Negative Numbers
Drama | Georgien/Frankreich/Italien 2019 | 110 Minuten
Regie: Uta Beria
Filmdaten
- Originaltitel
- NEGATIVE NUMBERS
- Produktionsland
- Georgien/Frankreich/Italien
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Magnet Films/Alief/39 Films/Wide Management
- Regie
- Uta Beria
- Buch
- Uta Beria
- Kamera
- Tato Kotetishvili
- Schnitt
- Alexander Kuranov · Nodar Nosadse
- Darsteller
- Sandro Kalandadze (Nika) · Viktor Barbakadze (Zuka) · Tedo Bekhauri (Mate) · Lexo Gugava · Sandro Abashidze (Gabelaia)
- Länge
- 110 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Zurückgenommenes Drama über die Insassen einer georgischen Jugendhaftanstalt, die über den Rugby-Sport entdecken, dass es nicht immer nur auf Gewalt und Unterwerfung, sondern auch auf Koordination und Verlässlichkeit ankommt.
Während der Mathematikstunde in einer Jugendhaftanstalt im georgischen Tiflis scheitert der hitzköpfige Nika an einer einfachen Rechenaufgabe. Er ist auf die Nachhilfe des kleinen Dachi angewiesen, damit er vor den anderen sein Gesicht nicht verliert. Um die Dynamik von negativen Zahlen anschaulich zu machen, zieht Dachi ein Vergleich heran: Sie seien wie Schulden, die man eintreiben kann, und können auch eingesetzt werden, ohne dass sie existieren.
Gefangen in maskuliner Hackordnung
Das entspricht einer Logik, die nicht nur Nika auf Anhieb versteht, der aus Loyalität zu seinem älteren Bruder an dessen Stelle eine Haftstrafe angetreten hat. Alle Jungen und Männer, egal ob Häftlinge oder Aufsichtspersonen, stehen in schwer greifbaren Abhängigkeitsverhältnissen. Die Unterwerfung unter die maskuline Hackordnung wird einerseits durch eine Clan-Mentalität beschworen. Aufrechterhalten wird sie jedoch durch die Unvorhersehbarkeit der Korruption. So hören die Wärter Nikas Telefongespräche mit, intervenieren jedoch nicht, obwohl sein Bruder ihn zu kriminellen Handlungen mit politischem Hintergrund anstiftet. Sie erpressen ihn bei Gelegenheit lieber, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen.
Regisseur Uta Beria entwirft in seinem Langfilmdebüt ein Panorama des Haftalltages während der schweren Wirtschaftskrise in Georgien während der Jahrtausendwende. Zugleich analysiert er aber auch die postsowjetischen Zustände, die sich von mafiösen und tribalistischen Strukturen kaum trennen lassen und zur Gewalt und Perspektivlosigkeit des Landes beigetragen haben. So werden Nikas Loyalitätsgefühle für seinen Bruder genutzt, um für ihn einen Aufstand zu organisieren, der zeitgleich in allen Gefängnissen des Landes losbrechen und einen Umsturz bewirken soll. Um die Mitinsassen dafür auf Linie zu bringen, setzt Nika seinerseits auf Gewalt, Erpressung und machistische Gesten.
Das Blatt wendet sich, als zwei Rugby-Trainer für die jungen Männer engagiert werden. Zunächst stößt das Sportangebot auf Hohn und Misstrauen. Doch die Faszination am Spiel lockt die jungen Straftäter bald auf das erdige Feld im Innenhof, auf dem sie sich wie ein Rudel unkoordiniert auf den begehrten Ball stürzen.
Zunächst regelt Nika den Zugang zum Trainingsplatz, um seine Machtposition zu behaupten. Doch als der kleine Dachi durch seinen fortwährenden Ausschluss aus der Gruppe schließlich den Lebenswillen verliert und sich das Leben nimmt, beginnt Nika sich mit den Folgen seines Handelns zu konfrontieren.
Ein beinahe dokumentarischer Zugang
Die Inszenierung wählt einen zurückgenommenen, beinahe dokumentarischen Zugang für ein Porträt, das auf Dramatisierungen verzichtet, um die Charaktere nicht der Überzeichnung preiszugeben. Die Hypermaskulinität, die in der Gruppendynamik lautstark und aggressiv hervorbricht, lässt auch bei den Zuschauern den Stress erfahrbar werden, der davon ausgeht. Der vielbeschworene Zusammenhalt der Bruderhorde ist in Wirklichkeit permanent von der Angst des Verrats durchsetzt. Hinter jeder Ecke lauert ein Konkurrent, der nicht nur die Position streitig machen kann, sondern auch mit der eigenen Ersetzbarkeit und Wertlosigkeit konfrontiert.
Das beeindruckende Spiel des jungen georgischen Ensembles macht die destruktiven Dynamiken des Männerbündischen nicht nur während des Rugby-Trainings anschaulich. Im Zentrum des Films steht jedoch ein Verwandlungsprozess von einer Gruppenlogik in eine andere: von einem Gewaltzusammenhang, der auf Führung und Unterwerfung beruht, hin zu einem Selbstverständnis als einer Gruppe, die den Sinn des Mannschaftssports für sich entdeckt und damit ein Ziel, das außerhalb ihrer selbst liegt. Ähnlich wie die Mathematik braucht es für das Zusammenspiel des Sportteams eine Fähigkeit zum symbolischen Austausch; die Koordination von Spielzügen benötigt zudem eine Verlässlichkeit der einzelnen Akteure.
Rugby setzt eine andere Dynamik frei
Uta Beria interessiert sich für die Möglichkeiten von Freiheit und Subjektivität hinter Gittern und zeigt, dass das eigentliche Gefängnis der jungen Männer in den Strukturen ihres eigenen Denkens und Handelns liegt. Als sich das durch den gemeinsamen Sport zu verändern beginnt, gleitet der Film nicht ins Pädagogische ab, sondern beobachtet sorgfältig die aufkommenden Zweifel und Reflexionen der jungen Männer, die immer stärker an der Sinnlosigkeit der negativen Gruppendynamik leiden.
Auch die positiven Rollenbilder der beiden Trainer, auf deren Memoiren „Negative Numbers“ beruht, spielen dabei eine wichtige Rolle. Als einer von ihnen sich zu Beginn hinkniet, um Nika den offenen Schnürsenkel zuzubinden, schreckt der vor dieser Geste väterlicher Fürsorglichkeit zurück, da sie in seinem Leben bislang anscheinend nicht vorkam. Später sieht man ihn nachts im heimlichen Rückzug auf das Gebäudedach das erste Mal getrennt von der Gruppe auf der Suche nach der Möglichkeit, nur mit sich zu sein. Im Arbeitszusammenhang der Mannschaft wird etwas Neues deutlich: dass keiner verzichtbar ist und der Einzelne somit einen unveräußerlichen Wert innehat.