Dokumentarfilm | Deutschland 2021 | 89 Minuten

Regie: Christian Bäucker

Ein verödetes Schulgebäude in der brandenburgischen Provinz wird zum Schauplatz von Erinnerungen ans Erziehungssystem der DDR. Ehemalige Schüler, darunter auch der Regisseur, und Lehrer reflektieren die Zeit von damals mit neuen Einsichten, Nostalgie oder Pragmatismus. Der erhellende Dokumentarfilm demonstriert anhand der Zeugnisse der Akteure, wie Propaganda funktionierte und wie Lehrende und Lernende das System gleichzeitig bedienten und im Rahmen ihrer Möglichkeiten auch unterwanderten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
HEIMATKUNDE
Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
5R Filmprod.
Regie
Christian Bäucker
Buch
Christian Bäucker
Kamera
Joanna Piechotta
Musik
Kolja Nixdorf
Schnitt
Michelle Barbin
Länge
89 Minuten
Kinostart
10.11.2022
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Erhellender dokumentarischer Rückblick mit Zeitzeugen auf eine Schulzeit in der DDR.

Diskussion

Am Anfang sieht man ein sehr breites, zweistöckiges Gebäude, auf das der Filmtitel „Heimatkunde“ projiziert wird. Das Haus, vermutlich Anfang der 1960er-Jahre erbaut, fungierte bis 1997 als Schule von Bärenklau. Das Dorf liegt in der Niederlausitz, unweit von Guben, nordöstlich von Cottbus, nahe an der polnischen Grenze. Die Lehr- und Lernanstalt prägte Generationen von DDR- und Wende-Schülern, darunter auch Christian Bäucker, den 1980 geborenen Regisseur dieses Dokumentarfilms. Etliche Jahre nach seiner Schulzeit kehrt er an den Ort zurück und interviewt ehemalige Lehrer und Schüler der Polytechnischen Oberschule „Hans Beimler“, die den DDR-Normunterricht von zehn Jahren erlebten und gestalteten.

Die Atmosphäre hat etwas Geisterhaftes, denn das Schulgebäude in Bärenklau steht seit 25 Jahren leer. Drastisch gesunkene Geburtszahlen, womöglich eine Folge der Landflucht, hätten die Schließung der Schule veranlasst. Damit erscheint sie als ein – etwas verwahrlostes – Museum für Zeitgeschichte. Denn an dem Gebäude wurde nichts geändert. Die an die Fenster geklebten Friedenstauben erkennt man von außen. Innen hat man sich nicht einmal die Mühe gegeben, altes Schulmaterial zu bergen. Ganze Sätze von Lesebüchern der Unterstufe, DDR-Pflichtliteratur wie Maxim Gorkis „Die Mutter“ sowie Landkarten und Beamer stehen dort noch in Schränken und Regalen. Altmodisch grüne Tafeln und Schulbänke, die aufgrund ihres guten Zustands aus der Zeit nach der Wende stammen könnten, bevölkern die Klassenzimmer, in denen nun die Akteure von damals befragt werden.

Eine offizielle Meinung – und eine für zuhause

Der Regisseur lässt sie meist an den Schulbänken oder am Lehrertisch Platz nehmen und erzählen. Die Ex-Schüler und Ex-Lehrer geraten so automatisch in ihre Rolle von früher und geben Episoden, aber auch Gefühle von damals preis. Die meisten fügten sich zu DDR-Zeiten in das System, wenn auch zuweilen mit Bauchschmerzen. So beklagt eine Lehrerin, dass eine ihr ans Herz gewachsene Klasse von einem Hospitanten gemaßregelt wurde, weil den Schülern ihre schwachen Leistungen in Naturwissenschaften als mangelndes gesellschaftliches Engagement ausgelegt wurden. Lehrer wie Schüler fraßen ihren Frust in sich hinein; über Missstände wurde nur intern, nie öffentlich geschimpft. Viele erinnern an den Spruch, dass man in der DDR zwei Meinungen gehabt habe: eine offizielle und eine zuhause.

