Drama | Frankreich 2020 | 87 Minuten
Regie: Maïwenn
Filmdaten
- Originaltitel
- ADN
- Produktionsland
- Frankreich
- Produktionsjahr
- 2020
- Produktionsfirma
- Why Not Prod./Arte France Cinéma
- Regie
- Maïwenn
- Buch
- Maïwenn · Mathieu Demy
- Kamera
- Sylvestre Dedise · Benjamin Groussain
- Musik
- Stephen Warbeck
- Schnitt
- Laure Gardette
- Darsteller
- Maïwenn (Neige) · Fanny Ardant (Caroline) · Louis Garrel (François) · Dylan Robert (Kevin) · Marine Vacth (Lilah)
- Länge
- 87 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 14.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Autobiografisch angehauchtes Drama der Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn, in dem eine Pariserin nach dem Tod ihres algerischen Großvaters zwischen Trauer und Familienfehden ihre Wurzeln neu entdeckt.
Der algerischstämmige Großvater Emir (Omar Marwan) versteht nicht mehr viel, lallt mehr, als dass er spricht, interessiert sich aber immerhin noch ein wenig für eine seiner Mitbewohnerinnen. Er lebt in einem Pariser Pflegeheim und leidet an Demenz. Als seine Familie – Töchter, Enkel, Großenkel – vollzählig erscheint, um ihm ein selbstverlegtes Buch zu präsentieren, das eine Autorin über sein Leben erstellt hat, freut er sich, versteht aber den eigentlichen Anlass nicht.
Kurz darauf stirbt der betagte Mann mit dem bewegten Leben zwischen Algerien und Frankreich. Was sich bei dem Besuch der Sippe andeutete, bricht sich nun endgültig Bahn. In der Familie wird geschrien, gestritten, werden Türen geknallt und wegen geringster Anlässe Szenen gemacht. Selbst beim Aussuchen des Sarges, der Urne oder dem Festlegen des Beerdigungsdatums.
Narben brechen auf
Bei der multikulturellen Familie handelt es sich aber nicht nur um eine Ansammlung extrovertierter und überreagierender Individuen, sondern es steckt mehr dahinter. Narben von Verletzungen aus der Vergangenheit brechen auf, Fraktionen bilden sich; der Streit dreht sich dabei weniger um das materielle Erbe (das anscheinend auch gar nicht vorhanden ist) als vielmehr um Gefühle.
Im Zentrum des fünften Spielfilms der Französin Maïwenn als Regisseurin, für den sie auch das Drehbuch verfasst hat (mit Ko-Autor Mathieu Demy) und die Hauptrolle spielt, steht die Lieblingsenkelin des Verstorbenen: Neige (Maïwenn selbst). Eigentlich sollte sie den arabischen Namen Nedjma tragen, aber ihr französischer Vater Pierre (Alain Françon) war dagegen. Dieser entpuppt sich als wenig empathischer Zeitgenosse und lebt offenbar seit langem von Neiges vereinnahmend-theatralischer Mutter Caroline (Fanny Ardant) getrennt. Warum Neige vorrangig bei ihrem Großvater aufwuchs oder wo genau die Probleme mit ihren Eltern herrühren, wird lediglich angedeutet.
Genauso wenig erfährt man, was Neige beruflich macht, wo ihre drei Kinder leben und warum sie sich von ihrem Mann François (Louis Garrel) getrennt hat. Dieser fungiert als ihr bester Freund und Berater und steht ihr zur Seite, auch als der von ihr georderte DNA-Test nicht die Resultate zutage fördert, die Neige sich vorgestellt hatte.
Immer wenn Louis Garrel als François im Film auftaucht, macht sich Entspannung breit, denn seine Figur ist im Unterschied zu den anderen Protagonisten lustig, locker und neigt nicht zu dramatischen Ausfällen. François reißt seine Mitmenschen, vor allem Neige, aus so mancher Verstimmung und löscht das eine oder andere Feuer der Emotionen, die bei den Familienzusammenkünften auflodern. So entstehen auch komische Momente, in denen die Zuschauer aufatmen können. Auch eine absurde Szene mit Reptilien, die sich später als Traum entpuppt, ist raffiniert in den Film eingebaut und unterscheidet sich vom generellen Stil des Films, der immer mehr die inneren Kämpfe Neiges behandelt.
Zu wenig nordafrikanische Gene
Diese trauert am meisten um den Großvater, denn er war ihr offenbar Elternersatz, und so identifiziert sie sich immer mehr mit seiner Geschichte und Herkunft. Auch wenn (oder weil) Neiges DNA-Test ihr nur knapp 15 Prozent nordafrikanischer Wurzeln bescheinigt, steckt sie mitten in einer Identitätskrise. Andere Mitglieder ihrer Familie interessieren sich sehr viel weniger für ihre Wurzeln und gehen im Schmelztiegel der französischen Gesellschaft auf.
Doch für Neige beginnt nun eine Zeit der Recherche. Auf Youtube schaut sie Videos über den algerischen Unabhängigkeitskrieg oder über das Massaker von Paris im Jahr 1961 an, bei dem Hunderte friedlich demonstrierende Algerier von der französischen Polizei brutal getötet wurden. So vermittelt die Regisseurin dunkle Seiten französischer Geschichte, die lange totgeschwiegen wurden und erst langsam aufgearbeitet werden.
Gleichzeitig beleuchtet sie die Sehnsucht ihrer Hauptfigur nach einer Familienvergangenheit, die sie selbst nicht erlebt hat, nun aber nachholen will. „DNA“ ist ein Film, der sich mit der Diversität im modernen Frankreich beschäftigt, wo ursprüngliche oder französisierte Namen eine Bedeutung haben und auf ihre Träger wirken. Auch Äußerlichkeiten erhalten eine Wichtigkeit. So hat Neige blaue Augen, versteckt diese aber hinter braunen Kontaktlinsen (ein Motiv, das Maïwenn als Schauspielerin auch in den Film „Neneh Superstar“ eingebracht hat) und läuft zu Anfang des Films wie eine maghrebinisch angehauchte Amy Winehouse herum (was ihr ein Familienmitglied auch vorwirft).
Die Facetten des kulturellen Erbes
Auf diese Weise spielt „DNA“ auf die Bereitschaft oder die Weigerung der Kinder und Enkel von Migranten an, sich mit den unterschiedlichen Facetten ihres kulturellen Erbes auseinanderzusetzen. Dass Neige sich dieses Erbe mitten in ihrer Trauer so zu Herzen nimmt, dass ihre Gesundheit gefährdet wird, ist eine dramatische Zuspitzung, die nicht immer gelingt. So sieht man Neige etliche Minuten beim Leiden zu, wie sie sich am Mahnmal für die ermordeten Algerier auf einer Pariser Brücke krümmt, das Essen verweigert und verloren durch das nächtliche Paris streift. Das wirkt zuweilen überdeutlich und in der Konzentration auf die Protagonistin auch eitel. Dennoch hat die Identitätssuche von Neige ein eher versöhnliches Ende und zeigt ihr eine neue Perspektive auf.