Bilder (m)einer Mutter

Dokumentarfilm | Deutschland 2021 | 78 Minuten

Regie: Melanie Lischker

Aus der Fülle privater Filmaufnahmen ihres Vaters montiert die Regisseurin Melanie Lischker einen dokumentarischen Essay, um sich der Geschichte ihrer Mutter anzunähern. Diese wollte sich im Zuge der Emanzipationsbewegung in den 1970er-Jahren von ihrer konservativen Herkunft lösen, ging dann aber mit ihren eigenen Kindern auf die gleiche herrische Art um, die sie bei ihrer Mutter erlebt hatte. Die psychologischen Rückschlüsse der Filmemacherin sind mitunter etwas thesenhaft, doch die phänomenale Montage des (auto)biografischen Materials entfaltet eine große emotionale und analytische Kraft. Hinzu kommen Auszüge aus den Tagebüchern der Mutter, die intensiv vom Ringen um einen eigenen Raum erzählen. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
Koberstein Film
Regie
Melanie Lischker
Buch
Melanie Lischker
Kamera
Thomas Lischker
Musik
Jens Heuler · Freya Arde
Schnitt
Mechthild Barth · Melanie Lischker
Länge
78 Minuten
Kinostart
25.11.2021
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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IMDb | TMDB

Dokumentarischer Essay der Filmemacherin Melanie Lischker, die anhand familiärer Videoaufnahmen zu verstehen versucht, warum es ihrer Mutter nicht gelang, sich innerlich von ihren Herkunftsmustern zu lösen.

Diskussion

Das Lachen der jungen Frau strahlt über ihr ganzes Gesicht. Ihr beschwingter Körper dreht sich zur Kamera, die braunen Haare fliegen. Die Sepiatönung der Bilder trägt die befreiende Atmosphäre der 1970er-Jahre mit sich. Ein Lachen, das zur Heimsuchung wird. Die 37-jährige Regisseurin Melanie Lischker findet die Aufnahme im privaten Archiv ihres Vaters. Sie zeigt noch eine andere Filmszene aus den 1980er-Jahren, in der dieses gespenstische Lachen auftaucht: Im Bikini sitzt die junge Frau auf einem kleinen Balkon im Liegestuhl, sie ist hochschwanger. Im Off kommentiert Lischker, dass dies die letzte Aufnahme sei, auf der sie ihre Mutter lachen gesehen habe. Das Gewicht dieser Beobachtung wird zur Gravitationskraft des Films „Bilder (m)einer Mutter“, in der die Tochter das tiefe Unglück ihrer Mutter ergründen möchte.

Der Vater ist seit seiner Jugend ein passionierter Filmer. Bereits mit Anfang zwanzig hält er den gemeinsamen Alltag mit seiner Freundin Gabi im katholisch-konservativen Bayern fest. Er gibt seiner Tochter außerdem ein Tagebuch ihrer Mutter, das er bislang unter Verschluss gehalten hat. Die Einträge darin werden zu einem Ariadnefaden für das Vorhaben der Tochter.

Kampf gegen die Selbstnegation

Eine kurze Zeit lang scheint es Hoffnung zu geben. Gabi lebt zusammen mit ihrem Freund Thomas; gemeinsam gehen sie ihrer Selbstverwirklichung nach. Er spielt in einer Band Gitarre, sie malt Bilder und hofft auf ein Leben als Künstlerin. Es könnte der Beginn der eigenen Autonomie sein, doch Gabi gerät innerlich schon bald in eine Sackgasse. Während es ihren Freund erst zur Bundeswehr zieht und dann in ein Studium der Elektrotechnik, fehlt ihr jede Vorstellung davon, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Schließlich folgt sie dem Wunsch ihrer Mutter und wird Lehrerin. Immerhin kommt sie so zu ihrer ersten eigenen Wohnung in München. Doch kurz vor dem Abschluss des Studiums offenbaren sich innere Konflikte, als Gabi mit Kindern arbeiten soll. Heimlich bricht sie ihre Ausbildung ab und beginnt zu jobben.

Was dann folgt, ist ein langsamer und schleichender Weg in die Destruktivität. Gabi will unbedingt heiraten, weil sie sich haltlos fühlt. Doch obwohl sie sich von den Lebensumständen ihrer eigenen Familie emanzipieren wollte, geht sie eine sogenannte „Hausfrauenehe“ ein. Während ihr Mann sich beruflich weiterentwickelt und das Paar nach Düsseldorf zieht, bleibt Gabi stecken. In ihren Tagebucheinträgen wird neben der Frustration immer mehr Wut deutlich, die sich vor allem gegen Thomas richtet. Als die Frage nach Kindern im Raum steht, offenbart sich Gabis ganze Ambivalenz. Eigentlich will sie fortgehen, um sich selbst zu finden. Doch da sie keine Vorstellung davon hat, wonach sie suchen soll, wird sie schwanger.

Die Entwicklung aus der Gegenwart verstehen

Gabis Tochter versucht die Entwicklung ihrer Mutter aus der Gegenwart zu verstehen und schneidet immer wieder Archivmaterial aus der Frauenemanzipation als Kommentar zwischen die Super-8-Aufnahmen ihres Vaters. Etwa die Rede der ersten Bundestagspräsidentin Annemarie Renger, die vor einem Plenum voller Anzugträger über den Abbau von Vorurteilen gegenüber weiblichen Abgeordneten spricht.

