Homo Communis - Wir für Alle
Dokumentarfilm | Deutschland 2020 | 97 Minuten
Regie: Carmen Eckhardt
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- SeeMoreFilm Filmprod.
- Regie
- Carmen Eckhardt
- Buch
- Carmen Eckhardt
- Kamera
- Gerardo Milsztein
- Musik
- Konstantin Wecker · Bernd Keul
- Schnitt
- Martin Hoffmann
- Länge
- 97 Minuten
- Kinostart
- 08.07.2021
- Fsk
- ab 0
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 12.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein Dokumentarfilm über den Menschen als soziales Wesen: Vorgestellt werden verschiedene Formen eines solidarischen Miteinanders als Gegengewicht zu individuellem Wohlstandsstreben und Konkurrenzdruck
Die Kooperative Cecosesola in Venezuela existiert bereits seit 50 Jahren und startete als Bestattungsservice. Mitglieder konnten für einen kleinen Beitrag gemeinsam vorsorgen, um für sich und ihre Familienangehörigen ein würdevolles und bezahlbares Begräbnis zu erhalten. Heute hat die Initiative mehr als 20.000 Mitglieder und engagiert sich zusätzlich in weiteren Bereichen wie im Gesundheitswesen, im Anbau von Feldfrüchten und in der Versorgung mit Lebensmitteln. Nachdem die staatlichen Systeme in Venezuela kollabiert sind, hat sich Cecosesola nicht nur gehalten, sondern wurde und wird immer bedeutender. Kein Staat im Staat, sondern eine basisdemokratische Organisation, die tatsächlich funktioniert. Gleich zu Beginn ihres Films zeigt Carmen Eckhardt exemplarisch ein Gesundheitszentrum der Kooperative, wo Schwangere und Väter gemeinsam an Kursen zur Geburtsvorbereitung teilnehmen. Das ausführliche Porträt von Cecosesola teilt Carmen Eckhardt in viele kleine überschaubare Häppchen mit unterschiedlichen Inhalten auf, die sich als Roter Faden durch den Film ziehen und sowohl inhaltlich als auch formal den Ablauf strukturieren.
Kleine Utopias
Ergänzend werden zahlreiche weitere, großteils im deutschsprachigen Raum angesiedelte Initiativen vorgestellt, die sich mehr oder weniger ideologisch untermauert dem solidarischen Gemeinschaftsleben verschrieben haben. Dazu gehört ein Lernbauernhof bei Dortmund. Nicht nur Kinder lernen hier den Anbau von Gemüse kennen und üben sich in Teamwork. Die „Utopiastadt“ in Wuppertal bietet ebenfalls kommunikative Gestaltungsmöglichkeiten für alle, die sich mit ihren Ideen und mit ihrer Kreativität einbringen wollen, um einen alten Bahnhof mit neuem Leben zu füllen. Hier treffen sich Alt und Jung und entwickeln gemeinschaftlich neue Perspektiven für Arbeit, Freizeit und Wohnen bis hin zur Stadtentwicklung. Ein Beispiel für die Zukunft der Städte?
Aktivistinnen und Aktivisten aus dem Hambacher Forst und aus dem Umfeld der Initiative „Ende Gelände“ sind ebenfalls Teil des Films. Einer von ihnen ist Clumsy, ein junger Mann, der schon früh wusste, dass er im bestehenden Gesellschaftssystem nicht glücklich werden könnte. Im Hambacher Forst hat er einen Ort gefunden, wo er gemeinsam mit anderen an der Veränderung der Gesellschaft mitwirken kann – mit friedlichen, aber nicht immer legalen Mitteln. Auch Greta Thunberg schaut mal vorbei im Hambacher Forst, sie ist in Eile. Sie solle sich nicht abhetzen, meint Clumsy und lädt sie auf einen Urlaub in die Baumhäuser ein, zu denen sie sich – eher skeptisch – in der Seilkonstruktion hochziehen lässt.
