Drama | Großbritannien 2019 | 173 Minuten

Regie: Nick Murphy

Als Dreiteiler verfilmtes Fantasy-Drama um einen aufs Geld versessenen Griesgram, der durch die Geister der Weihnacht geläutert wird. Die von Charles Dickens verfasste Weihnachtserzählung wird ein Stück weit grimmiger und drastischer als üblich inszeniert, ohne dabei das Fantastische des Sujets zu vernachlässigen. Durch die ausnehmend kritische Betrachtung eines ausschließlich durch Kalkül und Gewinnstreben geleiteten Menschen, der aus Ignoranz über Leichen geht, richtet sich die Miniserie eher an eine erwachsene Zielgruppe. Neben aller Gesellschaftskritik unterhält die audiovisuelle Achterbahnfahrt aber auch emotional auf höchstem Niveau. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
A CHRISTMAS CAROL
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
Frith Street Films
Regie
Nick Murphy
Buch
Steven Knight
Kamera
Si Bell
Musik
Volker Bertelmann · Dustin O'Halloran
Darsteller
Guy Pearce (Ebenezer Scrooge) · Joe Alwyn (Bob Cratchit) · Vinette Robinson (Mary Cratchit) · Lenny Rush (Tiny Tim) · Johnny Harris (Franklin Scrooge)
Länge
173 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama | Fantasy | Literaturverfilmung
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Ein Mehrteiler nach der Weihnachtserzählung von Charles Dickens über den Geizhals und Menschenfeind Ebenezer Scrooge als Höllenfahrt in die Abgründe des Kapitalismus.

Diskussion

Wie ist die Farbe der Weihnacht? Weiß wie Schnee? Grün wie die frisch geschlagene Tanne? Oder rot wie die Kerzen am noch nicht fertig geschmückten Baum? Für Ebenezer Scrooge (Guy Pearce) ist sie aschgrau, denn etwas anderes zu sehen hat seine verkümmerte Seele vor langer Zeit verlernt.

Es ist der Tag vor der Heiligen Nacht im Jahre 1843. London liegt im Schnee verborgen. Die Menschen hasten dick vermummt den letzten Besorgungen nach. Weihnachten liegt in der Luft. Doch in der Schreibstube von Bob Cratchit (Joe Alwyn) ist es noch düster, der Kamin raucht mit klammer Glut, die Tinte ist gefroren. Doch die letzte wärmende Hoffnung auf einen frühen Feierabend verfliegt, als ihm sein Chef Ebenezer Scrooge die Arbeit für den Tag aufträgt.

Familie? Einmal eher heimkommen zu seiner lieben Frau Mary (Vinette Robinson) und dem todkranken Tiny Tim? Pah, Weihnachten: Humbug! Seitdem Scrooge seinen Kompagnon und vielleicht einzigen Freund Jacob Marley (Stephen Graham) zu Grabe getragen hat und seine Geldgeschäfte seither alleine bewerkstelligen muss, ist er noch geiziger und misanthropischer geworden.

Er mag vieles nicht, aber diese Jahreszeit ganz besonders nicht, in der sich die Menschen für ein paar Stunden bei Braten und Geschenken wohlige Gedanken machen. Mit Anbruch der Dunkelheit verschließt Scrooge sich am liebsten in seinem Stadthaus, besessen davon, kein Brennholz oder Kerzenwachs und erst recht keine Herzenswärme zu verschwenden. Ein Herz? Viele, die ihn kennen, schwören, dass er nie eines besessen hat. Doch die täuschen sich.

Ein Weihnachtsstoff, der mit dem Grauen flirtet

„A Christmas Carol“, Mitte des 19. Jahrhunderts von Charles Dickens erdacht, ist die wohl berühmteste aller Weihnachtsgeschichten, obwohl oder vielleicht weil sie kein reiner Feel-Good-Stoff ist, sondern mit dem Unheimlichen flirtet – womit nicht nur das Übersinnliche gemeint ist, das dem Geizkragen Scrooge alsbald widerfährt, sondern auch die frühkapitalistische Unmenschlichkeit, die Dickens in Gestalt des Antihelden Scrooge mit seiner Feder traktiert.

