Malcolm & Marie
Drama | USA 2021 | 106 Minuten
Regie: Sam Levinson
Filmdaten
- Originaltitel
- MALCOLM & MARIE
- Produktionsland
- USA
- Produktionsjahr
- 2021
- Produktionsfirma
- Little Lamb/The Reasonable Bunch
- Regie
- Sam Levinson
- Buch
- Sam Levinson
- Kamera
- Marcell Rév
- Musik
- Labrinth
- Schnitt
- Julio Perez IV
- Darsteller
- Zendaya (Marie) · John David Washington (Malcolm)
- Länge
- 106 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
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Ein in Schwarz-weiß auf 35mm gedrehtes Kammerspiel um einen Filmemacher und seine Freundin, die sich einen erbitterten Streit über seine Arbeit, das Filmbusiness und ihre Beziehung liefern.
Der Regisseur Malcolm (John David Washington) ist euphorisch, denn die Premiere seines ersten Films war ein Triumph. Zurück in seiner Wohnung genehmigt er sich einen Drink und wartet darauf, dass seine Freundin Marie (Zendaya) aus dem Nebenraum kommt, um mit ihm zu feiern. Er legt Musik von James Brown auf und tanzt durch alle Zimmer. Die Kamera beobachtet ihn mit etwas Abstand, schaut durch die Glasfront des Luxusbungalows und folgt ihm in einer fließenden Fahrt durchs ganze Haus. „Ich habe einen Film gemacht, der das Publikum verdammt nochmal weggeblasen hat!“, jubelt er brusttrommelnd.
Marie kommt dazu, steht in der offenen Gartentür und zündet sich eine Zigarette an. Wie eine Diva aus dem alten Hollywood ist sie hereingeschwebt, schimmerndes Kleid, wallende Haare. Sie ist verärgert, und schnell wird der Grund dafür klar: Malcolm hat sie bei der Premiere in seiner Ansprache vergessen – er habe sich bei wirklich allen bedankt, sogar beim Platzanweiser, doch nicht bei ihr, die ihn durch den ganzen Schaffensprozess begleitet habe.
Der zentrale Konflikt liegt in „Malcolm & Marie“ von Sam Levinson schnell auf dem Tisch. Levinson wurde mit seinem Debütfilm „Assasination Nation“ (2018) in Sundance zum Star und landete 2019 mit der ersten Staffel der Serie „Euphoria“ einen Hit. Die Prämisse des Films ist autobiografisch, Levinson vergaß bei der Sundance-Premiere von „Assasination Nation“ tatsächlich, sich bei seiner Frau zu bedanken.
Sarkastische Seitenhiebe aufs Filmbusiness
Daraus entwickelte er während des ersten Corona-Lockdowns im Sommer 2020 das Drehbuch zu „Malcolm & Marie“. Die Nachricht vom ersten Corona-konformen Dreh im abgeschiedenen Bungalow an der kalifornischen Küste schlug einige Wellen, der schnelle Verkauf des Films an Netflix trieb die Erwartungen nach oben. Der Trailer kündigte dann selbstbewusst das neue Werk eines „visionären Filmemachers“ an – was fast etwas ironisch wirkt angesichts der Tatsache, dass „Malcolm & Marie“ in weiten Teilen darum kreist, wie sehr der Regisseur von sich eingenommen ist.
Der Film trägt seine Selbstreflexivität von Anfang an zur Schau, kommentiert immer wieder das Filmbusiness und bringt es mit der historischen Entwicklung des Hollywood-Kinos in Verbindung. In einem pointierten Monolog voller Sarkasmus macht Malcolm sich etwa über all die ausschließlich weißen Kritiker lustig, die ihn auf der Premierenfeier umringten. Wie sehr sie sich anbiederten, wie „woke“ sie wirken wollten, ihn wahlweise als zweiten Spike Lee, John Singleton oder Barry Jenkins bezeichneten und er sich fragte, wieso er als Afroamerikaner nicht mit William Wyler verglichen werde, also einem der Großen der goldenen Hollywood-Ära.
Was ist authentisch?
Malcom beantwortet seine rhetorische Frage selbst: weil Black Cinema automatisch politisch gelesen wird. Der schmale Grat, auf dem Kreative wie Malcolm balancieren müssen, weil sie keine weißen Männer sind, wird immer wieder zum Thema. Entweder erzählen sie ihre eigene Geschichte und von ihrer Perspektive auf die Welt, die aufgrund von Diskriminierungserfahrungen meist eine politische Dimension umfasst; oder sie wandeln auf den ausgetretenen Pfaden eben jener weißen Männer und laufen Gefahr, als rückgratlose Trittbrettfahrer zu gelten.
