Das Licht in den Birkenwäldern
Drama | Ungarn/Lettland/Frankreich/Deutschland 2020 | 96 Minuten
Regie: Dénes Nagy
Filmdaten
- Originaltitel
- TERMÉSZETES FÉNY
- Produktionsland
- Ungarn/Lettland/Frankreich/Deutschland
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Campfilm/Mistrus Media/Lilith Film/Propellerfilm/Proton Cinema/ZDF/arte
- Regie
- Dénes Nagy
- Buch
- Dénes Nagy
- Kamera
- Tamás Dobos
- Musik
- Santa Ratniece
- Schnitt
- Nicolas Rumpl
- Darsteller
- Ferenc Szabó (Semetka) · Tamás Garbacz (Szrnka) · László Bajkó (Koleszár) · Gyula Franczia (Major) · Anastasija Jegorowa (Alina)
- Länge
- 96 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama | Kriegsfilm | Literaturverfilmung
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Kriegsdrama um einen ungarischen Gefreiten, der 1943 mit seiner Einheit im Auftrag der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion Partisanen aufspüren soll und bei der Besetzung eines Dorfes in einen Gewissenskonflikt gerät.
Unter den Bedingungen des Krieges gibt es keine harmlosen Bewegungen. Das Floß, das im Winter 1943 über den breiten Fluss gleitet, hat diese Tour mit Sicherheit schon etliche Male zurückgelegt, doch in diesen Zeiten birgt jeder Wechsel eines Standorts Risiken. Die beiden Männer können so leise sein, wie sie wollen, sie werden doch schließlich vom Ufer aus entdeckt und mit einem Befehl zum Anlegen gezwungen. Der Trupp Soldaten, der sich dem Floß nähert, ergreift alsdann die Gelegenheit und häutet und zerschneidet den toten Elch, den die Flößer transportiert haben, in kleine Stücke, bis nur noch das Skelett übrig ist. Kein Wort fällt in diesem Moment, doch die Fronten steckt „Das Licht in den Birkenwäldern“ bereits mit diesem Beginn ab: Hier die Ausgeplünderten ohne reelle Chance auf Gegenwehr, dort die aus Ungarn stammenden Soldaten, die zwar durch ihre Waffen für den Augenblick die Oberhand haben, aber psychisch nicht weniger am Ende wirken als die gebeutelten Einwohner der besetzten Sowjetunion.
Aufgerieben durch die Absurdität des Krieges
Der ungarische Filmemacher Dénes Nagy greift in seinem Spielfilm-Debüt einen wenig bekannten Aspekt des Zweiten Weltkriegs auf. Eine Texttafel vor Beginn des Films klärt darüber auf, dass von 1941 bis 1944 die deutsche Wehrmacht in der Sowjetunion von 100.000 Soldaten aus Ungarn unterstützt wurde. Im Zentrum von „Das Licht in den Birkenwäldern“ steht eine der Einheiten, die Partisanen und deren Helfer in den verstreuten Dörfern aufspüren sollen. Nagy zeigt ihr Vorgehen als eine routinierte Aktion des gewaltsamen Eindringens in ein Dorf, wo die Bewohner aus ihren Häusern geholt, aufgereiht und angeschnauzt werden. Die Kamera von Tamás Dobos nimmt den Blick der Befrager auf und gleitet über die Gesichter der Bauern, um hinter deren verängstigtem Ausdruck die Wahrheit über die Partisanen-Gefahr zu erraten.
Aber auch die verdreckten, abgezehrten und müden Gesichter der Ungarn rücken ins Bild. Männer, die kaum weniger verunsichert wirken als die Menschen ihnen gegenüber. Zwar nutzen einige der Vorgesetzten ihre Position auch aus, sichern sich den Löwenanteil der kargen Vorräte im Dorf und demütigen einen jungen Mann, nachdem er versucht hat, Kartoffeln beiseitezuschaffen.
