänzen die Einblicke in eine krude Gehirnwäsche, der sich allein in den USA mehr als 700 000 Menschen unterzogen haben sollen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
PRAY AWAY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Artemis Rising Foundation/Blumhouse Prod./Chicken And Egg Pict./Lamplighter Films/Multitude Films/Naked Edge Films/Ryan Murphy Prod./Secret Sauce Media
Regie
Kristine Stolakis
Buch
Kristine Stolakis
Kamera
Melissa Langer
Musik
Laura Karpman · Nora Kroll-Rosenbaum
Schnitt
Carla Gutierrez
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Doku über die sogenannte „Konversionstherapie“, mit der Homosexuelle angeblich „geheilt“ werden sollen. Ehemalige Anführer der „Pray the Gay Away“-Bewegung blicken kritisch auf ihr früheres Tun zurück.

Diskussion

Fast könnte man meinen, der pausbäckige Mann sei auf Droge. Er hält ein selbstgemachtes Pappschild mit Botschaften wie „Jesus liebt dich“ in der Hand und spricht Menschen vor einem Einkaufzentrum in der nordamerikanischen Provinz an. Früher habe er als Transgender „in Sünde“ gelebt, erklärt er den verdutzten Passanten, aber mit Gottes Hilfe sei er von dem Irrweg abgekommen. Wobei der Mann ein entrücktes Lächeln aufsetzt und die Umstehenden bittet, mit ihm für all jene zu beten, die noch immer in Sünde leben. Was einige prompt tun.

Der Verkünder der „frohen Botschaft“ heißt Jeffrey McCall und begegnet im Laufe von „Pray Away“ noch öfters. Denn er ist kein verwirrter Einzelgänger, sondern ein Aktivist mit einer ganzen Reihe von Followern, die wie er der Überzeugung anhängen, dass Homosexualität eine Krankheit sei und durch die „Konversionstherapie“ geheilt werden könne. Diese „Therapie“ basiert auf der kruden Annahme, dass gleichgeschlechtliche Empfindungen nicht von Gott gewollt, sondern das Resultat menschlicher Verfehlungen und traumatischer Erlebnisse sind. Als solche wären sie therapierbar oder ließen sich wie der auf die „Pray the Gay Away“-Bewegung anspielende Filmtitel suggeriert - schlicht „wegbeten“.

Eine Form schlimmer Gehirnwäsche

Allein in den USA haben sich in den letzten Jahrzehnten rund 700 000 Homosexuelle solchen Therapieversuchen unterzogen, die den Charakter einer Gehirnwäsche haben. Die Filmemacherin Kristine Stolakis stellt eine Reihe selbsternannter „Therapeuten“ vor, die einst zu großer Popularität gelangten, bis sie ihr Tun als gefährlichen Humbug erkannten und sich öffentlich von den Therapieversuchen distanzierten.

Einer der Reuigen ist John Paulk, der in den 1990er Jahren seiner Homosexualität abschwor, eine ehemalige Lesbe heiratete und mit ihr zwei Kinder zeugte. Das Paar schaffte es auf den Titel von Newsweek und saß in unzähligen Talkshows, um vom Glück ihrer Bekehrung zur Heterosexualität zu erzählen. Nachdem er im Jahr 2000 beim Verlassen einer Schwulenbar fotografiert worden war, bekannte Paulk allerdings, all er seine Bekehrung nur vorgetäuscht habe. Im Film bedauert Paulk, der heute mit seinem Partner zusammenlebt, dass er seine Gefolgsleute über Jahre hinweg belogen habe.

In „Pray Away“ kommen eine ganze Reihe ehemals führender Köpfe von Bewegungen wie „Exodus“ oder „Focus on the Family“ zu Wort, die ihr Bedauern zu Protokoll geben. Nicht immer wird dabei klar, ob sie seinerzeit von ihrer Mission überzeugt waren oder ob sie nie wirklich an die Konversationstherapie geglaubt haben.

Eine fern anmutende Welt

Auch die Statements der Protagonisten zur Frage, wie und unter welchen Umständen ihre Läuterung vonstattenging, nehmen sich eher dürftig aus. Eine Ausnahme bildet Julie Rodgers, die sich ihrer Mutter im Teenager-Alter als Lesbe offenbarte und dann zu einem Therapeuten gezerrt wurde. Eher widerwillig ließ sich die junge Frau später zum Aushängeschild der Bewegung machen, während sie ihrer inneren Zerrissenheit mit Selbstverstümmelungen begegnete. Mit der Eheschließung zwischen Julie und ihrer Lebensgefährtin besitzt der Film sogar eine Art Happy End.

Die Geschichten der porträtierten Personen werden mit zahlreichen Archivbildern angereichert. Darunter viele Sequenzen aus Aufritten im Fernsehen oder auf öffentlichen Veranstaltungen, in denen auch die Unterstützung durch erzkonservative Republikaner deutlich wird.

Es gibt aber auch Ausschnitte von großen Treffen der Anhänger der Konversionstherapie, die gebannt charismatischen Rednern lauschen oder wie in Trance tanzend sich selbst feiern. Es sind bizarre Bilder aus einer gänzlich fern anmutenden Welt, wenngleich die meisten Aufnahmen vor gar nicht so langer Zeit entstanden sind. Auch Jeffrey McCall ist heute noch immer eifrig und mit Erfolg dabei, Menschen für seine wirren Ansichten zu gewinnen.

Hinsichtlich ihrer filmischen Mittel ist diese Produktion nicht weiter der Rede wert, aber im Hinblick auf ihre dokumentarischen Qualitäten durchaus sehenswert.

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