Was wäre das für eine Welt, in der Abtreibung kein manchmal notwendiges Übel wäre? Darin gäbe es keine Männer, die Frauen vergewaltigten, keine Schwangeren, die selbst noch Kinder sind, keinen Puritanismus und keine gesellschaftliche Ausgrenzung, die Sex außerhalb der Ehe verteufeln, keine sozialen und familiären Umstände, in denen ein Kind unwillkommen ist, keine Erkrankungen, die Leib und Leben von Mutter und Kind gefährden, keine Behinderungen, deren Schwere Eltern bis zum Äußersten erschreckt. Was wäre das für eine wünschenswerte Welt, in der jedes Kind mit offenen Armen empfangen wird? Leider ist die reale Welt kein solch paradiesischer Ort. Und solange das so ist, wird es Abtreibungen geben – auf legalem, geregeltem Weg oder auf illegale, ungleich gefährlichere Weise.
Der Spielfilm „Unplanned“ spart all diese Hintergründe und Motivationen von Abtreibungen aus. Es ist geradezu erstaunlich, um welchen riesigen blinden Fleck herum dieser religiöse Erbauungsfilm aus dem evangelikalen Umfeld konstruiert ist. Fast zwei Stunden lang wird die Lebensgeschichte der US-Amerikanerin Abby Johnson erzählt, die von der Leiterin einer „Planned Parenthood“-Abtreibungsklinik zur Antiabtreibungsaktivistin konvertierte. Dementsprechend geht es die ganze Zeit um Abtreibungen, allerdings nur als medizinisch-medikamentösen oder operativen Akt und nur am Rande auch um die psychischen und körperlichen Folgen für die Frauen. Die bei diesem Thema aber so entscheidenden Umstände, also das, was Frauen zu einer so weitreichenden Entscheidung führt, werden nahezu komplett ausgeblendet. Womit „Unplanned“ nahelegt, dass Abtreibungen meist aus Gedankenlosigkeit oder „Bequemlichkeit“ heraus vorgenommen würden – was in Wirklichkeit vermutlich eher selten der Fall ist. Es dürfte nur wenige Frauen geben, die diese schwere Entscheidung leichtfertig treffen.
Wenn die Umstände stimmen
In „Unplanned“ aber lässt sich die Welt in zwei Seiten teilen: in die der bösen, mächtigen, skrupellosen Abtreibungsorganisation „Planned Parenthood“ auf der einen und die der guten, sanften Christen und Abtreibungsgegner von „Pro Life“ auf der anderen Seite. Dazwischen gibt es – nichts. Keinen Diskurs, keinerlei Überlegungen zur Komplexität der Angelegenheit, einfach nichts. Beziehungsweise: einen Zaun. Der steht hier zwischen der Abtreibungsklinik in der texanischen Stadt Bryan, in der Abby Johnson arbeitet, und den betenden Demonstranten von „Pro Life“, die die Frauen mit drastischen Bildern, Rufen, Weinen und Gesprächen von ihrem Schritt abzuhalten suchen.
Wenn es doch einmal für den Hauch einer Sekunde interessant wird, wenn die Demonstrantin Marilisa sagt, dass es „einen größeren Segen als ein Kind“ nicht geben kann, und Johnson sie darin bestätigt und den wichtigen Satz hinzufügt, „Wenn die Umstände stimmen“, dann bricht der Film sogleich das Thema ab, um es nie wieder aufzugreifen.
Der von Cary Solomon und Chuck Konzelman auf Grundlage von Abby Johnsons Memoiren inszenierte Film ist sehr holzschnittartig konstruiert. Visuell wähnt man sich in einer Dauerwerbesendung: lauter gutaussehende, gut geschminkte und so gut geföhnte wie farblose Figuren, die von weitgehend talentfreien Schauspielern verkörpert werden, bebildern eine bonbonbunte stereotype „All-American“-Welt. Das Highlight in dieser Hinsicht ist Johnsons treusorgender Ehemann Doug, der alle paar Minuten zu seiner Frau „Ich liebe dich“ sagt, aber sonst kaum etwas zu tun bekommt. Die Dialoge, Geschehnisse und auch die filmmusikalische Auswahl sind uninspiriert und vorhersehbar; die inszenatorische Umsetzung ist handwerklich zwar in Ordnung, aber künstlerisch gänzlich ambitionsfrei.
Gott ist das Leben
„Unplanned“ hat nur ein Anliegen: Die Botschaft „Für Gott ist jedes Leben lebenswert, deshalb ist Abtreibung abzulehnen“ an den Mann und vor allem an die Frau zu bringen. Dazu nutzt der Film bekannte Stereotypen, um Emotionen zu wecken, wobei er nicht ungeschickt vorgeht: Die religiöse Message ist in einen konventionellen, aber recht faden Film-Kokon verpackt. Überzeugungsarbeit sieht anders aus.
„Unplanned“ vermag die Zuschauer allenfalls in ihren Haltungen zu bestätigen, also die quer durch die USA verlaufenden Gräben zwischen Liberalen und Konservativen zu vertiefen. Der in den USA vor dem Lockdown recht erfolgreich gestartete Film führte dann auch bereits zu Streit in höchsten Kreisen. Während US-Präsident Donald Trump und sein Vize Mike Pence den Film lobten und Regisseur Konzelman bei einer Anhörung vor einem Senatsausschuss Twitter & Co. Zensur nahelegte, bezeichnete der „Hollywood Reporter“ stellvertretend für das liberale Hollywood den Film als „missionierenden Agitprop“.