Wenig Spielraum für Deeskalation
Doch mit dem Gefreiten Istvan Semetka tritt nun eine Figur in den Fokus des Films, die einen Weg der Deeskalation und Milde einschlägt: An den Übergriffen seiner Befehlshaber beteiligt er sich nicht, stattdessen sucht er nach Kooperation mit den Dorfbewohnern; auch die Bestrafung zweier säumiger Wachen führt er zwar befehlsgemäß aus, hält dabei aber ihr Leiden so gering wie möglich. Als der Trupp schließlich weiterzieht und im nächtlichen Wald von den Partisanen angegriffen wird, sterben etliche der Soldaten, und Semetka ist mit einem Mal der Ranghöchste.
Doch mehr als Gesten des Mitgefühls kann er den Menschen aus dem Dorf nicht erweisen, die nach der Attacke dem Vergeltungstrieb der Besatzer ausgeliefert sind. Dass die Partisanen mittlerweile auch den Dorfvorstand als „Verräter“ getötet haben, hält die Ungarn nicht davon ab, jeden weiteren Widerstandsgeist eisern unterdrücken zu wollen.
Eine ungeschminkte Kriegsdarstellung
Dénes Nagy inszeniert konzentriert und ruhig, ganz den sich vorsichtig vortastenden Figuren angeglichen, wobei er zwischen Totalen der Landschaft und hautengen Nahaufnahmen wechselt. Sein Ansatz ist naturalistisch, insbesondere in der Farbpalette des Films, der sich in den braunen, grünen und grauen Tönen von Wäldern, Erde und Schlamm entfaltet und selbst in den Nachtszenen auf künstliches Licht verzichtet. Die daraus resultierenden visuellen Orientierungsprobleme für den Zuschauer nimmt der Film, dem es auf eine ungeschminkte Kriegsdarstellung ankommt, in Kauf.
In der Wahl seiner formalen Mittel folgt der Ungar Vorbildern wie Elem Klimows „Komm und sieh“ oder Sergej Loznitsas „Im Nebel“, beides ebenfalls Filme über das brutale Vorgehen gegen die sowjetische Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg, die allerdings aus der Opferperspektive erzählt waren. In „Das Licht in den Birkenwäldern“ stehen hingegen nicht nur die Ungarn als Kriegsführende (und Kriegsverbrecher) im Fokus, sie agieren auch fast durchweg autonom von der Wehrmacht. Was die Männer dabei im Einzelnen antreibt oder innerlich aufwühlt, belässt der Film im Dunkeln, da in den ohnehin kargen Dialogen jede Reflexion der historischen Zusammenhänge unterbleibt; ohne die knappe anfängliche Erklärung wäre man als Zuschauer ganz auf Vorwissen angewiesen. Zumal auch die Charaktere überwiegend nur skizziert werden und selbst über den Protagonisten nur wenige Details zu erfahren sind.
Über den kurzen Weg des Menschen zur Grausamkeit
Damit entgeht Nagy in seinem stilistisch konsequenten Film nicht völlig der Gefahr, die spezifischen Umstände hinter dem Handeln der Figuren zu verschleiern und zu Gunsten einer etwas vagen Lektion über den kurzen Weg des Menschen zur Grausamkeit zu verdrängen. Auch ist er in seiner distanzierten Haltung von weniger erschütternder Wucht als etwa Klimows und Loznitsas Filme oder auch schon Andrej Tarkowskis „Iwans Kindheit“. Allerdings setzt sich der ungarische Regisseur über seine Hauptfigur auch von solchen Vergleichsgrößen ab. Istvan Semetka agiert zwar sparsam und ohne dass er Befehlen allzu offen zuwiderhandelt, doch an seinem Schmerz über die Gräueltaten und seiner Ablehnung der Gewalt kann kein Zweifel bestehen. Damit sendet Nagy ein unverkennbares Signal sowohl gegen weltanschaulichen Pessimismus als auch gegen jede Beschwichtigung inhumanen Verhaltens im Krieg. „Das Licht in den Birkenwäldern“ erzählt zwar vom Abbau von Mitmenschlichkeit, behält die Verantwortung jedes Einzelnen für Humanität aber stets im Blick.