Für Malcolm wird dies unmerklich auch zu einem Balanceakt zwischen durchsetzungsstarkem Selbstbewusstsein und heilloser Selbstüberschätzung. Diese selbstreflexiven und selbstoffenbarenden Schleifen verbindet Levinson mit dem persönlichen Konflikt zwischen Malcolm und Marie. Seine Lebensgefährtin wirft ihm nämlich vor, dass er sein Drehbuch auf ihrer Drogenvergangenheit aufgebaut und sie damit auf mehreren Ebenen ausgebeutet habe. Persönliches, Karriereentscheidungen und Künstlerisches überlagern sich in den gegenseitigen Beleidigungen und kreisen um die Frage der Authentizität – für Marie das Zentrum jedes künstlerischen Ausdrucks und jeder zwischenmenschlichen Beziehung, für Malcolm hingegen nichts als eine leere Worthülse. Den Vorwurf, er als Mann könne keine authentische Frauenfigur schreiben, fegt er entsprechend beleidigt vom Tisch.
Scharniere und Schwachstellen einer Beziehung
In mehreren Runden feinden sich die beiden regelrecht an, versöhnen sich kurz, um durchzuschnaufen und dann doch wieder eine neue Kreisbewegung zu vollziehen. Diese beinahe forensische Analyse der Scharniere und Schwachstellen ihrer Beziehung gelingt Levinson eindringlich. Die beiden wissen genau, wie sie das Gegenüber besonders hart treffen und verletzen können, aber auch, mit welchen Worten und Gesten sie zurückrudern müssen. Dieses Hin und Her ist wie ein Kampf choreografiert und durchinszeniert. Als Versuchsanordnung funktioniert das über weite Strecken, vor allem weil John David Washington und Zendaya sich ihren Rollen schutzlos hingeben. Das schlägt bei Zendaya zwar immer wieder in emotionales Overacting um, bleibt aber vor allem im bösartigen Geschrei der Streitszenen mitreißend.
Die Frage der Authentizität hängt also auch über dieser zwischenmenschlichen Krise. Die beiden umschleichen einander wie zwei Raubkatzen, spielen sich etwas vor und beobachten sich auch in den Pausen durch die Glasfront des Bungalows. Dessen breitformatige Fenster werden zu ihren persönlichen Kinoleinwänden, reflektieren die Rollen, die sie privat und beruflich einnehmen.
Eine Perfektion, die Distanz schafft
Auf analogem Schwarz-weiß-Material von Kameramann Marcell Rév in fließenden Bildern gedreht, evoziert dieses glamouröse Paar das glitzernde Old Hollywood. Er wollte den unterrepräsentierten afroamerikanischen Darstellern und Darstellerinnen dieser Zeit nachträglich etwas zurückgeben, so Sam Levinson – ein edles Anliegen. Die Kamerafahrten entlang der gesamten Hausfront und die intimen Einstellungen zwischen den Eskalationen verbinden moderne Sehgewohnheiten mit der klassischen Schwarz-weiß-Ästhetik. Merkwürdigerweise geht diese Kombination emotional nicht ganz auf, denn alles scheint zu perfekt und zu glatt und erinnert beinahe an hochglänzende Parfüm- oder Kosmetikwerbespots. Außerdem sind die durchaus poetischen Dialoge etwas zu geschliffen und erzeugen trotz der tiefgehenden Argumentationen eine emotionale Distanz zu den Figuren; bisweilen wirkt dies so, als rezitierten die beiden zwei verschiedene Manifeste, nicht ihre inneren Empfindungen und Bedürfnisse.
Sam Levinson will mit „Malcolm & Marie“ ein wenig zu krampfhaft den Beweis antreten, dass er als weißer Filmemacher durchaus in der Lage ist, Rollen zu schreiben, die nicht seiner Lebenserfahrung entsprechen – in diesem Fall für ein schwarzes Paar. Auf intellektueller Ebene mag dieser Versuch stimulierend und die an Filmjournalisten und der Filmindustrie geübte Kritik wichtig und berechtigt sein, doch der beständig selbstreflexive Blick verwandelt sich dabei in ein selbstbewusstes Schulterklopfen, das die Intimität dieses Kammerspiels bisweilen überlagert.