Multitasking ist keine Lösung, aber – zumal im Kulturbetrieb – eine beliebte Option. Die Schriftstellerin Ronja von Rönne hat jüngst trotzig damit gedroht, auf den Beruf der Schauspielerin umzusatteln, weil die bekannteren Darsteller:innen der Republik alle regelmäßig Bücher veröffentlichen. Sie könnte sich allerdings ebenso gut als Sängerin versuchen, schließlich ist es ebenso üblich geworden, dass sich Popmusiker fortgeschrittenen Alters wie Jochen Distelmeyer (Blumfeld), Markus Berges (Erdmöbel), Rocko Schamoni, Sven Regener (Element of Crime), Dirk von Lowtzow (Tocotronic) oder Christiane Rösinger (Lassie Singers), mal mehr, mal weniger talentiert und mal mehr, mal weniger erfolgreich der schönen Literatur zuwenden.
Gleichfalls zur Zunft der spätberufen das Fach wechselnden beziehungsweise den Aktionsradius erweiternden Künstler zählt Thees Uhlmann (Ex-Tomte), dessen Debütroman „Sophia, der Tod und ich“ (2015) jetzt unter der Regie von Charly Hübner verfilmt wurde. Je nach Temperament oder Fan-Nähe zum musikalischen Schaffen von Uhlmann stieß der Roman auf „kultische Verehrung“ oder angesichts seiner schulterklopfenden Witzigkeit und „Moin Moin“-Lakonie auf deutliche Reserviertheit.
Mit allem ist zu rechnen
Uhlmann-Fans werden durch die Verfilmung bestens bedient. Zählt man eher zur zweiten Fraktion, ist zu konstatieren, dass Hübner und sein Team so sorgfältig gearbeitet haben, dass sich die Dürftigkeit der Vorlage in Luft auflöst. Das hat in erster Linie mit der Besetzung zu tun, die auch Intertexte produktiv zu machen versteht. Denn wenn es bei Dimitrij Schaad, der hier die Figur des Reiner spielt, an der Haustür klingelt, dann ist ja generell mit allem zu rechnen, man denke an seine Erfahrungen mit einem kommunistischen Känguru. Den drei jungen Zeuginnen Jehovas kann der antriebslose Altenpfleger zwar noch locker mit seinen Zynismen die Tür weisen, aber schon der nächste Besucher ist von einem anderen Kaliber. Morten (Marc Hosemann) ist der Tod oder besser: ein Tod.
Wie man dem Tod bei der Arbeit zusieht, erzählt „Sophia, der Tod und ich“ mit einigem inszenatorischen Raffinement und viel Slapstick. Arbeitsbeginn ist noch vor Sonnenaufgang. Treffpunkt ist eine Imbissbude auf dem Dach eines größeren Gebäudekomplexes. Chefin Michaela (Lina Beckmann) schaltet das Licht ein, öffnet den Laden und reiht kleine Papierstapel und Büchlein am Tresen auf, die gewissermaßen die Auftragslage des Tages umfassen. Dann ploppen die diversen Tode auf und nehmen ihre Aufträge entgegen, um die Arbeit zu erledigen. Morten ist jener Typ Tod, der mit etwas Verspätung auf der Arbeit eintrifft und auch kein Interesse daran hat, dass die Begegnung zum großen Drama ausartet. Das Zeitfenster zwischen Begrüßung und Vollzug beträgt deshalb kurze drei Minuten.
Was für Morten und sein Selbstverständnis als Fährmann bislang reibungslos funktioniert hat, wird diesmal aber durch das Auftauchen von Reiners patenter Ex-Freundin (Anna Maria Mühe) gestört, die Reiner an den Geburtstag seiner Mutter (Johanna Gastdorf) erinnern will. Durch diese Verwirrung geht Reiners Dasein gewissermaßen in die Verlängerung. Und da im Reich des Todes eine Reihe weiterer Regeln für solche Missgeschicke gelten, entwickelt sich aus dem einfachen Vollzug ein Road Movie quer durch die Republik.
Für alle eine Win-Win-Situation
Die neue Konstellation ist für fast alle Beteiligten eine Win-Win-Situation: Reiner bekommt etwas Zeit, um einige Dinge in seinem Leben zu klären und ein paar Missverständnisse klarzustellen. Die Ex-Freundin und die Mutter Lore gewinnen Zeit, um von Reiner Abschied zu nehmen. Und Reiners Sohn aus einer früheren Beziehung erlebt eine letzte Begegnung mit dem bislang eher „unsichtbaren“ Vater. Und auch Tod Morten eröffnet sein Versagen die Möglichkeit, mehr Zeit mit den Menschen zu verbringen und ihre seltsamen Gebräuche näher kennenzulernen. Alkohol ist lecker, Kaffee aber eher nicht.
Für Aufregung sorgt Mortens Versagen allein im Reich des Todes, wo ein ausbleibender Vollzug den Betrieb stört. Schließlich muss der Chef (Josef Ostendorf) höchstpersönlich nach dem Rechten sehen, der ansonsten lieber im Hintergrund agiert und Michaela machen lässt. Nicht zu vergessen: der Ehrgeizling Morck Mortus (Carlo Ljubek), der eine alternative Ethik zu Morten verfolgt und dem Tod gerne mehr Schrecken verleihen würde. Morck Mortus sieht in Reiner eine vorzügliche Gelegenheit, ein Exempel zu statuieren. So fügt sich eins zum anderen.
Am Wegesrand hat der Regisseur noch einen Platz für sich selbst als Darsteller eines grantig-wortkargen Herbergsvaters gefunden, und auch Rocko Schamoni bekommt als verliebter Nachbar der Mutter einen Kurzauftritt.
Kühne Offenheit fürs Schrullige
Im Gegensatz zur Einfallsverliebtheit und Sprücheklopferei der literarischen Vorlage ist es Charly Hübner, der Drehbuchautorin Lena May Graf und dem vorzüglichen Ensemble trotz oder dank der kühnen Offenheit fürs Schrullige und der unsentimentalen Verspieltheit gelungen, eine dem Thema angemessene Tiefe des Außeralltäglichen zu verleihen. „Sophia, der Tod und ich“ bewegt sich zwar, wie Morten es einmal formuliert, im „Alles-Egal-Arreal“, aber wie man es auch dreht oder wendet, am Ende ist diese Reise einfach „scheißtraurig“ (Reiner).