Eine Autobahn im Schneegestöber, in schwarz-weiß, von weit oben gefilmt. Die Fahrzeuge (und mit ihnen die Menschen) wimmeln klein und geschäftig wie Ameisen umher. Dazu auf der Tonspur der von Bläser- wie Streicherklängen und Sebastian Horns warmer Stimme getragene, traurig-kämpferische Song „Ned nur mia“ der bayerischen Band „Dreiviertelblut“: „Koa Zaun auf derer Wäid halts Lebn auf. Mia san ned nur mia. Mia san de Woiknn und der Sand, und mia san alle miteinand unterwegs… auf unsam blaua Stoa“, singt Horn da. Ein wunderschöner, poetischer, perfekter Filmmoment.
Eine Szene, die so vieles bündelt, was „Dreiviertelblut“ ausmacht: Texte von politisch-philosophischer Tiefe und Weltoffenheit, elegische Melodien, das Thema der verrinnenden Zeit, der distanzierte, aber nicht kalte Blick auf die Menschheit, der bayerische Dialekt. Eine tolle Mischung, der man höchstens vorwerfen könnte, dass sie gelegentlich haarscharf am Pathos vorbeischrammt. „Folklorefreie Volksmusik“, so bezeichnen die Musiker um den Filmmusikkomponisten Gerd Baumann und den als Sänger der „Bananafishbones“ bekannten Sebastian Horn das, was sie mit „Dreiviertelblut“ machen. Die Regisseure Marcus H. Rosenmüller und Johannes Kaltenhauser, der auch hinter der Kamera stand, haben ihnen mit „Dreiviertelblut – Weltraumtouristen“ ein filmisches Gedicht gewidmet.
Sensibel und mit großem Respekt vor Baumanns und Horns musikalischem Ausdruck versuchen die Filmemacher, deren künstlerischer Inspiration auf den Grund zu gehen, ihr eine Bühne zu bereiten. Die Haltung der Regisseure ist eine der Nähe, die Vertrautheit zwischen den Porträtierten und ihren filmischen Porträtmalern ist offenkundig groß – um kritische Distanz geht es Rosenmüller und Kaltenhauser eher nicht. Dass die beiden Fans ihrer Protagonisten und derer Musik sind, ist nicht zu übersehen und -hören. Dennoch ist ihr Film viel mehr als schlichtes Fantum. Vor allem durch Rosenmüllers und Kaltenhausers Verständnis als Filmemacher und ihr großes handwerkliches Können.
Ikonenhaft mit den Münchner Symphonikern
Strukturiert wird der Film durch ein Konzert von „Dreiviertelblut“ zusammen mit den Münchner Symphonikern: Die bisher unveröffentlichten Aufnahmen bilden die Klammer, zu der der ausnehmend gut montierte Film immer wieder zurückkehrt. Vor allem Sebastian Horn wird in diesen Bildern regelrecht ikonenhaft inszeniert, mittig, von hinten, als Zeremonienmeister und unbestrittenes Zentrum des Geschehens. Eine Herangehensweise, die sich auch in den zwischen die Konzertbilder geschnittenen Gesprächen und Filmaufnahmen von Horn und Baumann fortsetzt: Der aus Bad Tölz stammende Sänger wird als das leicht versponnene künstlerische Genie der Band gezeigt, während sein Kompagnon Baumann, der mit den Musiken für etliche Filme bekannt wurde (von „Wer früher stirbt ist länger tot“ über „Almanya“ bis „Trautmann“), mit seiner ruhigen Art als dessen pragmatischer, hochprofessioneller Konterpart gezeichnet wird. Eine Aufgaben- und Rollenverteilung, mit der sich die zwei Frontfiguren von „Dreiviertelblut“ anscheinend gut arrangiert haben.
So erfährt man tatsächlich viel über diese Musiker und insbesondere den philosophischen Naturburschen Sebastian Horn: Etwa seine Überzeugung, dass „Kunst immer schon da sei“ und es „auf das eigene Radio ankomme, wie und ob man sie empfange“. Bei ihm selbst funktioniere das am besten, so erzählt er es auf einem verschneiten Waldspaziergang in den Bergen, draußen in der Natur. Kurz darauf wird der als Astronaut verkleidete Gerd Baumann mit einer betont naiv gestalteten Papp-Rakete neben der Waldhütte landen, in der Horn sitzt: Wie es der Untertitel des Films ankündigt, werden die Musiker als „Weltraumtouristen“ gezeichnet, die den blauen Planeten und seine Bewohner ein wenig aus der Distanz betrachten, vielleicht auch selbst „nicht ganz von dieser Welt“ und (im positiven Sinne) leicht entrückt sind.
In den dokumentarischen Passagen ausdrucksstark und assoziativ
Diese Metapher wie auch manch weitere poetische Spielerei – etwa die Schnecke, die über eine Autobahnbrücke kriecht – hätte es wohl gar nicht unbedingt gebraucht. Denn der vor allem durch seine Kameraarbeit herausragende Film ist in seinen dokumentarisch gefilmten Passagen ausdrucksstark, assoziativ und vieldeutig genug. Andere fiktionale Einfälle hingegen – die Visualisierung von Horns Lampenfieber als Albtraum, mehrere Inkarnationen Gerd Baumanns in der Künstlergarderobe kurz vor dem Auftritt –erscheinen aufgrund ihrer inhaltlichen Anknüpfungspunkte überzeugender. Alles in allem aber ist Marcus H. Rosenmüller und Johannes Kaltenhauser ein Filmgedicht gelungen, das diese Bezeichnung wirklich verdient – und das einen tiefen Einblick in zwei ebenso bayerische wie weltoffene Künstlerseelen gewährt.