Die Uniformen drücken schwer. Klarheit und Autorität sollen sie schaffen, doch sie machen die Polizisten auch zu weithin sichtbaren Zielen. Bei Massenschlägereien müssen ihre Gegner nicht lange rätseln, wen sie angreifen wollen; beim Kontakt mit Straftätern ist zumindest der verbale Angriff kaum vermeidbar. Steckt eine Frau in der blauen Uniform, kommen fast unweigerlich sexistische Ausfälle hinzu. Und selbst im Revier, wo man unter seinesgleichen ist, bleibt der Kontakt untereinander verhalten; kaum, dass einmal ein paar Bemerkungen über die Verbrechen und belastenden Erfahrungen fallen, denen man sich täglich gemeinsam aussetzt.
In einem Pariser Polizeirevier und den Einsatzbereichen in der französischen Hauptstadt sieht es grundlegend anders aus als in der hitzigen, vor Gewaltpotenzial schwelenden Frontenbildung in den Vorstädten, wie sie zuletzt „Die Wütenden – Les Misérables“ vor Augen führte. Aber auch die Eintönigkeit des Polizistendaseins in der Provinz, von der etwa Cédric Anger in dem Gendarm-Thriller „La prochaine fois je viserai le cœur“ (2014) erzählte, liegt fern. Was der Film „Bis an die Grenze“ von Anne Fontaine in der ersten halben Stunde über den Tagesablauf der Polizisten ausbreitet, ist eine Abfolge kurzer Einsätze mit beständig wechselnden Aufgaben und Konfrontationen, fast durchweg harter, mitunter auch schockierender Art.
Etwas ist aus dem Ruder geraten
Ein wenig erinnert das an Maïwenns „Poliezei“-Film über eine mit Sexualdelikten befasste Spezialeinheit, mit dem „Bis an die Grenze“, der im Original schlicht „Police“ heißt, das Gefühl teilt, dass die Ordnungsmacht aus den Fugen geraten ist. Wo „Poliezei“ dies mit dem kindhaften Schreibfehler im Titel andeutete, erscheint der von Fontaines Film zu Beginn in spiegelverkehrten Lettern. Was hier zwischen geprügelten Frauen, totgeschlagenen Kindern und Straßenschlachten auf die Psyche der Polizisten einwirkt, lässt sich am Verhalten der drei Protagonisten erahnen: Die junge Mutter Virginie scheut sich, nach Hause zu Mann und Baby zu gehen; nach einer kopflosen Affäre mit ihrem Kollegen Aristide steht ihr zudem ein Termin für einen Schwangerschaftsabbruch bevor. Aristide gibt sich als Spaßvogel unter den Kollegen, hat aber Ängste, die ihn psychologische Hilfe suchen lassen. Und Erik ist unter den dreien der Erfahrenste, aber auch derjenige, der am wenigsten verbirgt, wie sehr ihm der Dienst zusetzt – gereizt über die schlechte Ausstattung bei der Arbeit und über die Stimmung bei sich zuhause, wo alles auf eine baldige Trennung von seiner Frau hindeutet.
Schon in diesen Szenen betont die Inszenierung die Enge der Räume, die den Druck auf die Figuren verstärkt. Diese Gedrängtheit nimmt noch zu, wenn sich das Geschehen für den größten Teil des Films in ein Polizeiauto verlagert. Virginie, Aristide und Erik übernehmen einen Spezialauftrag nach Feierabend, für den sie als Polizisten eigentlich nicht zuständig wären: Ein Flüchtling aus Tadschikistan muss zum Flughafen transportiert werden, weil er abgeschoben werden soll; die zuständige Behörde ist mit einer Brandstiftung und den Löscharbeiten im Abschiebezentrum ausgelastet und hat deshalb um Unterstützung gebeten.