Schüler sollten laut DDR-Erziehungsziel zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ geformt werden, wozu Jugendorganisationen wie die Jungpioniere (blaues Halstuch) und die Thälmann-Pioniere (rotes Halstuch, ab der 4. Klasse) beitrugen. Die Seiten eines alten Hefts veranschaulichen, was der titelgebende Heimatkunde-Unterricht beinhaltete. Das Lehrfach war eine Mischung aus Naturkunde für Kinder, versetzt mit propagandistischen Inhalten, die offiziell dazu dienten, „Einstellungen, Überzeugungen und Verhaltensweisen im Sinne der Weltanschauung und Moral der Arbeiterklasse heranzubilden“.

Auch Tonbänder von DDR-Hörspielen für Kinder, etwa ein von Paul Dessau vertontes Gedicht Friedrich Wolfs über die Widerstandskämpferin Liselotte Herrmann, sind zu hören. Man sieht auch Videos über die DDR-Kampftruppen, welche die Betriebe vor externen Feinden mit der Waffe in der Hand verteidigen sollten. Bei anderem tendenziösem Tonmaterial kommt eher Heiterkeit auf, etwa wenn in einem Gedicht von Heinz Kahlau der kleine Klaus davon schwärmt, wie er „der Mutti“ im Haushalt hilft („Meine Mutti ist Abteilungsleiter, alle Tage steht sie ihren Mann“).

Für Abrüstung und gegen den Hunger

Die ehemaligen Lehrkräfte reagieren heute unterschiedlich auf das Material, das sie wahrscheinlich selbst im Unterricht benutzt haben; einige sind eher defensiv, wie der ehemalige Schuldirektor, andere kritisieren diese Hilfsmittel, manche beurteilen sie pragmatisch als etwas, was eben dazugehört habe.

Auch die Schüler interpretierten ihre Rolle als junge DDR-Bürger verschieden. So war Kathi K. gerne Pionierin und kommentiert: „Wir waren Helden.“ Sie lobt den Zusammenhalt und die Solidarität in der Gemeinschaft, kritisiert aber auch eine gesellschaftliche Kälte, etwa wenn Kinder wochenlang auf Kur geschickt wurden, ohne jeglichen Kontakt zum Elternhaus. Manchmal zeitigte die Propaganda Erschreckendes: So wollte Cornelia B. etwa ihr Leben opfern, wenn US-Präsident Reagan sich im Gegenzug für Abrüstung und gegen den Welthunger engagiert hätte.

Ein von klein auf anerzogener Gemeinschaftssinn schloss die individuelle Entfaltung, ja auch individuelles Denken oder Artikulieren aus. Wer nicht funktionierte, fiel auf, wie die Schwester des Regisseurs, die in der Schule Schreikrämpfe bekam, oder der ehemalige Schüler Tino K., der in einer Organisation für junge Christen engagiert war. In der zehnten Klasse schrieb er einen mutigen Aufsatz, in dem er persönliche Ansichten formulierte. Eine ihm wohlgesinnte Lehrerin versteckte die Blätter vor einem Inspektor und händigt sie ihm jetzt, fast 35 Jahre später, aus.

Der Regisseur hinter der Kamera

Ab und zu tritt der Regisseur hinter der Kamera als Gesprächspartner auf, und das nicht immer neutral. Doch seine Gesprächspartner sagen ihre Meinung frei heraus. Ansonsten verzichtet der Film wohltuend auf wertende Kommentare. Zuweilen spricht der Regisseur über sehr persönliche Dinge, etwa wenn er die Probleme seiner Familie skizziert, deren Mitglieder als Außenseiter betrachtet wurden. So oszilliert der Film zwischen Kindheitsnostalgie, die selten in Ostalgie ausartet, und Reflexion, und das ausschließlich von Akteuren, welche die Situation in der Schule selbst erlebt haben – ohne Bevormundung von außen.

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