Bis zur Kartharsis des Protagonisten dauert es in der Erzählung aber elendig lange. Zunächst muss Scrooge seine Mitmenschen durch unaussprechliche Hartherzigkeit quälen und durch die drei Geister der Weihnacht selbst belehrt und gequält werden, bis er unter Todesangst schließlich zu der Erkenntnis gelangt, was das Menschsein im Kern ausmacht.

Der insgesamt etwa drei Stunden lange Mehrteiler, mit dem der schon x-mal verfilmte Klassiker einmal mehr adaptiert wird, erspart nichts von der dunklen Seite des Stoffes – gut zwei Drittel sind das pure Grauen: entsättigte Farben, böse Fratzen, hässliche Albträume, bittere Armut, Trostlosigkeit, Schikane und Geister, die aus der Hölle zu kommen scheinen. All das, um den schlimmsten aller Menschen – und mit ihm das Publikum – wieder auf den richtigen Pfad zu führen.

Drehbuchautor Steven Knight, der schon in den Serien „Peaky Blinders“ und „Taboo“ die Brutalität des kapitalistisch-verbrecherischen Kampfes um Besitz und Macht beleuchtete, hat bei seiner Adaption der Dickens’schen Geschichte in ganz besonders dreckige Ecken geschaut und sich mit Regisseur Nick Murphy verbündet, der sich nicht scheut, die ganz große Horrorshow zu inszenieren.

Der Götze Geld steht im Vordergrund

„A Christmas Carol“ (2019) ist also keine Miniserie, die man sich mit Kindern anschauen sollte. Dabei entfaltet sich der Schrecken nicht brachial; es sind eher intellektuelle Grausamkeiten, die hier offen zutage treten, wenn die Erniedrigung des Gegenüber beiläufig in einem mathematischen Gedankenexperiment vollzogen wird. Wieviel Pfund Sterling braucht es, um die Würde einer um ihr krankes Kind besorgten Mutter zu brechen? Wie wertig sind Zinsen angesichts des Leids der sie erwirtschaftenden Arbeitskraft? Die BBC-Produktion verharmlost Scrooge nicht zum komischen Weihnachts-Miesepeter, sondern fokussiert schmerzhaft auf die Rolle des Geldes – nicht nur für Scrooge, sondern auch für die Gesellschaft, in der lebt.

So wird aus dem Stoff eine schallende Ohrfeige für ein Wirtschaftssystem, das nur Wachstumsquoten und Renditen im Blick hat und den Preis, der dafür entrichtet werden muss, viel zu oft übersieht. Es ist weniger die Gier, die hier angeprangert wird. Sondern die Ignoranz. Und die Bigotterie, die es darstellt, wenn ein solcher Menschenschlag zu Weihnachten ein wenig rührselig wird. Von daher hat Scrooge durchaus recht, wenn er an einer Stelle konstatiert: „Warum an einem Tag im Jahr so tun, als sei die Bestie Mensch nicht die Bestie Mensch?“

„A Christmas Carol“ ist dank hervorragender Darsteller und einer ungemein atmosphärischen visuellen Umsetzung eine virtuose Achterbahnfahrt in die kapitalistischen Abgründe. Mitunter erinnert die Adaption mit einer gewissen Lust am Makabren an Tim Burton, etwa wenn der „Geist der vergangenen Weihnacht“ (brillant zickig: Andy Serkis) zunächst Jacob Marley auf dem buchstäblichen Scheiterhaufen der alten Feste und Erinnerungen malträtiert, um sich dann dessen Partner Scrooge vorzunehmen. Erst ganz am Ende flackert doch noch ein wenig Weihnachtsseligkeit auf, wenn es zur Abrechnung, zur Bekehrung und zur festlichen Katharsis kommt. Was aber nicht die Schärfe mildert, mit der sich die Miniserie aus Dickens’ Zeit heraus an den Scrooge in uns allen wendet.

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