Mit diesen filmischen Einlassungen wird Gabis Geschichte mehrfach als eine typische Frauenbiografie gedeutet. Solche Urteile bleiben dem familiären Material allerdings äußerlich und wirken eher hilflos. Vor allem als Lischker auf Archivmaterial aus den frühen 1950er-Jahren zurückgreift, die eine ungebrochene Macht des Patriarchats suggerieren sollen, überspricht sie schlicht eine ganze Generation. Die Probleme ihrer Mutter finden Ende der 1980er-Jahre ihren Tiefpunkt, parallel zur Hochphase der Emanzipationsbewegung.

Das biografische Filmmaterial spricht hingegen eine weit komplexere Sprache. Das Verblüffende daran ist, dass Lischker dies in der Montage sehr wohl zum Ausdruck bringt. Die studierte Editorin hat ein absolutes Gespür für die richtigen Bilder und die Kondensationspunkte der familiären Tragödie. Denn im Kern geht es in „Bilder (m)einer Mutter“ um die gescheiterte Selbstverwirklichung ihrer Mutter, die angesichts der zeitgeschichtlich real möglich gewordenen Emanzipation umso tragischer wirkt.

Wie lässt sich diese innere Unfreiheit und Zerstörungswut fassen, die Frauen bis heute daran hindert, ihr eigenes Leben schöpferisch zu gestalten? Eine Antwort deutet sich in dem reichhaltigen Super-8-Material an. Gabis Konflikt um Autonomie und Individuation beginnt mit dem Fehlen eines eigenen Zimmers. Sie muss den Raum mit ihrem Bruder teilen. In den Auseinandersetzungen, die Gabi in ihren Aufzeichnungen schildert, steht jedoch meist die herrische Mutter im Vordergrund, weniger ein autoritärer Patriarch. Der fehlende Raum ist überdies den sozialen Verhältnissen geschuldet, die wenig Anknüpfungspunkte über ein „Nullachtfünfzehn-Leben“ hinaus bieten, wie es Gabi einmal notiert.

Krankheit und Kränkung

Als Gabi selbst Mutter wird, tritt die ausgebliebene Ablösung von den Eltern in ihrer ganzen Härte zu Tage. Im Umgang mit Melanie und ihrem kleinen Bruder zeigt sich auf tragische Weise, welche Folgen die ungebrochene Identifikation mit der eigenen Mutter haben kann.

Lischker montiert das Material auf eine Weise, dass es einem das Herz zerreißt. Da ist eine Mutter, die ihrem Baby voller Aggression den Brei in den Mund stopft und mit Paletten eine Barriere errichtet, um auf dem Balkon in Ruhe Pflanzen einzutopfen. Das Kleinkind ruft und klettert verzweifelt hoch, doch seine kleinen Arme erschlaffen, als es seine Unerwünschtheit angesichts der körperlichen Abwendung der Mutter spürt. Der Vater filmt dies alles; seine Position darin bleibt fraglich. Jahre später sieht man die kleine Melanie ihrer Mutter hinterherlaufen, die sich mit abfälligem Lächeln immer schneller von ihr entfernt. Das Kind schreit unablässig nach ihr, bis zum körperlichen Zusammenbruch.

Ein Knoten in der Brust kündigt einen Wendepunkt im Familienleben an. Gabi unterzieht sich einer Krebsbehandlung, eine Psychotherapie fördert unerwartete Erkenntnisse zu Tage. Im Tagebuch formuliert sie ihr Bedauern darüber, sich von der eigenen Kindheit nicht lösen zu können.

Gabi ist über die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter im Umgang mit Kindern erschrocken, doch nach wie vor findet sie kein anderes Ventil für ihre Wut und Kränkung. Nachdem sich Metastasen gebildet haben, entschließt sie sich, in eine Klinik mit alternativen Heilmethoden zu gehen. Diese liegt in Bayern, nahe beim Elternhaus. Sie bricht den Kontakt zu ihrem Mann und ihren Kindern ab. Spätestens ab hier wird deutlich, dass „Bilder (m)einer Mutter“ auch eine Trauerarbeit der Filmemacherin ist.

Das Optisch-Unbewusste des Home-Videos

„Bilder (m)einer Mutter“ offenbart die Möglichkeiten einer neuen Spielart des Dokumentarischen. Autobiografische Nachforschungen durch privates Filmmaterial eröffnen die Chance auf (psychoanalytische) Erkenntnisse. Momente, die scheinbar achtlos und zufällig aufgezeichnet werden, können in der Rückschau Undenkbares anschaulich werden lassen, etwa wie die zur Suizidalität gesteigerte Aggression der Mutter. Im Bildmaterial bleibt diese Intensität als etwas gespeichert, das der Philosoph Walter Benjamin als das „Optisch-Unbewusste“ des Films beschrieben hat – und dessen Deutung so nachträglich möglich wird.

Das Material, das Lischker in „Bilder (m)einer Mutter“ präsentiert, entfaltet in der Montage als Essay eine große emotionale Wucht, die über alle konkreten Kontexte hinaus auch generelle Fragen weiblicher Individuation berührt.

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