Die amerikanische Vorstadt der 1950er-Jahre wirkt wie eine heile Welt. Der Zweite Weltkrieg ist lange genug vorbei und in der Siedlung mit den gepflegten Häusern und dem kurz gemähten Rasen herrscht behaglicher Friede. Große Limousinen fahren durch die Straßen, die Männer arbeiten in der nahe gelegenen Chemiefabrik und die Frauen kümmern sich um ihre Kinder und die gemeinsamen Aktivitäten der Familien. Hier mag man seine Nachbarn und es gibt keine Probleme. Dann plötzlich wirkt die Idylle trügerisch, es wird viel und fast mit einer besessenen Hast geraucht und mitunter wirkt dann die ganze routinierte Freundlichkeit der Mittelschicht verkrampft, fast zwanghaft.
Aber Maja fühlt sich hier eigentlich sehr wohl, ist sie doch ganz anderen Verhältnissen entronnen. Die Nachbarn wissen, dass die junge Frau eigentlich aus Europa kommt. In Griechenland hat die gebürtige Rumänin ihren Ehemann, den Arzt Lewis, kennengelernt und der hat sie mitgenommen in die Staaten.
Die allerschlimmsten Erinnerungen
Eines Tages, als Maja gerade mit ihrem Sohn spazieren geht, hört sie einem Pfiff, sieht einen Mann mit einem Hund und fällt in ihre allerschlimmsten Erinnerungen zurück, die sie nicht einmal mit ihrem Gatten geteilt hat: Sie ist fest davon überzeugt, den SS-Mann Karl gesehen zu haben. Der hat im Konzentrationslager für Roma sie und ihre Schwester vergewaltigt und die Schwester später getötet. Maja hat alle ihre Angehörigen durch Karl und die Nazis verloren und will Rache für alles, was er ihr und ihrer Familie angetan hat. Ebenso kopflos wie geplant lauert sie dem Mann deshalb nach der Arbeit vor der großen Chemiefabrik auf, betäubt ihn und sperrt ihn in ihrem Keller ein. Der Mann behauptet verzweifelt, er sei Schweizer, kein Deutscher.
„The Secrets We Keep – Schatten der Vergangenheit“ erinnert sehr stark an Ariel Dorfmans Theaterstück „Der Tod und das Mädchen“, um Folter, Diktatur und Selbstjustiz in Chile nach Pinochet, auf dem auch Roman Polanskis gleichnamiger Film aus dem Jahre 1994 beruhte. Der israelische Thriller-Regisseur Yuval Adler inszeniert sein spannendes Drama um Vergangenheit, Verdrängung, Gewalt, Sühne und Rache nun inmitten einer Vorstadtsiedlung.
Auch für Lewis, der gleichzeitig mit dem gefesselten Mann im Keller und mit der Vergangenheit seiner Frau konfrontiert wird, bricht eine Welt zusammen. Denn belegen die Personalbögen der Chemiefabrik nicht eindeutig, dass der Entführte wirklich aus der Schweiz stammt? Ist er nicht mit einer Jüdin verheiratet und solider Familienvater? War Maja nicht vor Jahren wegen ihrer Depressionen und psychotischen Schübe in psychiatrischer Behandlung? Kann man ihren Erinnerungen der brutalen Vergewaltigungen und den Ermordungen ihrer Familie glauben? Die ganze Existenz der kleinen Familie steht auf dem Spiel: „Können wir es nicht einfach hinter uns lassen?“, fragt Lewis seine Frau verzweifelt.
Konfrontation mit der brutalen Vergangenheit
Beklemmend greift Adler den Wechsel von Identitäten nach dem Zweiten Weltkrieg auf, umgesetzt in einem Kellerdrama mit einigen B-Movie-Effekten als Konfrontation mit einer brutalen Vergangenheit auf engstem Raum, während draußen die hemdsärmelige Unbekümmertheit der US-Nachkriegsgesellschaft herrscht. Im Zeitalter des Kalten Krieges wird die Vergangenheit verdrängt, aber schnell reagieren Nachbarn und Polizei auf Unregelmäßigkeiten, etwa den Hilfeschrei in der Nacht, den der Mann im Keller bei seinem gescheiterten Fluchtversuch noch ausstoßen kann.
Dabei ist die Leistung des Schauspielerensembles beachtlich, die Protagonisten entwickeln sich zwischen Zweifel und Lüge mit überraschenden Wendungen. Beeindruckend ist auch die Bildgestaltung. Kolja Brandt schafft drei sehr unterschiedliche Handlungsebenen, die seltsam gesättigten Farben der amerikanischen Vorstadt, die fast graue Nüchternheit der Kellerräume, in der Maja ihren Gefangenen zur Wahrheit zwingen will, und ihre Erinnerungen an das KZ, nächtliche Albtraum-Sequenzen mit grellen Lichtreflexen. In seinen gesättigten und verblichenen Farben wirkt „The Secrets We Keep“ wie ein böses Familienalbum, Erinnerungsfotos eines verdrängten kollektiven Unterbewussten.