Blaulichter vor der Haustür verheißen selten was Gutes. Polizisten führen nachts einen Mann in Handschellen aus seinem eigenen Haus. Drogen wurden gefunden. Die Freundin kommt nach Hause und wirft aufgebracht eine Jacke über den nackten Oberkörper des frischen und frierenden Häftlings. Sie ruft ihm hinterher: „Do you need your tooth brush?!” – “I’m not going to a summer camp, babe, I’m going to jail!”
Das Duo von Oakland
Nun muss auch Miles (Rafael Casal) erleben, was es heißt, im Gefängnis zu landen. Die Figur stammt aus dem vielgelobten Film „Blindspotting“ von 2018. Darin ging es um die spannungsgeladene Freundschaft zwischen dem weißen Miles und seinem afroamerikanischen Kumpel Collin (Daveed Diggs), die aufgrund ihrer unterschiedlichen Hautfarbe unterschiedliche Alltagserfahrungen in Oakland mit Polizei und Justiz machen. Daveed Diggs und Rafael Casal haben damals die zwei Protagonisten verkörpert, ihnen Wörter in den Mund gelegt und Geschichten erzählt, die sie in ihrer Heimatstadt an der East Bay selbst auf die eine oder andere Art erlebt haben.
Auch in der Serie sind Diggs und Casal wieder als Autoren- und Produzententeam tätig. Sie schließt ein paar Monate später an die Geschehnisse des Films an. Wobei sich gleich mit der Festnahme von Miles zu Beginn der Fokus verlagert, und zwar in Richtung Frauen und Kind. Im Mittelpunkt steht nun Miles‘ Freundin Ashley (Jasmine Cephas Jones). Sofort nach dessen Verhaftung muss sie mit ihrem gemeinsamen Sohn Sean aus dem Zuhause, das sich das Paar bisher geteilt hatte, ausziehen: Wenn ein Elternteil als Arbeitskraft wegfällt, ist es fast unmöglich, sich in einer Stadt wie Oakland ein eigenes Haus zu leisten. Die Gentrifizierung breitet sich langsam, aber sicher von San Francisco und dem Silicon Valley her aus.
Progressives Sex Business
Ashley und Sean ziehen notgedrungen zur Schwiegermutter „Mama“ Rainey. Auftritt: Helen Hunt. Mit blau gemusterten Leggins, roter Brille, Kopfhörern und Rollwagen groovt sie durch die Straßen, bis sie vor ihrem Haus steht. Es ist ein schmales, altes Haus zwischen hölzernen Einfamilienhäusern in Oakland. Drinnen hängen fünf junge Frauen in Dessous und mit Goldklunkern ab. Hip-Hop-Musik lässt die Dielen und Wände vibrieren. Raineys Tochter Trish (Jaylen Barron) will mit ihren Freundinnen ein Sex Business starten: „A safe place for girls run by girls. It’s progressive!” Die Mutter ist von der Idee wenig begeistert: „Pants, please!“ Und genauso wenig begeistert ist Ashley, dass ihr minderjähriger Sean nackte Frauen herumspazieren sieht. Aber als finanziell gezwungener Gast kann man sich die eigenen Gastgeberinnen nicht aussuchen…
Wie schon im Film liegen Tragik und Komik sehr nah beieinander. In einem Moment amüsieren die Situationen der unfreiwilligen WG, und im nächsten Moment fließen die Tränen, weil Miles zu fünf Jahren Haft verurteilt wird und Mutter und Freundin nicht mehr weiterwissen. Dadurch gelingt es der Serie, soziale Missstände zu thematisieren, ohne in einen besserwisserischen Ton zu verfallen. Stattdessen durchbricht Erzählerin Ashley gelegentlich die dritte Wand, spricht zum Publikum, teilweise sehr rhythmisiert, teilweise wandeln sich diese Sequenzen in Rap-Einlagen, und Lastwagenfahrer fangen an, mit Kartons zu tanzen. Bei einem örtlichen Autorennen wippt sogar die ganze bunte Nachbarschaft auf der Straße mit. Solche Einschübe dauern nur kurz, aber zeigen eindrücklich, woher Hip-Hop ursprünglich kam und immer noch kommt – von der Straße.
Business Englisch versus Straßenslang
Dass sich die Straße und die Community aber verändern, spiegelt sich in den Konflikten der Protagonistinnen wider. Ashley arbeitet auf der anderen Seite der Bay als Rezeptionistin im altehrwürdigen Alcatraz Hotel – eine architektonische Verkörperung des „good old America“, wie der Manager selbst behauptet. Eine Freundin von Ashley ruft an der Rezeption an und erkennt ihre Stimme nicht. Ashley schaltet dort auf ein britisches Business Englisch um. Es ist nur ein kurzer Moment der Irritation, der Bände darüber spricht, wie sprachlich und sozial fremd sich das eigene Land manchmal anfühlt.
Vor allem Trish und Ashley geraten öfters wegen ihrer unterschiedlichen Berufsvorstellungen aneinander. Sie werfen sich gegenseitig vor, den alten Systemen Post-Kolonialismus oder Sexismus zu dienen. Dabei müssen sie in ihren eigenen Berufen erleben, wie die Vorwürfe auch auf sie selbst zutreffen. Ashley wird von einem weißen Kunden belästigt und von einer weißen Frau beschimpft. Trish wiederum bekommt keinen Kredit von der Bank. Sie soll lieber in eine Kombucha-Bar investieren. Beide leben nicht frei von Zwängen. Doch am Ende haben sie immer noch ihre Familie und ihre Community, wo sie ihre Wut, Trauer und Freude austanzen und heraussingen können.