Für Virginie und Erik ist der Auftrag vor allem ein guter Grund, noch nicht heimgehen zu müssen; Aristide hofft auf eine Aussprache mit Virginie. Für den Mann auf dem Rücksitz, der stumm vor sich hinstarrt und weder Französisch noch Englisch zu verstehen scheint, interessieren sie sich erst, als Virginie verbotenerweise einen Blick in seine Akte wirft. Der Bericht über Foltererfahrungen lässt sie die Frage stellen, ob ihren Gefangenen der sichere Tod erwarte, doch ihre Kollegen winken (vorerst) ab: Wer würde nicht möglichst schlimme Geschichten erzählen, um Asyl zu erhalten? Und überhaupt sei es nicht ihre Aufgabe als Polizisten, moralische Fragen zu diskutieren.
Zwischen Empathie und Legalität
Der Inszenierung kommt es aber genau auf diesen moralischen Konflikt an, über das Schicksal eines Unbekannten mitzubestimmen, indem er schlicht von einem Ort zu einem anderen transportiert wird. Die Strecke durch die nächtliche Stadt und hinaus zum Flughafen wird in „Bis an die Grenze“ daher zur Gelegenheit für einen Disput der drei, ob sie ihren Befehl ausführen oder den Tadschiken nicht vielmehr vor der Abschiebung bewahren müssten – und sei es nur, indem sie bei einer Ampel demonstrativ länger halten und ihm so die Flucht ermöglichen.
Wie viel der Mann von einem solchen Ausbruch ins Ungewisse letztlich hätte, taucht freilich sofort als Gegenargument auf, ohne dass Virginie als stärkste Fürsprecherin des Gefangenen davon abzubringen wäre. Aristide lässt sich nach anfänglichem Widerspruch allmählich auf ihre Seite ziehen, während Erik sich am längsten sträubt. Bei der Verteilung der Positionen erweist sich die Geschlechterzuschreibung als etwas altbacken: Die Frau zeigt die meiste Empathie und hält sich am wenigsten mit Analyse auf, Erik will sich in seiner männlichen Verschlossenheit nicht von Gefühlen beeinflussen lassen, Aristide navigiert dazwischen, wobei vor allem seine Affäre mit Virginie bei seinen Entscheidungen eine wichtige Rolle spielt.
Gemessen an der Zeit, die der Film dem Dilemma der drei widmet, bleiben die Argumentationen insgesamt eher auf Gemeinplätze beschränkt. Spannender ist die Beobachtung, wie seelisch angegriffene Menschen, die nichts weniger wollen als miteinander zu reden, durch die Situation dazu gezwungen werden. Mit den Schauspielern Virginie Efira, Omar Sy und Grégory Gadebois kann sich Fontaine zudem auf ein Trio verlassen, das die Anstrengungen und den Gewissenskampf der Figuren mit darstellerischer Präzision wiedergibt und damit auch die konstruierteren Drehbucheinfälle glaubhaft transportiert. Der Iraner Payman Maadi verleiht dem stillen Tadschiken als viertem Charakter eine eindrucksvolle Intensität, die seine Geschichte als Opfer des autoritären Regimes in Tadschikistan wahrscheinlich macht, leise Zweifel aber dennoch zulässt. Effektvoll ist auch die Kameraarbeit des Routiniers Yves Angelo, der den begrenzten Raum des Polizeiwagens und die nächtliche Beleuchtung nutzt, um die Figuren durchweg ins Zwielicht zu tauchen.
Schweigen ist keine Option
Das grundsätzliche Thema des Umgangs privilegierter Staaten mit Flüchtlingen streift „Bis an die Grenze“ lediglich, auch wenn es naheliegt, manche abwiegelnde Bemerkung der Polizisten über das drohende Schicksal des Mannes auch auf die Entscheidungsträger in den Behörden zu übertragen. Eine überzeugende Dringlichkeit gewinnt der ethische Konflikt jedoch durch die Frage, was dessen Auflösung mit ihrem ohnehin angeschlagenen Zustand macht. Das Wesen ihres Daseins als Polizisten erfährt darüber bei jedem eine Neuinterpretation, über die der Film dann doch den Sprung zu universalen Betrachtungen schafft. Denn auch wenn es schmerzhaft ist, führt doch kein Weg daran vorbei, die belastenden Dinge im Leben an sich herankommen zu lassen. Ewiges Schweigen ist keine Option.