Dokumentarfilm | USA 2020 | Minuten

Regie: Christina Clusiau

Als Donald Trump Anfang 2017 das Amt des US-Präsidenten antrat, sagte er nicht nur illegalen Einwanderern an den Grenzen, sondern all jenen Menschen den Kampf an, die ohne gültige Aufenthaltserlaubnis teils seit Jahrzehnten in den USA leben und arbeiten. Zu diesem Zweck stockte er das Immigration and Customs Enforcement (ICE) personell auf und erweiterte dessen Befugnisse. Die sechsteilige, unkommentierte Dokumentarserie beleuchtet die praktischen Folgen dieser Politik und begleitet die Bundesbeamten bei ihre Einsätzen an zahlreichen, über die ganzen USA verteilten, Orten, lässt aber auch Opfer dieser Null-Toleranz-Politik zu Wort kommen. Deren bewegende Geschichten stehen in starkem Kontrast zu den meist gänzlich empathielosen Kommentaren der ICE-Mitarbeiter. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
IMMIGRATION NATION
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
Reel Peak Films
Regie
Christina Clusiau · Shaul Schwarz
Kamera
Christina Clusiau · Shaul Schwarz · Andrey Alistratov · Eric Phillips-Horst · Dan Balilty
Musik
Jeremy Turner
Schnitt
Andrey Alistratov · James Morrison · Jay Arthur Sterrenberg · Christopher K. Walker
Länge
Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm | Serie

Sechsteilige Doku-Serie über die „Null-Toleranz“-Politik der US-Regierung gegen Menschen, die ohne Aufenthaltsgenehmigung in der USA leben und arbeiten.

Diskussion

Die Männer in ihren Kampfuniformen, die nachts an eine Wohnungstür in New York klopfen, sehen martialisch aus. Als ihnen geöffnet wird, fragen sie nach einem Mann, der kurz darauf von ihnen abgeführt wird, obwohl sich seine kleine Tochter weinend an sein Bein klammert. Der aus der Dominikanischen Republik stammende Familienvater hat seit Jahren einen festen Job und sich nichts zuschulden kommen lassen. Allerdings besitzt er keine Aufenthaltsgenehmigung für die USA. Mit diesen Bildern beginnt die sechsteilige Dokumentarserie „Immigration Nation“, die in den USA für Furore gesorgt hat. Die Beamten vom „Immigration and Customs Enforcement“ (ICE), einer zum US-Heimatschutzministerium gehörende Bundesbehörde, werden in der Serie bei ihrer Arbeit begleitet.

Ohne Trump würde es diese Serie nicht geben

Den verhafteten Familienvater sieht man wenig später wieder, wie er in einer weiß gekachelten Arrestzelle verzweifelt hin und her läuft. Wobei ihn ein Beamter, den die Szene sichtlich amüsiert, mit seinem Handy filmt. Allerdings scheint er mit dem Umstand, dass an diesem Tag nur ein einziger Delinquent ins Netz gegangen ist, unzufrieden zu sein. Seit Trump im Amt sei, fügt er hinzu, könnten sie endlich ihren Job machen. Ohne den amtierenden US-Präsidenten, so wird schnell deutlich, würde es diese Serie wohl nicht geben.

„Immigration Nation“ (Regie: Christina Clusiau, Shaul Schwarz) macht zwar deutlich, dass es auch unter Trumps Amtsvorgängern Bill Clinton und Barak Obama massenhaft Abschiebungen von „Illegalen“ gegeben hat, doch erst unter Trump wurden eine Reihe von Regularien außer Kraft gesetzt, die solche Verfahren einer strengen Kontrolle unterwarfen. Wer vorher einer geregelten Arbeit nachging und nicht straffällig wurde, konnte auch ohne Aufenthaltsgenehmigung damit rechnen, von den Behörden nicht behelligt zu werden. Doch seitdem Trump die Parole „Null Toleranz!“ ausgegeben hat, sind diese Zeiten vorbei. Auch Menschen, die schon seit Jahrzehnten in den USA leben und arbeiten, sehen sich plötzlich verfolgt.