Das Prinzip der „Gemeinwohlökonomie“
Gegen die übrigen Initiativen wirkt „Ende Gelände“ beinahe wie eine große Kindergeburtstagsparty. Da treffen sich junge Leute in farbenfrohen Gewändern und fantasievollen Masken, die sich freudvoll mit Farbe bepinseln, um gegen Atomkraft und Kohlebergbau zu demonstrieren.
Zwischendurch geht es um grundlegende Aspekte gesellschaftsverändernder Maßnahmen. Das Prinzip der „Gemeinwohlökonomie“ im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik ist auch für Unternehmen machbar – dies zeigt das Beispiel von Prior1, einem StartUp aus der IT-Branche. Nach innen und außen wird hier Nachhaltigkeit praktiziert, die sich sowohl auf das unternehmerische Handeln als auch auf die respektvolle Zusammenarbeit miteinander auswirkt. Die Initiative „Denk Netz“ veranstaltet international besetzte Treffen, bei denen die praktische Umsetzung notwendiger gesellschaftlicher Veränderungen auf eine gemeinsame theoretische Basis gestellt werden soll. Die These vom Versagen des Patriarchats im Zusammenhang mit dem Scheitern Kapitalismus führt notwendigerweise zu einer Neuinterpretation der Gedanken von Marx, Engels und Lenin. Doch „Homo communis“ handelt nicht vom Kommunismus oder von Ideologien – es geht um konkrete Lebensmodelle für die Zukunft.
Wie wollen wir leben, wie wollen wir sterben?
Carmen Eckhardt zeigt auf, sie bewertet und kommentiert nicht und verwendet lediglich sparsame Inserts, um Schauplatzwechsel zu dokumentieren. Ihr Film, der Mittel des direct cinema mit Elementen der Reportage verbindet, lebt von den vielen einzelnen Facetten, die erst am Ende ein Gesamtbild ergeben, mit dem sich ein Kreis schließt: Zu Beginn geht es um die Geburt, am Ende um den Tod – eine alte Frau liegt im Sterben und wird von dem ambulanten Hospizdienst „Odilie“ betreut. Wie also wollen wir leben, wie wollen wir sterben? Daraus ergeben sich Fragen, die moralisch-ethische Grundsätze ebenso behandeln wie die Problematik, ob sich grundsätzliche gesellschaftliche Veränderungen nur durch wirtschaftlichen Druck bewerkstelligen lassen. Also kurz: Sind wir vielleicht zu wohlhabend und zu bequem, um tatsächlich selbst etwas zu verändern?
Die meisten Initiativen werden mehrmals und in kurzen Clips vorgestellt. Das Tempo variiert dabei zwischen gemächlich und flott, was durchaus für Abwechslung sorgt und, wie beabsichtigt, einen interessanteren dramaturgischen Rahmen schafft. Das Hauptgewicht liegt dabei auf Cecosesola, vielleicht auch deshalb, weil sich das Projekt in seiner Vielfalt und durch seine langjährige Erfolgsgeschichte deutlich von den anderen abhebt. Als ProtagonistInnen hat Carmen Eckhardt durchweg sympathische Persönlichkeiten gefunden, die von ihrer Arbeit erzählen und von den Utopien, die sie leben. Die venezolanischen Hauptakteurinnen und -akteure beeindrucken dabei mit einer generell pragmatischen Grundeinstellung, ebenso das junge Bauernpärchen vom Hofprojekt Klümper Heide bei Dortmund, das so viel Ruhe und Zufriedenheit vermittelt, wie es vielleicht nur möglich ist, wenn man rund um die Uhr mit der Natur zu tun hat. Die beiden haben den Entschluss gefasst, wie sie leben wollen: in einer solidarischen Gemeinschaft. Und das scheint sie glücklich zu machen. Wohin der Weg für alle anderen führt, das hängt letztlich von jedem Einzelnen ab.