Dazu gehört auch, dass die ICE-Beamten aufgefordert sind, intensiv nach sogenannten „Collaterals“ Ausschau zu halten. Mehrfach sieht man, wie sie auf der Suche nach einer Zielperson auch andere Menschen festsetzen, die vielleicht im selben Haus leben oder auf derselben Baustelle arbeiten. In der Fischerei nennt man so etwas Beifang. Einem ICE-Mann, der keine Collaterals festnehmen will, macht sein Vorgesetzten unmissverständlich klar, dass er sich das nicht aussuchen könne.

Wenn flüchtende Eltern von ihren Kindern getrennt werden

Die Kamera begleitet die Beamten bei ihrer Arbeit an zahlreichen, über das ganze Land verstreuten Orten. Einige der Geschichten durchziehen mehrere der mit Titeln wie „Angst schüren“ oder „Die neue Normalität“ versehenen Folgen. Das gilt auch für eine Gruppe von Menschen, die beim Versuch, illegal in die USA einzureisen, festgesetzt wurden. Etwa die bewegende Geschichte eines Mannes aus Honduras, der erzählt, wie er sich mit seiner Frau und den beiden Kindern auf den Weg machte, und wie die Schlepper unterwegs mehr Geld von ihnen verlangten, als sie zahlen konnten.

Daraufhin kehrte die Ehefrau mit der Tochter nach Honduras zurück, während ihr Mann mit seinem dreijährigen Sohn über Mexiko in die USA zu gelangen versuchte. Sie wurden an der Grenze gefasst, und der kleine Sohn wurde für mehrere Wochen von seinem Vater getrennt. Genau das verlangte eine Anordnung der Trump-Regierung. Diese wurde nach massiven Protesten 2018 zwar zurückgenommen, doch es braucht nicht viel Fantasie, um sich das Martyrium von Kindern wie Eltern auszumalen. Das sei ihre eigene Schuld, wenn Menschen mit Kleinkindern illegal über die Grenze zu kommen versuchen, kommentiert ein Beamter lapidar.

Dabei haben die Menschen, die nach ihrer Verhaftung an Füßen und Händen in Ketten gelegt werden – ein von der Kamera immer wieder eingefangenes Motiv –, immerhin noch das Glück, überlebt zu haben. Eine eigene Abteilung der „Border Patrol“ an der Grenze zu Mexiko sucht die Wüste nach Überresten von Menschen ab, die unterwegs verdurstet oder in kalten Nächten erfroren sind. Manchmal werden nur noch Skelette gefunden. Der Job der Männer ist es dann, die Leichen zu identifizieren und die Angehörigen zu informieren. Die Kamera ist einmal dabei, als ein Beamter einen Mann anruft und ihm mitteilt, dass man dessen Sohn tot gefunden habe; am anderen Ende der Leitung ist nur ein Schluchzen zu hören.

Das Leid der Immigranten vs. die Empathielosigkeit der Beamten

Das ist ein beklemmender Moment, von denen es in der Serie viele gibt. In manchen Szenen, wenn verzweifelte Menschen in Tränen ausbrechen oder sich verängstigte Kinder an ihre Eltern klammern, ist die Kamera verstörend nahe am Geschehen. Allerdings hätte es bei dem Versuch, den Opfern ein Gesicht zu geben, nicht die emotionale Verstärkung durch eine musikalische Untermalung gebraucht.

Auf der anderen Seite bilden solche Sequenzen einen radikalen Kontrast zur Empathielosigkeit der ICE-Beamten. Sie feixen, wenn sie einen „Illegalen“ geschnappt haben, machen sich über dessen fehlende Sprachkenntnisse lustig und sind stolz, ihrem Land zu dienen. Von denen, die sich nicht ganz so euphorisch geben, hört man immer wieder die Erklärung, dass so nun mal das Gesetz sei und irgendwer diesen Job schließlich machen müsse. Erstaunlicherweise hat scheinbar niemand ein Problem damit, sich bei der Arbeit filmen zu lassen; nur die Nachnamen der Beamten sind im Bild geschwärzt.

Dennoch stellt die über einen Zeitraum von drei Jahren gedrehte Serie „Immigration Nation“ die Beamten nicht kollektiv an den Pranger, sondern bemüht sich, dem Problem der Migration im Einwanderungsland USA mit vielen einzelnen Geschichten und Berichten in all seiner Komplexität gerecht zu werden.

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